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Netzkultur: Das Ende der Selbstverwaltung

NEUE MEDIEN
22.10.2009

Das im Jahr 2006 von der Stadt Wien eingeführte selbstverwaltete Fördersystem für Netzkunst und -kultur erfährt einmal mehr ein Update, nachdem es in der Community vermehrt zu Konflikten gekommen ist. Unter "Reboot NetzNetz" wurde vergangene Woche das neue Konzept präsentiert. Dabei wurde die direkte Mitbestimmung erneut eingeschränkt.

Die Änderungen orientieren sich diesmal an einer vom Beratungsunternehmen FAS.research erstellten Studie, in deren Rahmen das bisherige partizipative Modell von Februar bis Juni einer Evaluierung unterzogen wurde. Vergangenen Dienstag präsentierte die SPÖ-Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin Sybille Straubinger in den Räumlichkeiten der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) die Ergebnisse gegenüber der NetzNetz-Community.

Die von den Studienleitern empfohlenen Konsequenzen sollen für die Fördervergabe für neue Medien im Jahr 2010 gelten. Daneben werde auch die begleitende Evaluierung durch FAS.research beibehalten, um schließlich das Projekt im Herbst 2010 nochmals neu zu bewerten und über dessen Zukunft zu entscheiden, so Straubinger gegenüber ORF.at.

Nur noch Erstlingsprojekte in Vergabewahl

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Details zur Vergabewahl und den letzten Änderungen 2008:

Das "Experiment NetzNetz", wie die Studienautoren das Fördermodell nennen, wird nicht zum ersten Mal umgestaltet. Von der ursprünglichen Idee - Fördernehmer entscheiden selbstverwaltet in direkten demokratischen Abstimmungen, wer oder was förderungswürdig ist - scheint mittlerweile nicht viel übrig geblieben zu sein.

"Nur noch Förderungen für Erstlingsprojekte werden wie bisher im Rahmen einer direktdemokratischen Vergabewahl durch die NetzNetz-Community selbst vergeben", so Straubinger. Das jährliche Festival "Annual Convention" sowie etablierte Projekte würden hingegen von einer international besetzten Jury beurteilt.

30.000 Euro werden von Community direkt vergeben

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Beim Start 2006 war das Budget wie folgt aufgesplittet: 250.000 Euro Vergabewahlen für Projekte, 100.000 Euro Vergabewahlen für Backbone-Projekte (Infrastruktur), 100.000 Euro "Annual Convention" und 50.000 Euro Kleinstförderungen (Vergabe durch MA7).

Der Anteil für Erstlingsprojekte an den insgesamt 500.000 Euro, die für digitale Kunst und Kultur jährlich zur Verfügung stehen, beträgt 30.000 Euro. Somit darf die Community nur noch über einen kleinen Bruchteil an Fördergeldern direkt entscheiden. Die maximale Förderhöhe für Erstlingsprojekte pro Künstler beziehungsweise Institution liegt bei 3.000 Euro. Beim Start des Projekts im Jahr 2006 lag der Anteil, über den die Community via Vergabewahlen direkt entscheiden konnte, noch bei 350.000 Euro.

Etablierte Projekte - jene also, die bereits in der Vergangenheit Fördergelder bekommen haben - werden künftig von einer international besetzten Jury bewertet. Wobei laut Straubinger "international" auch bedeuten könne, dass die Person aus Österreich stamme, aber international bekannt sei. Eine "österreichische" Jury gab es zuvor nur für die "Annual Convention" und den Bereich Medienkunst. Die MA7 unterscheidet bei den Fördereinreichungen zwischen Medienkunst und -kultur (siehe Marginalienspalte).

Die Definitionen für digitale Kunst und Kultur laut MA7:

Digitale Kunst bezeichnet Computerkunst, netzgestützte Kunst oder Medienkunst. Darunter ist künstlerisches Schaffen zu verstehen, das Kunstobjekte mit Hilfe digitaler Verfahren erzeugt. Computer sind dabei die entscheidenden Arbeitsgeräte.

Digitale Kultur ist eine Kultur, die erst im Zusammenhang mit dem Internet entstehen konnte. Die Strukturmerkmale des Internets wie Interaktivität, Dezentralität, Egalität erlauben Individuen und Gruppen, miteinander zu interagieren.

