© Fotolia/gajatz, Kinder sitzen vor einem Notebook

Lernen mit Computerspielen

GAME STUDIES
13.10.2009

Michael Wagner von der Donau-Uni Krems hat untersucht, ob sich Computerspiele als Lehrmittel in der Schule eignen. Futurezone.ORF.at sprach mit Wagner über Chancen und Probleme beim Lernen mit Games. Überraschend: Nicht alle Schüler wollen gerne im Klassenzimmer mit Spielen umgehen.

Für manche Schüler mag der Einsatz von PC-Spielen im Unterricht ein Traum sein, doch lange nicht für alle: Etwa 20 Prozent der Schüler könnten mit PC-Spielen im Unterricht nicht viel anfangen, heißt es im Endbericht des Projekts "Didaktische Szenarien des Digital Game Based Learning".

Im Rahmen des Projekts untersuchte eine Forschungsgruppe um Wagner, ob und wie sich Spiele im Schulunterricht sinnvoll einsetzen lassen. "Die Denkweise 'Schule darf nicht Spaß machen' sitzt zu tief", sagte Wagner im Gespräch mit ORF.at.

Lernprozess verändert sich

Michael Wagner ist Mathematiker und Professor für Technologieunterstütztes Lernen und Multimedia im Department für Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems. Er leitet den Fachbereich Applied Game Studies.

Wagners Erkenntnisse lassen sich einfach zusammenfassen: Durch den Einsatz von PC-Spielen verändert sich der Prozess des Lernens. Nicht die Vermittlung von Inhalten, sondern die Vermittlung von Fähigkeiten steht dabei im Vordergrund. Zudem kann ein Spiel niemals den Lehrenden ersetzen, die Schüler brauchen eine pädagogische Hilfestellung.

Laut Wagner sind die meisten Spiele für den Einsatz im Unterricht geeignet - solange die Lehrenden gewisse Regeln beachten. "Je näher ein Lernziel beim Spielziel liegt, desto einfacher lässt sich ein Game im Unterricht verwenden", so der Experte. "Dabei müssen die Lehrenden selbst keine exzessiven Gamer sein, eine generelle Medienkompetenz reicht aus, um Spiele im Unterricht einsetzen zu können." Doch freilich gibt es auch Ausnahmen von der Regel.

ORF.at: Herr Wagner, verändern Computerspiele den Lernvorgang?

Wagner: Über Spiele wird anders gelernt, es ist ein sehr individuelles Lernen. Denn jedes Kind lernt etwas anderes beim Spielen im Unterricht, und es ist die Aufgabe des Lehrers, diesen Sack voller Flöhe halbwegs beisammenzuhalten. Es ist ein Lernen, das in vielen kleinen Schritten vor sich geht, die häufig wiederholt werden. Man kann sich das so vorstellen, dass der Schüler dieselbe Seite eines Buches immer wieder aufschlägt und kurz ansieht. Lerninhalte müssen daher anders aufgearbeitet werden. Man kann nicht einfach Stoff vorsetzen, sondern muss Anreize schaffen, sich weiterzuentwickeln.

ORF.at: Ist das wirklich anders als im herkömmlichen Unterricht? Da wird doch auch derselbe Stoff immer wieder geübt.

Wagner: Es ist auf jeden Fall eine andere Form des Lernens, die im normalen Schulsystem sehr unüblich ist - da ist Scheitern nämlich nicht erlaubt. In einem Computerspiel wiederholt man Dinge aber so lange, bis man sie beherrscht. Scheitern ist Teil des Prozesses.

ORF.at: Profitieren eigentlich alle Schüler von dieser anderen Form des Lernens?

