Games und Geschichte: Zivilisation der Spieler
Können Computerspiele Jugendlichen dabei helfen, historische Zusammenhänge besser zu verstehen? Pädagogen sehen im spielerischen Lernen am Rechner eine Chance zur Entwicklung neuer Formen von Wissenstransfer. Historiker dagegen warnen vor den zum Teil kruden Geschichtsbildern, die in Strategiespielen vermittelt werden.
"Exploring the Edge of Gaming - Grenzgänge des Computerspielens" war der Titel der diesjährigen Computerspielefachtagung FROG, die im Rahmen der Game City im Wiener Rathaus stattfand. Streit herrscht unter Experten darüber, wie Geschichte in Computerspielen wie "Civilization" vermittelt wird.
"Es gibt kein Spielen, ohne zu lernen", ist Medienpädagoge Konstantin Mitgutsch überzeugt. Computerspiele mit geschichtlichem Hintergrund bilden dabei keine Ausnahme. Vor allem Jugendliche hätten laut Mitgutsch durch das Spielen die Chance, historische Prozesse besser zu verstehen.
Doch wie werden diese Prozesse in den Spielen dargestellt? Die Historiker Ilja Steffelbauer und Christoph Kaindel lassen kaum ein gutes Haar an den Spielen. Dabei geht es ihnen nicht um Details wie Uniformfarben und Jahreszahlen, sondern um die in Spielen enthaltenen Geschichtstheorien, die - so ihr wichtigster Vorwurf - weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der Kampf gegen die von Natur aus unterlegenen Barbaren im Strategiespiel "Civilization" sei nur ein Beispiel für einen latenten Rassismus, erklärt Kaindel.
Am Sonntag in "matrix"
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Computerspiele im Geschichtsunterricht
Trotz der harten Kritik sehen die beiden Historiker ein Potenzial dafür, Geschichte mit Hilfe von Spielen erfahrbar zu machen. Allerdings "wäre es zuallererst notwendig, dass die Games-Hersteller die letzten 100 Jahre historischer Forschung nachholen", betont Steffelbauer.
Für Mitgutsch sind Kritikpunkte wie dieser ein wichtiger Hinweis darauf, dass Spiele im Unterricht nur dann eingesetzt werden sollten, wenn qualifizierte Lehrer sie in den Kontext des restlichen Lehrplans stellen. Nur so sei eine kritische Betrachtung möglich, und nur dann könnten die Schüler Verbindungen ("Transfers") zwischen virtueller und realer Welt herstellen. Das Spielen am Computer allein könne weder den Lehrer ersetzen noch die Vorbereitungszeit auf den Unterricht reduzieren. Die größte Herausforderung für die Lehrer bestehe darin, die unterschiedliche Medienkompetenz in der Schülerschaft selbst auszugleichen.
Historiker spielen
Games-Entwickler und Lernspieleexperte Scot Osterweil von der US-Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) hält wenig davon, Schülern mit Hilfe von Spielen geschichtliche Daten und Fakten beizubringen. Das würde jedes Interesse an Geschichte im Keim ersticken, ist er überzeugt: "Das ideale Geschichtsspiel ist für mich eines, das dem Spieler die Denk- und Arbeitsweise eines Historikers näherbringt." Er könne sich beispielsweise ein Game vorstellen, in dem der Spieler mit Hilfe verschiedener Quellen und Dokumente einem Geheimnis auf die Spur kommen muss.
Die wichtigste Funktion der Spiele bestehe allerdings darin, das Interesse an Geschichte zu wecken, so Osterweil. Dieser Effekt wurde schon in mehreren Studien nachgewiesen. Bereits selbst erlebt hat das Cheryl K. Olson, Autorin des Buchs "Grand Theft Childhood": Ihr Sohn spielte mit Begeisterung Strategiegames wie "Age of Empires" und "Civilization" - jetzt studiert er Geschichte. Während die Kinder im Unterricht vor allem über Könige und Schlachten lernen, wird in Spielen laut Olson etwas viel Wichtigeres vermittelt: "Ich denke, diese Spiele zeigen den Kindern, dass es in der Geschichte Leute gegeben hat, die so denken und fühlen wie sie selbst."
Gemeinsam in Spielewelten eintauchen
Schlüsse wie diesen betrachtet Steffelbauer kritisch, denn Computerspiele seien wie Filme meistens ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Zeit, in der sie entstanden sind, und weniger ein Abbild der Geschichte selbst. Für Mitgutsch besteht darin wiederum eine Chance: "Jedes Spiel hat eine geschichtliche Dimension, auch wenn es nicht unmittelbar von historischen Themen handelt." So könne man durch Spiele wie "Space Invaders" auf die Bedeutung von Außerirdischen und UFOs in der Populärkultur der 1970er Jahre schließen.
Kritisch sieht auch der deutsche Medienforscher Benjamin Jörissen die Spiele, die meistens nur wenig mit den eigentlichen historischen Vorgängen zu tun hätten. Er spielt sie dennoch gemeinsam mit seinem Sohn. Um die pädagogischen Potenziale der Spiele zu nutzen, empfiehlt er, die Kinder bei ihren Ausflügen in die virtuelle Welt zu begleiten: "Es geht nicht nur darum, die Kinder vor etwas zu schützen. Man sollte sich fürs Computerspielen Zeit nehmen, genauso wie fürs Vorlesen von Geschichten."
~ Link: Wiener Rathaus im Zeichen von Videogames (../http://www.fuzo-archiv.at/?id=1628041v2) ~
(matrix/Margarita Köhl/Daniel Hufler)