© ORF.at/Barbara Wimmer, Audimax-Besetzung

Uniproteste als "dezentraler Schwarm"

INTERNET
28.10.2009

Wer wissen will, wie und warum die Studierenden an Österreichs Universitäten derzeit protestieren, kann das jederzeit im Internet nachvollziehen. Neben Twitter und Facebook kommen auch Livestreams, Chats und Wikis zum Einsatz. ORF.at warf einen Blick hinter die Kulissen der dezentralen Organisation, die im Presseraum an der Universität Wien zusammenläuft.

Am Mittwochvormittag ist es relativ ruhig im Audimax der Universität Wien. Knapp 50 Studenten halten gegen 10.30 Uhr in dem besetzten Hörsaal am sechsten Tag der andauernden Studentenproteste die Stellung. Einige sitzen an ihren Laptops und sehen im Wiki nach, was es in den einzelnen Arbeitsgruppen, die in den letzten sechs Tagen eingerichtet wurden, zu tun gibt.

Im Wiki, einer Website, die von den Studenten schnell und einfach bearbeitet und ergänzt werden kann, werden jeweils die Treffpunkte der Arbeitsgruppen eingetragen. "Das Wiki ist praktisch für die Organisation", so die 20-jährige Soziologiestudentin Daniela, die sich am Montag aktiv den Protesten anschloss. "Am Wochenende habe ich die Proteste auf Twitter und über den Livestream mitverfolgt."

Live-Übertragung aus dem Audimax

Nach und nach füllt sich der Saal, für 13.00 Uhr war das nächste Plenum angesetzt. Dieses wurde, wie auch bereits in den Vortagen, über einen Livevideostream von Ustream.tv übertragen. Knapp über 2.000 Personen verfolgten das Plenum gegen 13.30 Uhr über den Stream mit. Eingerichtet wurde dieser von Luca Hammer, einem Studenten und aktiven Blogger und Twitter-Nutzer.

Die Live-Übertragung ist auch auf der in der Nacht von Samstag auf Sonntag eingerichteten Website unsereuni.at integriert, und ihre Adresse im Netz verbreitete sich über den Microblogging-Dienst Twitter rasant weiter. "Der Livestream hatte binnen weniger Minuten Hunderte Zuseher. Ich war selbst überrascht und fasziniert davon, wie schnell das alles gegangen ist", so Luca.

Social Networking über Protestwebsite

Am Mittwoch wurde die Demonstration in Wien per Handy mitgefilmt und live übertragen. Die Aufnahme wurde per UMTS an ustream.tv gesendet. Um 18.33 Uhr verzeichnete die Live-Übertragung 1356 Zuseher.

Die Website unsereuni.at dient als Sammelstelle für alle Informationen rund um die Proteste, die sich mittlerweile auf mehrere Universitäten in ganz Österreich ausbreiteten. Neben den verschiedenen Aktivitäten an den einzelnen Universitäten gibt es auch einen Menüpunkt "Social Networking", der sämtliche Updates, die im Microblogging-Dienst Twitter sowie im Sozialen Netzwerk Facebook veröffentlicht werden, vereint, ohne dass die gesamte Website neu geladen werden muss.

Unter den Schlagworten (die auf Twitter "Hashtags" genannt werden) "#unibrennt" und "#unsereuni" trafen am Mittwoch laufend mehrere hundert Nachrichten pro Stunde ein. Nicht umsonst schaffte es das Schlagwort "#unibrennt" in den letzten Tagen in die deutschen Twitter-Charts. Die Facebook-Gruppe "Audimax-Besetzung in der Uni Wien - die Uni brennt!" hatte um 14.15 Uhr bereits 15.647 Unterstützer. In Kürze soll auch der eigene YouTube-Channel, auf dem bisher etwa 90 Videobeiträge gesammelt wurden, auf der Website integriert werden.

Mehrere Köpfe hinter der Vernetzung

Die Kommunikation im Web organisieren die Studierenden selbst. Die Website, die Facebook-Gruppe, der YouTube-Kanal und der Twitter-Account werden von ständig wechselnden Personen aus der Arbeitsgruppe "Presse" betreut, heißt es an Ort und Stelle. "Es gibt ständig Leute, die ihre Hilfe anbieten", erzählt Carina, die mittags die Facebook-Gruppe auf dem Laufenden hielt. Unterstützt wird das Presseteam von einem ebenfalls ständig wechselnden IT-Team.

Derzeit arbeite man an einer Übersetzung ins Englische, damit die Inhalte auch international leichter verständlich würden, erzählte Thomas, freiberuflicher Web-Entwickler, der sich den Protesten aus Solidarität angeschlossen hat, da er sich für sein eigenes Kind bessere Studienbedingungen wünscht.

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"Ausfallsichere Infrastruktur"

Unsereuni.at verzeichnet derzeit täglich über 12.000 Unique Visitors, seit Sonntag seien es 25.000, erzählt Daniel, ein Student der TU Wien und Mitglied der IT-Arbeitsgruppe, gegenüber ORF.at. Bis 11.30 Uhr wurde die Website am Mittwoch über 70.000-mal von 6.500 verschiedenen Besuchern angeklickt.

Bei den Besuchern der Site liege Mozillas Firefox mit rund 90 Prozent in Führung, gefolgt von Safari und Internet Explorer 7, so der Admin. Die Website hat zudem bereits mehrere Server-Wechsel hinter sich. "Die Infrastruktur, die dahintersteckt, ist ausfallsicher", gibt sich Thomas überzeugt.

Während im Audimax von den Studenten das WLAN der Universität genutzt wird, setzt man im Presse- und IT-Raum auf ein eigenes LAN-Netzwerk. Die IT-Ecke sei rund um die Uhr besetzt, die interne Kommunikation erfolge über einen IRC-Channel, Skype, eine Google Group und ein internes Wiki für die Technikgruppe, berichtet Thomas, der nach drei Stunden Schlaf wieder zur Universität gefahren sei, weil er bemerkt hatte, dass im IRC-Channel keine Aktivität mehr festzustellen war.

"Dezentraler Schwarm, der sich weiterbewegen wird"

Neben Helfern, die an Ort und Stelle aktiv sind, lesen Hunderte Studenten und Interessierte von zu Hause aus die Twitter-Einträge mit oder verfolgen den Livestream. Nicht alle Studenten, die im Audimax zugegen sind, stehen der Live-Übertragung der Aktivitäten im Internet positiv gegenüber. "Es ist schlecht, wenn die Leute, die die Möglichkeit hätten herzukommen, zu Hause bleiben und von dort zusehen", so Vedad, ein 21-jähriger Student des Studienzweigs Internationale Entwicklung. Luca glaubt eher an das Gegenteil: "Man kann so komplett dabei sein. Wenn die Leute live sehen, was passiert, ist das wiederum ein Anreiz, selbst hinzukommen und seine Anliegen vorzutragen."

Tatsache ist, dass es eine derartige Vernetzung über Social Media wie Facebook, Twitter und Wikis im Zuge von Protesten in Österreich bisher noch nie zuvor gab. "Selbst wenn 1.000 Polizisten 2.000 Studenten aus dem Audimax raustragen würden, würden sich über das Internet neue Teams bilden und sich ein dezentraler Schwarm weiterbewegen", gibt sich Luca überzeugt. "Es wird daher spannend, wie die Regierung weiterhin mit den Protesten umgeht."

(futurezone/Barbara Wimmer)