Kindle: Lesespaß mit Hindernissen
Seit Mitte Oktober ist der Kindle, das E-Book-Lesegerät von Amazon, auch für österreichische Nutzer verfügbar. Das Lesen auf dem E-Book-Reader bereitet durchaus Vergnügen. Einschränkungen bei der Nutzung und ein noch spärliches Angebot an Büchern trüben die Freude jedoch. Der Kindle im futurezone.ORF.at-Test.
Aller Anfang ist schwer. Nach einem mehr als zwei Tage dauernden Irrweg vom Küniglberg über das Funkhaus und Ö3 erreicht das von Amazon zur Verfügung gestellte Kindle-Testexemplar schließlich doch noch die Futurezone-Redaktion. Von da an ist alles erst einmal relativ unkompliziert.
Schnell ist das taschenbuchgroße und rund 290 Gramm leichte Gerät aus der Kartonhülle befreit. Dass zum Aufladen des Readers lediglich ein US-Netzteil mitgeliefert wurde, ist nicht weiter schlimm. Der Kindle lässt sich auch über USB mit Energie versorgen und ist nach etwas mehr als zwei Stunden vollständig aufgeladen.
Mit einem Schiebeschalter an der linken oberen Kante des Geräts lässt sich der Kindle einschalten. Beim ersten Aktivieren begrüßt das System den Nutzer mit der Bedienungsanleitung (Kindle's User Guide), die freilich nur in englischer Sprache vorliegt. Über den "Home"-Button am mittleren rechten Rand des Geräts ist die "Startseite" des Kindle erreichbar. Neben der Bedienungsanleitung warten dort eine Begrüßungsnotiz von Amazon-Chef Jeff Bezos und das "New Oxford American Dictionary" auf den Kindle-Neuling.
Der Kindle muss derzeit über Amazon.com in den USA bestellt werden und kostet nach einer vor kurzem erfolgten Preissenkung derzeit 259 Dollar. Samt Versand und Zoll belaufen sich die Kosten des Geräts für österreichische Kunden auf umgerechnet 234 Euro. Die Lieferung erfolgt innerhalb einer Woche.
Über einen Joystick, der sich an der rechten unteren Seite des Geräts befindet und deshalb Linkshändern vermutlich Schwierigkeiten bereiten wird, können die noch spärlichen Menüpunkte auf dem Bildschirm angesteuert werden.
Die Schriftgröße lässt sich über die Tastatur (Aa-Taste) verändern. Ein Querbalken am unteren Ende des Bildschirms sowie die numerische Positionsangabe (statt der Seitenzahl)informieren über die Länge des Textes und die Stelle, an der man sich gerade im Buch befindet.
Umgeblättert wird mit der "Next Page"-Taste, die sich sowohl am linken als auch am rechten Geräterand befindet. Die Taste zum Zurückblättern sitzt am linken mittleren Rand des Kindle. Das mag zunächst irritieren, erscheint jedoch schon nach kurzer Zeit durchaus schlüssig.
Bildschirm kleiner als ein Reclam-Heft
Das kurze schwarze Aufflackern beim Umblättern der elektronischen Seiten stört nicht weiter, auch mit dem gräulichen Hintergrund hat sich das Auge bald versöhnt. Das Lesen auf dem mittlerweile für E-Book-Reader zum Standard gehörenden E-Ink-Display ist weniger gewöhnungsbedürftig als vermutet und funktioniert erstaunlich gut.
Der Bildschirm ist mit sechs Zoll Durchmesser zwar kleiner als ein Reclam-Heft, das Leseerlebnis auf dem Kindle gestaltet sich dennoch stimmig.
Der den Lesefluss hemmende Impuls, permanent auf eine der zahlreichen Tasten auf der Vorderseite des Geräts zu drücken, ist bald unter Kontrolle gebracht.
Anmerkungen und Markierungen
Erste Experimente mit dem Setzen von Lesezeichen, dem Markieren von Textstellen und dem Anbringen von Notizen gehen leicht und beinahe selbst erklärend von der Hand. Die Eingabe von Anmerkungen über die QWERTY-Tastatur macht sich anfangs etwas mühsam aus, zwingt andererseits aber auch dazu, sich kurz zu halten.
Die Anmerkungen können über die Menü-Taste während der Lektüre des jeweiligen E-Books eingesehen und angesteuert werden. Markierungen werden auch unter "My Clippings", das über den Home-Screen des Kindle ansteuerbar ist, gesammelt und können via USB als .txt-File auf den Computer transferiert werden.
