D: Data-Retention limitiert, nicht abgeschafft
Der Kompromiss zwischen FDP und Union in Sachen Internet-Sperren und Data-Retention sieht vor, dass die umstrittenen Gesetze stark eingeschränkt, aber nicht abgeschafft werden. Bürgerrechtler und Wirtschaftsverbände begrüßen den Kompromiss, die Piratenpartei kritisiert ihn scharf.
Am Donnerstag waren erste Informationen über den Kompromiss bekanntgeworden, den die Arbeitsgruppe zu Justiz- und Innenpolitik in den Koalitionsverhandlungen zwischen FDP und Union erreicht hat. ORF.at erreichte am Freitag den FDP-Innenexperten Max Stadler, der die Beschlüsse der Arbeitsgruppe zum Umgang mit Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) und Internet-Sperren gegen Kinderpornografie präzisieren konnte.
Einschränkungen bei Data-Retention
"Die Regelung der Vorratsdatenspeicherung ist einfach", so Stadler, "die Behörden dürfen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die gesammelten Daten zugreifen. Es gibt aber eine Ausnahme, und zwar, wenn eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit vorliegt. Wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, dann muss die Regierung nochmals darüber verhandeln." Gesammelt werden die Verbindungs- und Handystandortdaten aller Bewohner Deutschlands unterdessen weiterhin.
Was das Zugangserschwerungsgesetz angehe, mit dem die alte schwarz-rote Koalition Internet-Sperren unter Kontrolle des Bundeskriminalamts einrichten wollte, so habe die FDP erreicht, dass der Grundsatz "Löschen statt Sperren" in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, so Stadler. Konkret bedeute das, dass das Gesetz zwar vom Bundespräsidenten unterzeichnet werde, allerdings verzichte man ein Jahr lang auf die Umsetzung der im Gesetz vorgeschriebenen Maßnahmen, etwa auf Einrichtung der geheimen Sperrliste und den Zwang zur Übernahme der Liste für die Provider.
Das gelte auch für die im Vorfeld der Debatte unterzeichneten Verträge zwischen Providern und BKA. Nach einem Jahr sollten die Erfolge des BKA und der Internet-Wirtschaft beim Entfernen von Kinderpornos aus dem Netz von Strafverfolgern, Bundesregierung und Industrievertretern evaluiert werden.
Kompromiss vor Bestätigung
Das bestätigte auch Anders Merzlufft, Sprecher von FDP-Justizexpertin und Verhandlungsdelegationsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, gegenüber ORF.at: "Löschen statt sperren steht im Koalitionsvertrag." Man setze darauf, dass das BKA gegen Websites vorgehe, die beispielsweise von Bürgern über Anlaufstellen wie INHOPE gemeldet werden.
Die konkreten Formulierungen für den Koalitionsvertrag sind noch nicht bekannt. Laut Auskunft aus der CDU-Zentrale wird der amtierende Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am Freitag die Ergebnisse im Rahmen des Verhandlungsmarathons am Wochenende präsentieren. Zu den Details der Vereinbarungen wollte die CDU-Zentrale daher nichts weiter sagen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer müssten die Verhandlungsergebnisse noch absegnen. Die Koalitionsverhandlungen würden frühestens am Sonntag abgeschlossen sein. Laut Informationen der "Süddeutschen Zeitung", die CDU-Verhandlungsführer Schäuble zitiert, sei der Kompromiss allerdings bereits mit Billigung von Kanzleramtschef Lothar de Maiziere verkündet worden. Außerdem ist, wie ORF.at aus Kreisen erfuhr, kein einziges Thema aus der Arbeitsgruppe Justiz- und Innenpolitik so strittig gewesen, dass es in der Steuerungsgruppe für Nachverhandlungen gelandet wäre.
Reaktionen von Bürgerrechtlern und Piraten
Der deutsche Netzpolitikaktivist Alvar Freude, der sich im Rahmen des Arbeitskreises Zensur gegen die Einführung der Internet-Sperren engagiert, hatte die Verhandlungsergebnisse am Donnerstag begrüßt. Es sei ein "toller Erfolg für uns alle, die sich auf vielfältige Art gegen Internet-Sperren und Internet-Zensur ausgesprochen haben". Man dürfe sich nun allerdings nicht auf dem Verhandlungserfolg der FDP ausruhen: "Die vielen Lobbygruppen, die sich eine Sperr-Infrastruktur wünschen, werden nicht Däumchen drehen."
Auch der Hightech-Verband BITKOM begrüßte in einer Aussendung vom Freitag die Einigung zwischen FDP und Union, vor allem den Kompromiss in Sachen Internet-Sperren. "Eine Bekämpfung der Kinderpornografie an der Quelle verspricht mehr Erfolg, erreicht eher die Täter und verbessert den Schutz der Opfer und die Verbrechensprävention", so BITKOM-Präsident August-Wilhelm Scheer.
Weitere Kompromisspunkte
Weiters vereinbarten Union und FDP, dass das Bundesdatenschutzgesetz und der Arbeitnehmerdatenschutz reformiert werden sollen. In eine Visa-Warndatei sollen Antragsteller oder "Einlader" von Menschen aufgenommen werden, die gegen die Visabestimmungen verstoßen haben.
Beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren konnte sich Schäuble nicht durchsetzen, eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes kommt nicht. Den Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten und Journalisten vor Lauschangriffen soll zumindest überprüft werden. Der im BKA-Gesetz festgelegte Schutz von Strafverteidigern wird auf alle Anwälte ausgeweitet.
Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco e. V. zeigte sich ebenfalls erleichtert über den Kompromiss. "Die Entscheidung der Koalition ist auch eine Bestätigung der jahrelangen Arbeit der nationalen und internationalen Beschwerdestellen der Internet-Wirtschaft, die gerade bei kinderpornografischen Angeboten auf ausländischen Servern gut funktioniert", so Oliver Süme, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbands.
Die deutschen Provider betreiben bereits seit zwölf Jahren eine Beschwerdestelle, bei der Nutzer Websites mit rechtswidrigen Inhalten melden können. Auch der österreichische Provider-Verband ISPA setzt auf dieses Modell.
Scharfe Kritik kam hingegen am Freitag aus der Bundespressestelle der Piratenpartei Deutschland. "Die Kompromisse tragen eindeutig eine tiefschwarze Handschrift", so Florian Bischof, Mitglied des Landesvorstands der Berliner Piraten. Bischof kritisierte, dass es der FDP nicht gelungen sei, die umstrittenen Gesetze ganz zu kippen. Thorsten Wirth vom Bundesvorstand der Piratenpartei befürchtet, "dass sich die FDP durch Schönheitskorrekturen an den bekannteren Sicherheitsgesetzen aus der Affäre ziehen will, ohne die anderen überhaupt anzusprechen".
(futurezone/Günter Hack/AFP)