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"Soziale Netzwerke verändern das Gehirn"

GESELLSCHAFT
18.10.2009

Die britische Hirnforscherin Susan Greenfield steht Sozialen Netzwerken wie Facebook und MySpace kritisch gegenüber. Die Wissenschaftlerin warnt davor, dass diese Websites sowie bestimmte Computerspiele die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern reduzieren können. Greenfield will, dass Eltern und Lehrer mehr mit Kindern und Jugendlichen über die Kommunikation im Internet sprechen.

ORF.at: Frau Greenfield, Sie behaupten, dass Soziale Netzwerke einen Einfluss auf das Gehirn hätten und dabei unter anderem die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern reduzieren könnten. Wie geht das vor sich?

Zur Person:

Susan Greenfield ist eine britische Hirnforscherin, Buchautorin und Professorin für Pharmakologie an der Universität Oxford. Seit 1998 steht sie als erste Frau der Forschungsakademie Royal Institution of Great Britain als Direktorin vor. Ihr Spezialgebiet ist die Physiologie des Gehirns.

Greenfield: Da müssen wir mit der Tatsache beginnen, dass das menschliche Gehirn sehr feinfühlig und anpassungsfähig ist und sehr sensibel auf die Außenwelt reagiert. Das Gehirn verändert sich durch die Einflüsse der Außenwelt. Viele Menschen leben heutzutage sowohl in einer realen als auch in einer virtuellen Welt. Ich kenne leider keine aktuellen Zahlen aus Österreich, aber britische Kinder verbringen etwa 900 Stunden pro Jahr in der Schule, 1.300 Stunden mit der Familie, und 2.000 Stunden pro Jahr sitzen sie vor dem Bildschirm. Die Tätigkeiten vor dem Bildschirm verlangen rasche Reaktionen, weil ständig neue Bilder auf dem Monitor auftauchen. Das Gehirn gewöhnt sich an die hohe Geschwindigkeit, in der es stimuliert wird, dadurch reduziert sich die Aufmerksamkeitsspanne. Das könnte auch die Zunahme der Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS) erklären, da sich das Gehirn an die raschen Aktivitäten, die oft nur von kurzer Dauer sind, gewöhnt.

ORF.at: Wie sind Sie zu dieser Ansicht gelangt?

Greenfield: Dass Kinder immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen, wurde mehrfach wissenschaftlich erforscht. Dass eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung durch Bildschirmtechnologien und Soziale Netzwerke ausgelöst wird, ist allerdings schwer zu untersuchen, weil man immer eine Kontrollgruppe braucht. Wir haben es hier ja mit Kindern zu tun.

ORF.at: In der letzten Zeit liest man immer wieder, dass Soziale Netzwerke auch von älteren Personen verstärkt genutzt werden. Hat die Nutzung auch bei älteren Personen Auswirkungen auf das Gehirn?

Greenfield: Die Nutzung Sozialer Netzwerke wie Facebook wird immer mehr von der Gesellschaft akzeptiert. Derzeit gibt es eine Art Übergangsgeneration, aber in 20 Jahren wird jeder mit Computern aufgewachsen sein. Ältere Personen benutzen PCs und Soziale Netzwerke anders als die Jungen. Sie verarbeiten Informationen in einer anderen Art und Weise, da sie in einer Welt der Bücher aufgewachsen sind.

ORF.at: Nehmen wir an, dass Sie recht haben. Welche Folgen hat die Nutzung Sozialer Netzwerke Ihrer Meinung nach?

Greenfield: Alles, was man tut, verändert die Art und Weise, wie man denkt. Ich glaube, dass die 900 Online-Freunde, die manche Kinder in Sozialen Netzwerken haben, nicht echte Freundschaften ersetzen können. Wer von den 900 Online-Freunden ist bereit, einem Geld zu leihen oder Trost zu spenden, wenn es einem schlecht geht?

ORF.at: Nutzen Sie selbst Soziale Netzwerke?

Greenfield Nein, da ich echte Freundschaften pflege und nicht die Zeit dazu habe. Ich habe ein sehr erfülltes Leben.

ORF.at: Kinder benutzen solche Netzwerke vor allem in ihrer Freizeit, ohne das Beisein von Lehrern und Eltern. Denken Sie, dass eine reflektierte Nutzung digitaler Medien helfen würde, mögliche Gehirndefizite zu vermeiden?