Einfache Suchfunktion
Die auf dem Gerät befindlichen Texte lassen sich nach Stichwörtern durchsuchen. Dazu genügt die Eingabe des gewünschten Wortes über die Tastatur. Eine Suchmaske am unteren Ende des Bildschirms springt dann automatisch auf.
Der Akku verfügte im futurezone.ORF.at-Test auch nach drei Tagen mit aktivierte Mobilfunkverbindung noch über ausreichend Energie. Laut Amazon soll er mit eingeschaltetem Mobilfunkteil vier Tage, bei deaktivierter Whispernet-Verbindung rund zwei Wochen halten.
Nachdem die wesentlichen Funktionen des Geräts kurz ausprobiert sind, geht es an die Beschaffung neuen Lesestoffs. Amazon stellt Rezensenten freundlicherweise einen Gutschein von 30 Dollar für den Einkauf im Kindle Store zur Verfügung. Das Idyll zwischen Lesendem und Gerät wird beim Besuch des Kindle Store jedoch empfindlich gestört.
Buchdownload über Whispernet
Die Verbindung zum virtuellen Buchladen über die von Amazon zur Verfügung gestellte drahtlose Whispernet-Verbindung funktioniert noch klaglos. Der Kindle Store begrüßt seine Nutzer mit Leseempfehlungen und einer hausinternen Bestsellerliste. Bücher, Zeitschriften und Magazine können über Hyperlinks angesteuert oder über ein Eingabeformular gesucht werden.
Lückenhaftes Angebot
Das Angebot umfasst vorerst rund 295.000 Titel, fast ausschließlich in englischer Sprache, und ist - höflich ausgedrückt - lückenhaft. Von drei Büchern, die sich der Rezensent herunterladen will, findet er kein einziges. Jonathan Lethems vor kurzem in den USA erschienener Roman "Chronic City" ist ebenso wenig verfügbar wie Thomas Pynchons jüngstes Werk "Inherent Vice" und David Foster Wallaces "Infinite Jest", für dessen Lektüre sich allein wegen des Umfangs (rund 1.500 Seiten) die elektronische Form nachgerade aufdrängt. Im Vergleich dazu sind die drei englischsprachigen Titel in einschlägigen Wiener Buchhandlungen problemlos zu bekommen.
Die Entscheidung fällt schließlich auf Nick Hornbys jüngsten Roman "Juliet Naked". Das elektronische Buch ist mit rund 13,79 US-Dollar etwas mehr als drei Dollar billiger als der Listenpreis der Hardcover-Ausgabe von 17,10 Dollar. Der Download funktioniert ohne Schwierigkeiten, die E-Book-Ausgabe ist in weniger als einer Minute auf das Gerät transferiert. Auch beim kostenlosen Download von Leseproben gibt es keine Probleme.
Die Bezahlung im Kindle Store erfolgt üblicherweise über die im Nutzeraccount angegebene Kreditkarte und kann mit einem Click am Lesegerät abgewickelt werden.
Triste Zeitungslektüre
Zur Abrundung des Einkaufs wird noch in der Zeitungs- und Magazinsektion gestöbert. "Time" und "Newsweek" interessieren ebenso wenig wie die "WirtschaftsWoche", die als einziges deutschsprachiges Magazin erhältlich ist (bei den Zeitungen gibt es noch "FAZ" und "Handelsblatt"). Der "New Yorker" darf nur von US-Nutzern heruntergeladen werden.
Immerhin die "New York Times" steht auch für europäische Nutzer zum Download bereit. Für die Einzelausgabe werden 1,99 Dollar verrechnet. Ein Monatsabo würde knapp 28 Dollar kosten. Die Navigation durch die elektronische Zeitung erinnert mitunter an den WAP-Abruf von Online-Angeboten von Tageszeitungen in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In den Artikeln selbst werden nur vereinzelt Bilder dargestellt. Insgesamt eine eher triste Erfahrung. Print und Internet sind bei der Nachrichtenlektüre eindeutig ansprechender.
Dokumententransfer auch über USB
Der Transfer von Inhalten auf den Kindle ist neben der im Preis enthaltenen Mobilfunkanbindung zum Kauf von elektronischen Titeln im Kindle Store auch über USB möglich. Allerdings unterstützt der Kindle dabei nativ nur das hauseigene kopiergeschützte Kindle-Format (.azw) sowie .txt- und mobipocket-Files (.mobi, .prc) ohne Kopierschutzbeschränkungen.
