ICANN: Mehr Macht für Regierungsvertreter
Die Internet-Adressverwaltung ICANN und das US-Handelsministerium haben ihr neues Abkommen vorgelegt. Demnach kommt bei der künftigen Prüfung der ICANN-Aktivitäten vor allem der Führungsebene der Organisation sowie den Vertretern der Nationalregierungen mehr Macht zu.
Die US-Regierung lockerte damit ihre Bindung zur Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Rechtzeitig zum Ablaufdatum der Reihe von Abkommen (Joint Project Agreement/Memorandum of Understanding), die die 1998 gegründete Internet-Adressverwaltung als gemeinnützige Organisation nach kalifornischem Recht unter die Aufsicht des US-Handelsministeriums gestellt hatten, wurde eine öffentliche Verpflichtung (Affirmation of Commitments, AOC) publiziert, mit der die USA der ICANN einige zusätzliche Freiheitsgrade gewähren.
Die ICANN wird aber auch weiterhin im kalifornischen Marina del Rey stationiert sein und damit US-Recht unterstehen. Außerdem läuft der Vertrag über das Management der Root-Server, der zentralen Komponente des Internet-Adressverwaltungssystems, zwischen der US-Regierung und der ICANN-Unterorganisation IANA noch bis 2011.
Abkommen ohne Ablaufdatum
Besonders an der neuen Verpflichtung ist, dass sie - im Gegensatz zu den Vorläuferabkommen - nicht alle drei Jahre erneuert werden muss; allerdings kann sie unter Zustimmung beider Seiten jederzeit ergänzt werden. Die Verpflichtung schreibt die Rolle der ICANN als private Entität fest.
ICANN-Chef Rod Beckstrom betonte in seiner Mitteilung: "Sie erklärt, dass die ICANN unabhängig ist und nicht von einer einzelnen Organisation kontrolliert wird. Sie verpflichtet die ICANN darauf, sich Prüfungen seitens der Internet-Community zu unterziehen." Beckstrom sieht das als "Bestätigung dafür, dass die Verwaltung durch Interessengruppen robust genug ist, dass die Selbstkontrolle funktionieren kann". Er hält das neue Abkommen für "eine sichere Plattform", die auch Änderungen am Internet selbst aushalten könne.
Das US-Handelsministerium unterstütze die Einführung internationaler Top-Level-Domains, heißt es in Absatz fünf des Dokuments. Allerdings betont es, dass kein Abschnitt in dem neuen Abkommen als Unterstützung des Ministeriums für den Plan, neue generische Top-Level-Domains einzuführen, interpretiert werden dürfe.
Zusammenstellung der Kontrollteams
Der interessanteste Abschnitt des kurzen Dokuments findet sich unter der Ziffer 9. Hier ist festgelegt, wie die ICANN künftig kontrolliert werden soll. So soll die Auswahl der Vorstandsmitglieder möglichst transparent gestaltet werden. Bis zum 31. Dezember 2010 soll ein Ausschuss prüfen, ob die ICANN ihren Verpflichtungen in Sachen Transparenz nachgekommen ist. Dieser Ausschuss soll sich aus freiwilligen Mitgliedern der Community zusammensetzen sowie aus dem Vorsitzenden des Government Advisory Committee (GAC), dem Vorstandsvorsitzenden der ICANN, einem Abgeordneten des US-Handelsministeriums und Vertretern der ICANN-Unterorganisationen.
Das letzte Wort bei der Zusammenstellung des Teams sollen allerdings der ICANN-Vorsitzende und der Vorsitzende des GAC haben - in Abspruch mit den Vertretern der Regierungen der Nationalstaaten. Die Empfehlungen, die nach der Prüfung durch diese Gruppe herauskommen, sollen im Netz veröffentlicht werden. Der ICANN-Vorstand hat dann sechs Monate Zeit, die Empfehlungen umzusetzen.
Auch ihre Maßnahmen zur Stabilität des Domain Name System (DNS) muss die ICANN alle drei Jahre einer Prüfung durch ein ähnlich zusammengestelltes Team unterziehen. Auch hier dürfen Freiwillige aus der Community mitmachen, das letzte Wort bei der Zusammenstellung haben allerdings der Geschäftsführer der ICANN und der Vorsitzende des GAC.
Mehr Einfluss für Regierungen
Mindestens alle vier Jahre muss eine ähnliche Gruppe, die gleichfalls unter der Ägide des ICANN-Geschäftsführers und des GAC zusammengestellt wird, prüfen, ob die Organisation den Wettbewerb und das Vertrauen der Konsumenten gefördert hat. Den Vertretern der Nationalstaaten wächst damit also mehr Macht zu. Denn sie entscheiden auch - gemeinsam mit dem ICANN-CEO - über die Zusammensetzung des Teams, das alle drei Jahre das Management des Whois-Diensts prüfen soll.
Vertreter diverser Staaten wie Indien und China sowie EU-Medienkommissarin Viviane Reding hatten in jüngster Vergangenheit mehr Einfluss auf die Internet-Adressverwaltung eingefordert. Reding zeigte sich in einer auch auf der ICANN-Site selbst zitierten ersten Reaktion denn auch mit dem neuen Abkommen zufrieden. "Die Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit der ICANN sehen auf dem Papier nun schon viel besser aus. Jetzt müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass sie auch in der Praxis funktionieren", so Reding.
Das neue Abkommen verpflichtet die ICANN darauf, "zeitnahen, barrierefreien und öffentlichen Zugang zu korrekten und vollständigen Whois-Informationen" zu liefern. Darauf hatten in der bisherigen Debatte über dieses System, in dem verzeichnet ist, wer welche Domain registriert hat, vor allem die Inhaber von Markennamen bestanden, die damit schnell Imitatoren ausforschen und abmahnen können. Ob es in diesem Kontext reichen wird, dass künftig auch Datenschutzexperten dem Team angehören sollen, das die Whois-Verwaltung kontrolliert, bleibt abzuwarten.