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Das Smartphone als Buch der Zukunft

MEDIEN
16.10.2009

Wird die Buchbranche im Internet ein ähnliches Desaster erleben wie die Musikbranche? Unkenrufe gibt es allerorten. So gehen die Buchverkäufe in den USA und Europa seit einigen Jahren langsam zurück. Doch der E-Book-Markt zieht jetzt richtig an - und Handys werden immer lesefreundlicher. In China erreichen über Smartphones angebotene E-Books bereits heute ein großes Publikum.

Der Marktforscher Stefan Herwig ist ein Mahner. Er prophezeite auf der Frankfurter Buchmesse den Verlagen ein drohendes Marktversagen: Digitale Bücher seien wie digitale Musik nicht mehr ein privates Gut, das verkauft werden könne. Es wandle sich zum Mautgut, über dessen Verfügbarkeit man etwa über Abonnementpreise erneut verhandeln müsse. Doch das Verhandeln sei angesichts der zahlreichen Raubkopien kaum noch möglich - der Preis drohe ins Bodenlose zu sinken, und nur die Politik könne das drohende Marktversagen noch in den Griff bekommen.

Herwigs Ruf nach mehr Politik wollen sich innovative Verlage jedoch nur ungern anschließen. Ihnen geht es darum, auf ganz andere Weise aus den Fehlern der Musikindustrie zu lernen. Sarah Lloyd vom britischen Verlagshaus Pan Macmillan warnte auf der Konferenz "Tools for Change for Publishing" in Frankfurt jedoch davor, damit "zu lange zu warten, sonst ist es zu spät". Die Herausforderungen für die Verleger kämen vor allem von neuen Playern: Suchmaschinenkonzerne wie Google, Onlinebuch-Händler wie Amazon und Handyhersteller wie Apple.

E-Books als Extraformat

Die Zeichen für den E-Book-Markt sind denn auch ermutigend: In den USA verzeichneten E-Books laut der Unternehmensberatung Forrester in den letzten vier Quartalen bereits Umsätze von 94 Millionen US-Dollar (63,15 Mio. Euro) - Tendenz steigend. Google, Amazon sowie die Handelskette Barnes & Noble investieren stark in den neuen Markt. Auf dem deutschen Markt erscheinen laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels bereits 37 Prozent aller Neuerscheinungen entweder ausschließlich oder zusätzlich als E-Book. Insbesondere im Bereich der Fachbücher sind es sogar bereits 51 Prozent. Von den Backlist-Titeln liegen bereits 22 Prozent als E-Book vor.

Eine große Rolle spielen neben der wachsenden Zahl von E-Readern aber auch die größeren und besser auflösenden Bildschirme von Smartphones. Allein für das iPhone mit seinem großen Display gibt es schon zahlreiche Anwendungen für das mobile Lesen, weiß Neelan Choksi von Lexcycle - einer Dreipersonenfirma, die für das iPhone die beliebte Lesesoftware Stanza entwickelte und die in diesem Jahr von Amazon übernommen wurde. Bereits über 115.000 Bücher sind für das iPhone verfügbar, die Hälfte davon kostenlos.

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Fantasy mit DRM

Auf Handyleser setzt auch das österreichische Unternehmen Blackbetty, das in Kooperation mit Vodafone mit 50 Bezahltiteln auf der Plattform "Vodafone Life" durchstarten will. Der Autor Wolfgang Hohlbein wird für den Start wöchentlich mit einem Autorenteam neue und aktuelle Folgen für seine Fantasyserie Wyrm schreiben - kostenlos für Leser wie Anbieter. Denn für alle Beteiligten handelt es sich um ein Experiment. Alle Bücher, die ein Leser über Vodafone kauft, bleiben jedoch auf dem Handy, da der Rechteerwerb mit der Gerätenummer das Handys verknüpft wird. Ein Weitertransport auf den heimischen Rechner oder gar ein befristetes Verleihen an Freunde ist ausgeschlossen.

Der Umgang mit den Digital-Rights-Management-Systemen ist damit auch in der Buchindustrie ein Politikum: IPhone-Experte Neelan Choksi betont, wie wichtig es ist, sich auf die Bedürfnisse der Leser einzustellen: "Ein einmal gekauftes E-Book muss dem Leser immer gehören können. Anwendungen und Geräte müssen freie öffentliche Inhalte und offene Standards unterstützen." Auch bei Amazons E-Readern ist genau das noch nicht der Fall. Große Chancen rechnet sich daher die Berliner Firma txtr aus, die ihren E-Reader im Dezember in Deutschland für 319 Euro auf den Markt bringen will. Im nächsten Jahr soll txtr auch in Österreich und der Schweiz verfügbar sein. Über eine Mobilfunkanbindung können sich Leser ihre Bücher von der txtr-Plattform laden. Die Plattform ist offen: Sie selbst können über sie eigene Dateien hochladen und verwenden. Gefertigt wird das Gerät in China von der Firma Goldmine.