Greenfield: Auf jeden Fall. Das wurde auch kürzlich bei einer Debatte im britischen Oberhaus vorgeschlagen. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass Regeln dabei helfen würden, eine exzessive Nutzung digitaler Medien einzuschränken. Natürlich wäre aber Aufklärung besser als eine Regulierung. Wir müssen den Kindern Alternativen zeigen.

ORF.at: Meinen Sie damit Alternativen in der Online- oder der Offline-Welt?

Greenfield: Beides. Einerseits müssen wir über Wege nachdenken, junge Leute auch wieder für die Offline-Welt zu begeistern. Sie brauchen auch im realen Leben Nervenkitzel, Liebesaffären oder einfach Spaziergänge im Regen. Es wäre eine Schande, wenn menschliche Wesen den ganzen Tag nur noch vor dem Computer sitzen würden. Außerdem wäre es paradox, denn Technologie sollte da sein, um uns länger am Leben zu erhalten, nicht, um ein weniger erfülltes Leben zu führen. Natürlich können wir auch bestimmte Online-Aktivitäten dazu nutzen, nur ist das meistens nicht der Fall. Leute spielen dann lieber Spiele am Computer, bei denen sie nicht mit Konsequenzen zu rechnen haben, anstatt zu kommunizieren.

ORF.at: PC-Spiele könnten doch auch zum Lernen eingesetzt werden.

Greenfield: Das ist natürlich ein gutes Argument, da kommt es allerdings auf den Lernzweck und das Spiel an. Spiele, bei denen man beispielsweise das Gehirn trainiert, sind sicherlich eine gute Sache. Viele Spiele konzentrieren sich aber auf den schnellen Kick, und es werden keine Inhalte transportiert. Als Beispiel nehme ich da gerne die Prinzessin, die gerettet werden soll. Bei dem Prozess der Befreiung lernt man nichts über die Prinzessin selbst, sondern es geht nur darum, so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen.

ORF.at: Wenn es um die Inhalte geht, die transportiert werden sollen, wie stehen Sie dann beispielsweise zu E-Books?

Greenfield: Wenn dieselbe Information auf die gleiche Art und Weise in einem E-Book zu finden ist wie in einem herkömmlichen Buch, dann macht es für das Gehirn keinen Unterschied. Wenn auf dem Bildschirm allerdings visuell ein anderes Bild präsentiert wird oder Geräuscheffekte statt Worte verwendet werden, dann macht es sehr wohl einen Unterschied.

ORF.at: Reagiert das Gehirn auf Geräusche anders als auf das geschriebene Wort?

Greenfield: Ja, ein geschriebenes Wort steht für etwas. Wenn ich jetzt beispielsweise über "Ehre" schreibe, weckt das im Gehirn gewisse Assoziationen. Jetzt versuchen Sie einmal, "Ehre" audiovisuell darzustellen ...

Susan Greenfield kommt am 21. Oktober im Rahmen des "mobile.futuretalk 09" nach Wien, um dort zusammen mit Facebook-Mitbegründer und Obama-Wahlkämpfer Chris Hughes für und wider die Digitalisierung menschlicher Beziehungen zu diskutieren.

ORF.at: Ich sehe schon, Sie mögen Bildschirme nicht besonders. Aber kann Technologie nicht auch kreativ eingesetzt werden?

Greenfield: Natürlich! Ich schlage keineswegs vor, dass wir alle Computer gegen die Wand schmeißen sollen. Ich möchte nur auf mögliche Nachteile hinweisen, die bestimmte Prozesse im Gehirn auslösen können. Wir müssen uns allerdings zuerst klar darüber werden, wie die Gesellschaft von morgen überhaupt aussehen soll.

ORF.at: Wie soll die Gesellschaft von morgen Ihrer Meinung nach aussehen?

Greenfield: Ich möchte erfüllte Leute sehen, die stolz darauf sind, etwas erreicht zu haben, und der Gesellschaft nützen. Ich wünsche mir individuelle Persönlichkeiten, die sich in einer positiven Art und Weise selbst erfüllen.

ORF.at: Hat Technologie in einer solchen Gesellschaft keinen Platz?

Greenfield: Doch. Technologie hat uns viele Freiheiten gegeben, und gerade ältere Menschen können enorm vom Einsatz neuer Technologien profitieren. Wir müssen uns nur noch mehr damit auseinandersetzen und nicht so tun, als sei bereits alles perfekt.

(futurezone/Barbara Wimmer)