EU-Ausschüsse in Bundes- und Nationalrat debattieren Stockholm-Programm

KONTROLLE
20.10.2009

Die EU-Ausschüsse von Bundesrat und Nationalrat haben sich mit dem Stockholm-Programm befasst, in dem die Sicherheitsagenda der Union für die kommenden fünf Jahre festgelegt wird. Kritische Sicherheitsexperten und Datenschützer warnen vor weiteren tiefen Eingriffen in die Bürgerrechte.

Wie die Parlamentskorrespondenz am Dienstag mitteilte, hat das Stockholm-Programm der Europäischen Union den EU-Ausschuss des Bundesrats einstimmig passiert. Das Programm regelt das Vorgehen der EU-Mitgliedsländer im Bereich Inneres und Justiz für den Zeitraum von 2010 bis 2014. Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung der Zusammenarbeit der Strafverfolger in den Mitgliedsländern. Das Stockholm-Programm wird am Dienstag auch im EU-Unterausschuss des Nationalrats beraten.

Die von den Parlamentariern geladene Expertin Ingrid Sonnleitner aus dem Innenministerium bezeichnete den Vorschlag der EU-Kommission als "ausgewogenes Papier", bei dem "der Bürger in den Mittelpunkt" gestellt werde. Der verhandelte Vorschlag der Kommission dient als Grundlage für die Debatte im EU-Ministerrat für Justiz und Inneres. Die Kommission hatte den konkreten Entwurf für das Programm unlängst an den Rat übermittelt. Es soll im Dezember beschlossen werden.

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Verstoß gegen Datenschutzprinzipien

Die Bundesräte wiesen allerdings, wie es die Parlamentskorrespondenz formulierte, auf "Bedenken aus grund- und datenschutzrechtlicher Sicht" hin. Diese sollten von den zuständigen Mitgliedern der Bundesregierung bei den Verhandlungen über das Dokument mit der EU in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Länderkammer gelöst werden. Das Stockholm-Programm befasst sich hauptsächlich mit Migrationsfragen, aber auch mit Strategien für den Kampf gegen Cyberkriminalität und Terrorismus.

Unlängst hatte Peter Hustinx, oberster Datenschützer der EU, festgestellt, dass das Stockholm-Programm massive datenschutzrechtliche Probleme aufwerfe und abermals tiefe Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung bringe. Unter anderem sollen die Strafverfolger aus den Mitgliedsländern Zugriff auf die zentrale Fingerabdruck-Datenbank EURODAC erhalten, die ursprünglich zum Abgleich in der Bearbeitung von Asylanträgen angelegt worden war. Hustinx lehnt das scharf ab, da es einen der wichtigsten Grundsätze des Datenschutzes verletze, nämlich den, dass Daten nur zu dem klar definierten Zweck verwendet werden dürften, zu dem sie eingehoben wurden.

Warnung vor "Datenbankstaat"

Tony Bunyan, britischer EU-Kritiker und Betreiber der Website Statewatch, kritisierte, dass mit dem Stockholm-Programm Regeln für den freien Verkehr mit persönlichen Daten geschaffen werden sollten. Damit würde die EU den Menschen nicht mehr Rechte geben, sondern weniger, da sie keine Kontrolle mehr über die Verwendung ihrer Daten hätten, so Bunyan. Tatsächlich geht es im Stockholm-Programm auch darum, wie der Austausch sensibler Polizeidaten mit den USA und Drittstaaten geregelt werden soll. Zu den anstehenden Problemen gehören der Umgang mit Finanztransferdaten und erhobenen Flugpassagierdaten. "Das Programm hat das klare Ziel, eine Überwachungsgesellschaft zu schaffen und den Datenbankstaat einzurichten. Künftige Generationen, die in dieser Gesellschaft werden leben müssen, werden gerechtfertigterweise fragen, warum wir nichts getan haben, um diese Entwicklung aufzuhalten", so Bunyan.