Wagner: Nein, nicht alle Schüler profitieren davon gleichermaßen. Man geht ja immer davon aus, dass man eine digitale Generation vor sich hat, in der alle Computer spielen. Das ist aber nicht so. In unsere Studie gab es eine Minderheit an Schülern, etwa 20 Prozent, die mit diesen Technologien nicht sehr viel anfangen können und diese auch in der Freizeit nicht benutzen. Es profitieren gerade jene davon sehr stark, die auch in ihrer Freizeit spielen. Das sind aber weder die besseren noch die schlechteren Schüler. Es kann natürlich vorkommen, dass schlechtere Schüler auf diese Art und Weise einen stärkeren Anreiz haben und es dadurch zu einem ganz neuen sozialen Austausch kommt. Die schlechteren helfen den besseren Schülern, das ist faszinierend zu beobachten. Für die Lehrer bedeutet dies vor allem, dass computerbasiertes Unterrichten nicht die einzige Methode sein kann, die sie einsetzen. Man braucht Methodenvielfalt, damit man wirklich alle Schüler erreicht.

ORF.at: Diese 20 Prozent der Nichtspieler: Sind das Schüler, die den Computer generell nicht nutzen?

Wagner: Das sind generell diejenigen, die neue Medien nicht nutzen. Da gibt es eine Grenze zwischen jenen, die daran teilnehmen, und jenen, die es nicht tun. Es gibt einfach Leute, die sich dafür nicht interessieren. Nicht jeder ist mit jedem Medium einverstanden.

Im Rahmen des Projekts "Didaktische Szenarien des Digital Game Based Learning" wurden 115 Jugendliche befragt. Davon gaben 80 Prozent an, auch in Zukunft digitale Spiele im Unterricht einsetzen zu wollen. Der erste Teil des Projekts wurde im September 2008 abgeschlossen.

Der zweite Teil des Projekts wurde im Juli 2009 gestartet und läuft bis Juni 2010. Im Zuge dessen werden etwa 100 für den Unterricht optimierte Szenarien entwickelt, also Vorschläge, wie Lehrer Spiele im Unterricht einsetzen können. Diese Beispiele werden den Lehrern im Anschluss zur Verfügung gestellt.

"Wir haben festgestellt, dass der Zeitfaktor die größte Hürde für die meisten Lehrer war. Die Planung von derartigen Projekten kostet sehr viel Zeit. Daher müssen wir den Lehrern fertige Szenarien zur Verfügung stellen, die sie einfach im Unterricht einsetzen können", so Wagner.

ORF.at: Im Endbericht zum Projekt steht auch, dass sich 90 Prozent der männlichen Schüler den Einsatz von Spielen im Unterricht wünschen, aber nur 78 Prozent der Mädchen. Gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung?

Wagner: Der britische Erziehungswissenschaftler und E-Learning-Experte David Buckingham hat dazu einmal gesagt, dass das nur im Westen so sei und es etwa in Asien im Vergleich dazu mehr weibliche Spielerinnen gebe. Das ergibt auch Sinn, weil in Asien die Computerspieleindustrie sehr stark von Frauen dominiert wird, auch in der Entwicklung. Ich könnte mir daher sehr gut vorstellen, dass es eine kulturelle Sache ist. Wenn wir uns anschauen, wo die Computerspieleindustrie in Nordamerika und Europa herkommt, stellt man schnell fest, dass es von Grund auf eine extrem männlich dominierte Industrie gewesen ist und bis heute ist. Diese arbeitet in erster Linie auch einem männlichen Publikum zu. Dadurch hat man in der Spieleentwicklung sehr viele Mechanismen, die sehr männlich orientiert sind, wie etwa die Betonung des Wettbewerbs. Es gibt aber auch Spielkonzepte, die eher weiblich sind - und damit meine ich jetzt nicht das rosarote Pony. Bei denen geht es dann eher um soziale Beziehungen, wie etwa bei "Die Sims".

ORF.at: Sie wollten "Die Sims" in ihrem Forschungsprojekt zuerst einsetzen, haben sich dann aber dagegen entschieden. Warum?

Wagner: Wir wollten Bestsellerspiele in unser Projekt integrieren, dazu gehörte zum damaligen Zeitpunkt "Die Sims 2". In dem Spiel gab es auch eine Wirtschaftssimulation, und wir hielten es deshalb für geeignet. Es hat sich aber herauskristallisiert, dass "Die Sims" zu den Spielen gehört, bei denen es nur auf den ersten Blick so aussieht, als wären sie leicht einzusetzen. Es gibt jede Menge Cheat-Codes, über die man an beliebig hohe Geldsummen kommen kann, außerdem gibt es einen Geldbaum für den Garten. Dadurch lässt sich das Spiel plötzlich nicht mehr so einfach als Wirtschaftssimulation nutzen. Da braucht es jemanden, der das Spiel versteht und weiß, was passieren kann.