E-Book-Boom in China

Aus der Experimentierphase wuchs der chinesische E-Book-Anbieter Shanda Literature längst heraus. Auf der Buchmesse präsentierte Geschäftsführer Hou Xiaoqiang beeindruckende zahlen: 800.000 Autoren sind für die vier Websites von Shanda aktiv. 10.000 Autoren wurden bereits unter Vertrag genommen. Shanda hält inzwischen das Copyright an über 100.000 Titeln. Von einzelnen Titeln wurden über 15 Millionen Kopien verkauft. 2008 setzte das Unternehmen bereits zehn Millionen Euro um, ein Zehnfaches des Vorjahres. Abgerechnet werden die gelesenen Seiten über ein Mobile-Payment-System, da die Leser die Bücher auf ihrem Handy lesen.

Die Autoren aktualisieren ihre E-Books täglich. Der erfolgreichste Autor lädt täglich 10.000 chinesische Zeichen auf die Plattform, hat 30.000 Leser und verdient so an einem guten Tag rund 260 Euro. Die Leser dürfen die erste Hälfte eines Buchs kostenlos lesen, danach kostet jede Seite mit 1.000 Zeichen zwei bis drei Cent. Je nach Vertrag erhält ein Autor 20 bis 50 Prozent. Rund 100 Autoren verdienen auf diese Weise im Jahr rund 100.000 Yuan, das sind rund 9.800 Euro.

Verschränkung mit Book-on-Demand

In Deutschland will die E-Book-Plattform BookRix Anfang 2010 mit einem ganz ähnlichen Konzept an den Start gehen. Gleichwohl sind es hier erst einmal nicht die Leser, die bezahlen, sondern die Autoren: Sie erhalten über ein Servicepaket von voraussichtlich rund 40 Euro nicht nur ein E-Book samt ISBN-Nummer, sondern auch die Möglichkeit, das Buch über Book-on-Demand als Printversion verkaufen zu können.

Auch klassische Verleger können sich auf gute Zeiten einstellen, meint Andrew Savikas vom amerikanischen Computerbuch-Verleger O'Reilly. O'Reilly gehört zu den wenigen Verlagen, die die elektronische Ausgabe bereits Wochen vor der Printausgabe auf den Markt bringen. Für Savikas ist klar, dass "das uns einen Vorsprung gibt". Verleger in Deutschland dürften bei diesem Satz aufhorchen. Eine aktuelle Umfrage des Börsenvereins ergab nämlich, dass kein einziger Verleger das E-Buch vor der Printausgabe herausgibt. Immerhin 59 Prozent bringen es aber inzwischen gleichzeitig heraus.

E-Book überholt Print

Vor 18 Monaten verzeichnete der O'Reilly-Verlag eine klare Wende: Seither verkauft er mehr E-Books als Printtitel, inzwischen verzeichnet er im E-Book-Bereich sogar einen doppelt so hohen Umsatz wie im Printbereich - bei Umsatzsteigerungen von über 50 Prozent. Perspektiven für das elektronische Buch sieht Savikas vor allem bei den Handynutzern in den Entwicklungsländern: Dort ist ein Handy nämlich leichter verfügbar als ein Buch. Damit erreichen Verleger völlig neue Märkte, da "der digitale Markt ein globaler Markt ist", so Savikas.

Dass der E-Buchmarkt jetzt allerdings noch in den Kinderschuhen steckt, meint auch Savikas: "E-Books dürfen nicht nur wie Printbücher sein. Wir müssen sie webfreundlich machen. Handys haben Ohren, Augen, einen Kompass und eine Web-Verbindung. Damit ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten." Ein Beispiel für eine gelungene E-Book-Umsetzung präsentierte Savikas mit dem "iBird Explorer Pro", einem elektronischen Vogelführer, der am Smartphone einzelne Vogelrufe abspielen und so direkt an Ort und Stelle bei der Identifizierung helfen kann. Eine andere Möglichkeit besteht darin, ein Buch öffentlich zu schreiben. Die Autoren von "Real World Hasekll" schrieben im Web - und luden die Leser ein zu kommentieren. Sie erhielten während des Schreibens 7.500 Kommentare, 2.000 seit der Veröffentlichung - und wurde zu O'Reillys Besteller im letzten Jahr.

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(Christiane Schulzki-Haddouti)