Jury wird aufgestockt

Laut Straubinger ist das ein "wichtiger Schritt, mit dem wir der wachsenden Professionalisierung und der Vielzahl an Projekten innerhalb der Szene Rechnung tragen". Zudem sei mit der Jury "schon noch viel Partizipation übrig, jetzt nur in anderer Form", meinte die Landtagsabgeordnete.

Die Jury werde zudem von vier auf fünf Personen aufgestockt. Wurden bisher zwei Personen von der Stadt Wien und zwei von der Community bestellt, so wird Letztere in Zukunft eine weitere, dritte Person nennen können.

Vorgeschichte

Der Versuch, die Entscheidungen über Fördervergaben den Fördernehmern selbst zu überlassen, führte laut Evaluierungsbericht im Lauf der Jahre zu Streitigkeiten. Zum einen gab es innerhalb der Community etwa Kritik am Ablauf der Vergabewahl, weshalb sich einige Akteure der Wahl nicht mehr stellen wollten und mit Beschwerden an die MA7 wandten. Diese sah sich wiederum vermehrt mit Konflikten konfrontiert, die aus ihrer Sicht nicht mehr bewältigbar waren.

Ende 2008 diskutierten die NetzNetz-Community und die MA7 zwei mögliche Varianten zur Fortführung des Experiments. Die erste Variante sah vor, die Selbstvergabe komplett durch eine Jury zu ersetzen. Variante zwei setzte auf die Fortführung der Selbstvergabe mit einer begleitenden Evaluierung. In einer Abstimmung entschied sich NetzNetz schließlich für Variante zwei. In weiterer Folge bekam FAS.research im Jänner 2009 den Auftrag, das Experiment zu bewerten und zu begleiten.

Erhebungsmethode

Die Ergebnisse der FAS.research-Studie und deren Empfehlungen, die schließlich zur Neugestaltung führten, sind die Summe von vier Erhebungsmodulen: mehreren Workshops mit den beteiligten Akteuren, einer Netzwerkanalyse (visuelle Darstellung und Bewertung von Sozialen Netzwerken), Experteninterviews und einer anonymen Online-Befragung der Community-Mitglieder.

Weniger Geld für Einrichtungen

Laut Günther Friesinger, Festivalleiter der "Annual Convention" Paraflows und Mitglied der Künstlergruppe monochrom, wird der Fördertopf über 500.000 Euro künftig wie folgt aufgeteilt werden: 100.000 Euro für die "Annual Convention", 30.000 Euro für Erstlingsprojekte, 100.000 Euro für Projekte im Bereich digitale Kunst, 170.000 Euro für Projekte aus dem Bereich digitale Kultur und weitere 100.000 Euro für Einrichtungen.

"Leider bekommen die Einrichtungen in Zukunft zugunsten der Projekte weniger", so Friesinger. So seien zuletzt noch 180.000 Euro für Einrichtungen vergeben worden. "Ziel der Stadt Wien ist es wohl, fixe Einrichtungen wegzubringen und mehr Richtung Projekte zu fördern."

Neutrale Haltung mit Kritik

Friesinger betonte gegenüber ORF.at seine "neutrale Haltung" zum Projekt NetzNetz. Dennoch vertritt er die Meinung, dass es problematisch sei, wenn Künstler über sich selbst abstimmen würden. Auch die 2008 eingeführten Trustees sowie die Jury seien problematisch gewesen. "Das waren Leute aus der Szene, die nicht objektiv waren und Gelder an nahestehende Personen vergeben haben." Eine Besserung erwarte er sich mit der künftig internationalen Jury.

Bei den Vergabewahlen habe es ständig Probleme gegeben, so Friesinger. So habe sich die Community nicht auf Regeln, wie das Geld verteilt werden soll, einigen können. Grund dafür seien auch die "verschiedenen Welten der Kunstschaffenden und der Personen aus dem Kulturbereich. Das Gerangel führt zwangsweise zu Problemen." Friesinger wünscht sich vor allem eine langfristige Lösung, damit sich "die Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden klar darauf einrichten können".