ORF.at: Gab es ein Spiel in Ihrem Projekt, das nicht so funktioniert hat, wie Sie es erwartet haben?

Wagner: Ja, "Civilization". Es hat sich gezeigt, dass man "Civilization" nur dann im Unterricht einsetzen kann, wenn man es zuvor selbst intensiv gespielt hat. Der geschichtliche Simulationscharakter ist sehr schwer zu kontrollieren, da muss ich als Lehrer selbst aktiv in die Simulation eingreifen können. Das war den meisten Lehrern in dieser Form nicht möglich.

ORF.at: Das widerspricht allerdings Ihren eigenen Studienergebnissen. Im Forschungsbericht steht, dass man selbst kein großer Spieler sein müsse, um Spiele im Unterricht einsetzen zu können.

Wagner: Ja, das stimmt auch, aber da gibt es natürlich Ausnahmen, speziell wenn es um Simulationen geht. Wenn ich ein sehr freies Spiel habe und den Spielverlauf selbst steuern muss oder eigene Spielszenarien entwickeln möchte, ist es sehr wohl notwendig, dass ich mich mit dem Spiel auskenne. Aber das ist eher die Ausnahme als die Regel. Die meisten Spiele sind sehr gut einsetzbar, ohne dass man wirklich Gamer sein muss.

ORF.at: Zurück zur Studie und zu den Schülern. Die haben bei der Befragung zu 84 Prozent angegeben, in der Schule mehr Spaß am Spielen zu haben als zu Hause. Woran liegt das?

Wagner: Die Schüler haben das Spielen daheim leider als Hausaufgabe verstanden, auch wenn es das gleiche Spiel war, das sie auch so zu Hause gespielt hätten. Das war für sie Arbeit und kein Spielen. Das hat mich ein bisschen frustriert, weil es bedeutet, dass die Schüler der Auffassung sind, dass Schule langweilig und hart sein muss. Das ist dermaßen in den Schülern verankert, dass sie sich manchmal sogar verweigern, etwas Lustbetontes zuzulassen. Eines der wichtigsten Argumente der Schüler, die keine PC-Spiele im Unterricht einsetzen wollten, lautete, dass Spiele dort nicht hingehören. Das war sehr eigenartig zu hören, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es derartig tief verankert ist, dass Schule aus Prinzip etwas Frustrierendes sein muss. Das frustriert wiederum mich.

ORF.at: Das kann ich mir vorstellen, aber die Kinder müssen diese Einstellung ja irgendwo gelernt haben.

Wagner: Das hat sicher noch viel mit der Wirtschaftswunderzeit zu tun, in der man stark auf Produktivität geachtet hat. Die Fixierung auf die Produktion hat dazu geführt, dass alles, was lustbetont ist, nicht hineinpasst. Arbeit muss anstrengend sein. Damit kämpfen wir momentan noch. Jetzt sollte man sich aber langsam einmal davon lösen.

ORF.at: Lassen Sie uns über etwas Erfreulicheres sprechen. Was hat der Einsatz von Spielen im Unterricht für die Schüler gebracht?

Wagner: Der Einsatz von Spielen hat vor allem die soziale Interaktion gesteigert. Das war ein ganz wesentlicher, nicht ganz erwarteter Aspekt. Die Schüler haben sich gegenseitig Dinge gezeigt und viel mehr miteinander gesprochen.

ORF.at: Hatten manche der Lehrer Probleme mit ihrer neuen Funktion, mehr Trainer als Lehrer zu sein?

Wagner: Die Lehrer, die am Projekt mitgewirkt haben, hatten keine Schwierigkeiten damit. Die können sich auch mit der Rolle zufriedengeben, nicht immer die Wissensträger sein zu müssen und sich von den Schülern Dinge erklären zu lassen. Dies gilt natürlich nicht für das breitere Lehrerpublikum. Da gibt es immer eine Gruppe von etwa 18 Prozent, die vollkommen resistent gegenüber Weiterbildung ist.