In einem zuletzt von Statewatch veröffentlichten Entwurf des Rates ist auch davon die Rede, dass der Schutz der Informationsinfrastruktur verbessert und die Forschung an Sicherheitsthemen im Rahmen von Public-Private-Partnerships vorangetrieben werden soll. In Sachen Internet-Sperren gegen Kinderpornos gibt sich der Entwurf unter Punkt 4.4.3 vage und verweist auf das "Safer Internet Programme" der Union für den Zeitraum von 2009 bis 2013. Hierin hat die Kommission allerdings auf die Selbstregulierung der Provider und das Netz an bereits bestehenden Meldestellen gesetzt.

Stärkung von Europol

Weiterhin urgiert der Rat die Mitgliedsstaaten, das Cybercrime-Abkommen des Europarats aus dem Jahr 2001 zu ratifizieren. Österreich hat dieses zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Was das "geistige Eigentum" betrifft, drängt der Rat darauf, das von der Kommission vorgeschlagene "European Observatory on Counterfeiting and Piracy" zu unterstützen. Rat und Parlament sollten "so schnell wie möglich" den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie annehmen, in der Maßnahmen zur Stärkung geistiger Eigentumsrechte vorgesehen sind.

Generell steht das Stockholm-Programm für eine stärkere Vernetzung der Behörden in den EU-Mitgliedsländern in Sachen Migration und Kriminalitätsbekämpfung. Außerdem soll Europol stärker ausgebaut werden, auch was die Bekämpfung von Online-Kriminalität angeht. Die Cybercrime-Konvention des Europarats soll hierfür den Rahmen bilden. Es wird schwer sein, die in den Entwürfen von Kommission und Rat häufig angesprochene Balance zwischen Sicherheitsbedürfnis und Schutz der Bürgerrechte zu finden - zumal noch nicht einmal alle der äußerst umfangreichen und teils tief in die Bürgerrechte einschneidenden Maßnahmen des Vorläuferprogramms, Stichwort: Vorratsdatenspeicherung, umgesetzt und evaluiert wurden.

Last Exit Lissabon

Hustinx hatte in seiner letzten Stellungnahme zum Stockholm-Programm vorgeschlagen, erst die Auswirkungen dieser Maßnahmen zu evaluieren, bevor immer neue Datenbanken und Vernetzungsinitiativen gestartet werden. Doch die Zeit für die Sicherheitspolitiker drängt: Tritt der Vertrag von Lissabon in Kraft, darf das traditionell eher kritische EU-Parlament auch in Sicherheitsfragen mitbestimmen.

Positionen der Regierungsparteien

Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) kündigte in einer Aussendung vom Dienstag an, dass der Rat für Justiz und Innere Angelegenheiten auf seiner Sitzung am Freitag in Luxemburg über das Programm beraten werde. Fekter begrüßte in ihrer Aussendung die Initiativen für mehr Kooperation im Polizeibereich, Österreich sei als kleines Land auf die internationale Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden angewiesen. Zum Bereich Cybercrime ließ Fekter nichts verlauten. Georg Keuschnigg (ÖVP), EU-Ausschussobmann im Bundesrat, begrüßte die im Stockholm-Programm vorgesehenen Maßnahmen, mahnte aber, dass es darauf ankomme, "die Balance zwischen Mobilität, Sicherheit und Bürgerrechten zu wahren".

Seitens der SPÖ-Nationalratsabgeordneten meldeten sich Europasprecherin Christine Muttonen sowie Konsumentensprecher und Datenschutzexperte Johann Maier zu Wort. Muttonen ließ verlautbaren, dass es notwendig sei, die grenzüberschreitende Kooperation der Polizeibehörden zu verbessern, allerdings müssten diese Maßnahmen in Relation zur Zweckmäßigkeit stehen und das Recht auf Schutz der Privatsphäre gesichert bleiben. Maier begrüßte, dass der EU-Unterausschuss des Nationalrats in seiner Feststellung festgehalten habe, dass der Schutz der Grundrechte und der Datenschutz von hoher Bedeutung seien. Kritisch sieht Maier die Vorschläge zur gegenseitigen Anerkennung von Beweisen und Entscheidungen der Justiz.

Sowohl ÖVP als auch SPÖ sprachen sich dafür aus, bei der weiteren Konkretisierung des Stockholm-Programms die nationalen Parlamente einzubinden.

(futurezone/Günter Hack)