Zum Überspielen von Word-Dokumenten (.doc), PDF-Files, HTML-Seiten und diversen Bildformaten (.jpg, .gif, .bmp, .png) bedarf es der Hilfe Amazons. Die Files können an eine dem Gerät zugewiesene E-Mail-Adresse geschickt werden. Nach der Umwandlung in ein gerätegerechtes Format durch Amazon können sie via USB auf den Kindle transferiert werden. Alternativ dazu bringt Amazon die umgewandelten Files für europäische Kunden gegen eine Gebühr von rund einem Dollar pro Megabyte drahtlos auf den Kindle. Das vom deutschen Buchhandel favorisierte EPUB-Format wird vom Kindle nicht unterstützt.
Kopiergeschützte Kindle-Inhalte können nur an Geräte (maximal sechs) weitergeben werden, die über dasselbe Nutzerkonto registriert sind. Zeitungs- und Magazinabos können nur auf einem Gerät genutzt werden.
Kein Web-Zugang und iPhone-Applikation in Europa
Der von Amazon bereitgestellte Whispernet-Zugang kann in Europa lediglich zum Kauf von Büchern, Zeitschriften und Magazinen im Kindle Store genutzt werden. Der Web-Zugang (bis auf die Wikipedia) und das in den USA mögliche Abonnieren von Blogs bleiben europäischen Kunden vorerst versagt. Das soll sich laut Amazon jedoch bald ändern und dürfte darin begründet liegen, dass die Mobilfunkanbindung des Kindle über den US-Anbieter AT&T läuft, an den Amazon Roaming-Gebühren abführt.
Ebenfalls noch nicht für europäische Kunden verfügbar ist die Kindle-iPhone-Applikation. In den USA, wo das Programm bereits heruntergeladen werden kann, synchronisiert Amazon über Mobilfunk Inhalte zwischen Kindle und Apple-Smartphone.
Vorlesefunktion
Ein auch hierzulande verfügbares Feature des Kindle ist die Vorlesefunktion (Text to Speech). Dabei kann zwischen einer weiblichen und einer männlichen Stimme gewählt werden, die beide etwas hölzern klingen und an nichtenglischen Texten durchaus charmant scheitern. Hörbücher kann die als "experimentell" geführte Funktion zwar nicht ersetzen, ein interessantes Zusatzfeature ist sie allemal. Voraussetzung für das Feature ist die Zustimmung der Verlage, die nach kurzer Überprüfung jedoch bei vielen Titeln gegeben sein dürfte.
Daneben können auf dem Kindle auch Audiobücher und MP3-Files (als Hintergrundmusik) abgespielt werden.
E-Book-Reader in Österreich:
In Österreich sind bisher der Anbieter Hixbooks in Kooperation mit verschiedenen Buchhandlungen sowie Sony in Kooperation mit der Buchhandelskette Thalia als Anbieter von E-Book-Systemen nach dem E-Ink-Prinzip vertreten. Der Berliner Anbieter Textr hat angekündigt, einige Zeit nach dem Deutschland-Start zur Frankfurter Buchmesse Mitte Oktober auch auf den österreichischen Markt kommen zu wollen. Der Textr-Reader bietet wie der Kindle Anbindung ans 3G-Mobilfunknetz.
Fazit
Das Resümee ist zwiespältig: Das Lesen von elektronischen Büchern auf dem Kindle macht Spaß und geht durchaus flüssig vonstatten. Eine Vertrautheit mit dem Gerät stellt sich bald ein. Die Stichwortsuche und die Möglichkeit, Inhalte elektronisch zu annotieren, stellen einen nicht zu verachtenden Mehrwert dar.
Die Einschränkungen - vom Kopierschutz bis zur eingegrenzten Nutzungsmöglichkeit der Mobilfunkanbindung - trüben jedoch das Bild. Der Dokumententransfer von nativ nicht unterstützten Formaten auf den Kindle ist zwar nicht allzu kompliziert, Nutzerfreundlichkeit sieht aber anders aus. Die mangelnde Unterstützung gängiger E-Book-Formate (EPUB) und der Einsatz des proprietären, kopiergeschützten Kindle-Formats führen alles in allem zu Nutzungseinschränkungen, die nur schwer zu akzeptieren sind.
Mit seiner Insellösung fügt sich Amazon aber gut ins Bild der aktuellen Entwicklungen im Handel mit elektronischen Büchern. Zwar betonen Branchenvertreter allerorts, dass sie die Fehler der Musikindustrie nicht wiederholen wollen. Digital Rights Management (DRM), Misstrauen gegenüber den Nutzern und das damit einhergehende Kompatibilitätswirrwarr bei den E-Book-Lesegeräten deuten jedoch darauf hin, dass erneut eine ganze Branche kurz davorsteht, am digitalen Vertrieb ihrer Inhalte zu scheitern.
(futurezone/Patrick Dax)