MA7 macht Rückzieher

Monika Mokre, Vorsitzende der Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien (FOKUS), sieht in den neuen Anpassungen eine "österreichische Lösung". Schließlich gehe es darum, "immer weniger Geld und Macht herzugeben". Mokre: "Den Rückzug seitens des Magistrats gibt es seit dem Vorjahr, seit die Jury eingeführt wurde." Aus ihrer Sicht werde zudem die Expertenjury fälschlicherweise als Form von Demokratie bezeichnet. "Nur weil etwas selbstverwaltet ist, ist es noch keine Demokratie", so Mokre.

Nach Mokres Meinung habe das Modell, dass Fördernehmer zugleich Fördergeber sind, aufgrund der kleinen Szene und der bestehenden Seilschaften zu Problemen führen müssen. "Man hätte es nie in dieser Art beginnen dürfen." Die Evaluierung - hier insbesondere die Workshops - findet die Kulturökonomin "spannend", wobei ihres Erachtens bei den Experteninterviews zu wenig Streuung gegeben sei, da nur Personen befragt wurden, die sich mit dem Projekt identifizieren würden.

Auch dass so viel über das Experiment diskutiert wurde, sei positiv zu werten. Auf der anderen Seite habe das auch den Nachteil gehabt, dass "über gewisse Dinge nicht gesprochen wurde". So sei damit etwa die Diskussion, wie viel Fördergeld die Stadt Wien für neue Medien zur Verfügung stelle, völlig untergegangen.

Findeisen: Frage nach dem Scheitern zu früh

Für Andreas Leo Findeisen, Medientheoretiker und Mitglied des NetzNetz-Koordinationsteams, sind die übrig gebliebenen 30.000 Euro zwar zu wenig, aber besser als nichts. Für Newcomer werde der Anreiz, sich um eine Förderung zu bewerben, damit gebremst.

Was die "direktdemokratische Besetzung" der Jury betreffe, gebe es seit Frühling 2008 mittlerweile eine eher positive Prozesserfahrung, die sich ausbauen und leichter von befreundeten Communitys im Ausland adaptieren lasse. "Im internationalen Vergleich bedeutet das immer noch einen unbestreitbaren Vorteil an Selbst- und Mitbestimmung, im lokalen Vergleich zu den vergangenen vier Jahren einen weiteren deutlichen Abstrich der anfänglichen Potenziale", resümierte Findeisen.

Für den Medientheoretiker ist NetzNetz ein "Hackerprojekt", das immer als verbesserungswürdiges System gesehen wurde. Jedoch sei das "wir" fraglich geworden: "Zwei oder drei Gruppen haben dazu aufgerufen, die Online-Umfrage zur Evaluierung zu boykottieren mit dem Ziel, die Selbstverwaltung aufzugeben", kritisierte Findeisen. Die Frage, ob das Projekt gescheitert sei, ist Findeisen "noch zu früh gestellt".

"Gouvernementalisierung durch Community"

Clemens Apprich: It's the community, stupid! Urbane Regierungstechniken der Selbstverwaltung. In: Konrad Becker/Martin Wassermair (Hg.): Phantom Kulturstadt. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik II. Wien 2009.

Der Autor Clemens Apprich widmete sich in einem kürzlich erschienen Aufsatz dem Fördermodell NetzNetz. Gegenüber ORF.at sprach er von einer neuen "Regierungstechnologie, nämlich einer 'Gouvernementalisierung durch Community'". "Die 'selbsternannte Community' wird in einem ständigen Projektstatus gehalten, damit sich keine Strukturen herausbilden können", so der Promotionsstudent im Fach Kunst- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Letztlich handle es sich um "implizite Machtprozesse, welche die neue Regierungstechnologie stützen". Das lasse sich auch an der Auswahl der Experten ablesen: Straubinger, Friesinger und Findeisen sowie Sylvia Faßl-Vogler (MA7, Vertreterin der Verwaltung), Joanna Pianka (Vertreterin der NetzNetz-Koordination) und Simon Häfele (Vertreter der Netzkunst).

Für die Künstler und Kultureinrichtungen bedeutet das wohl ein weiteres Jahr in Ungewissheit darüber, wie es langfristig weitergeht. Fest steht jedenfalls, dass es keine Erhöhung des Förderbudgets geben wird. Denn wichtig sei jetzt gewesen, die Probleme der letzten Monate zu lösen, so Straubinger.

(futurezone/Claudia Glechner)