ORF.at: Sie haben außer kommerziellen Unterhaltungsspielen auch "Serious Games" eingesetzt.

Wagner: Wir hatten bei unserem Projekt ein sogenanntes "Serious Game" dabei, und zwar "Global Conflicts". Mit "Serious Games" bezeichnet man Spiele, die bewusst einen anderen Zweck als Unterhaltung verfolgen.

ORF.at: Gibt es da einen Unterschied zu klassischen Lernspielen?

Wagner: Das Problem bei Lernspielen ist oft, dass sie dem Begriff Spiel nicht gerecht werden. Ein Spiel ist etwas, das Freude machen soll. Beim Design von Lernsoftware kommt es in der Entwicklung zu einem Prozess, in dem im Vorhinein ein klares Ziel definiert wird. Das führt dazu, dass man das Ziel zwar sehr gut eingebaut hat, aber die Spielfreude auf der Strecke bleibt. Das ist auch der Unterschied zu "Serious Games": Das sind trotzdem Spiele, die Spaß machen - nur mit einem ernsthaften Ziel.

ORF.at: Was muss beim Einsatz von Spielen im Unterricht beachtet werden?

Wagner: Man darf nicht vergessen, dass Spiele Inhalte nicht gut transportieren können. Ich würde daher davon abraten, Inhalte über Spiele zu lernen. Spiele legen andere Kompetenzen frei, aber nicht Wissen. Wissen lässt sich anders vermitteln. Eine weitere Grundregel ist: Was auch immer man für ein Lernziel hat, es sollte sich in den Spielregeln abbilden. Je näher die Lernziele dem Spielziel sind, desto einfacher lässt sich ein Spiel im Unterricht einsetzen.

ORF.at: Wie sieht es mit Schullizenzen von kommerziellen Spielen aus?

Wagner: In der Regel gibt es keine, nur für "Serious Games". Das Spiel "Global Conflicts" etwa bietet Schullizenzen an. Kommerzielle Spiele müssen prinzipiell pro Person gekauft werden. Das war eine der Hürden, mit denen wir gar nicht gerechnet haben. Langsam wäre es eventuell Zeit, sich Lizenzmodelle für Schulen zu überlegen. Die Industrie hat aber Angst davor, da sie ja ein Unterhaltungsprodukt machen. In dem Moment, in dem etwas zum Lehrmittel wird, bekommt es eine andere Bedeutung. Da ist noch eine gewisse Zurückhaltung seitens der Hersteller zu spüren.

ORF.at: Glauben Sie, dass künftig mehr Spiele aus der Independent-Szene kommen werden, die sich für den Unterricht eignen?

Wagner: Ja, darauf setzen wir sehr große Hoffnungen. Wir haben in Österreich eine sehr gute Independent-Szene. Es gibt ja eine enorme Entwicklung hin in Richtung Casual Games, Facebook-Spiele und iPhone-Anwendungen. Die Tendenz ist für uns sehr wichtig, weil Casual Games, also kleine Spiele für zwischendurch, sich einfacher in eine Lehrsituation integrieren lassen. Sie bieten außerdem die Möglichkeit, Spieleentwicklung tatsächlich in den Unterricht zu bringen. Momentan ist es noch so, dass wir uns damit ein bisschen schwertun, weil man mit den Produkten nicht einmal annähernd konkurrieren kann. Das wird sich ändern, wenn Casual Games mehr in uns drin sind. Die werden von kleinen Teams in relativ kurzer Zeit programmiert und können daher durchaus auch in einer Schulsituation entwickelt werden. Da kommen spannende Zeiten auf uns zu.

ORF.at: Blicken wir in die Zukunft. Wie geht es mit dem Einsatz von Spielen im Unterricht weiter?

Wagner: Computerspiele werden irgendwann ein Unterrichtsmedium sein, wie es das Buch oder der Film jetzt bereits sind.

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(futurezone/Barbara Wimmer)