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Vom Leistungsschutz zum Link-Verbrechen

KRISE
17.11.2009

In der Zeitungskrise wird der Ruf der Verleger nach Schutz ihrer Geschäftsmodelle durch den Staat zunehmend lauter. In Deutschland diskutiert man daher die Einführung eines Leistungsschutzrechts auf Texte. Diese Pläne könnten tiefgreifende Verschlechterungen für Wissenschaftler, Blogger und Journalisten mit sich bringen. Christiane Schulzki-Haddouti analysiert fünf mögliche Optionen.

Seit Sommer 2009 diskutieren Verleger, Politiker und Journalisten in Deutschland die Einführung eines neuen Leistungsschutzrechts für Texte. Was ist darunter zu verstehen? Folgt man der "Hamburger Erklärung", geht es darum, die "geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser zu schützen". Die "ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben". Über 160 internationale Verlage haben diese Erklärung unterzeichnet, unter anderen auch "Standard"-Herausgeber Oscar Bronner. Sie ärgern sich über "zahlreiche Anbieter", die "die Arbeit von Autoren, Verlagen und Sendern verwenden, ohne dafür zu bezahlen". Gemeint damit ist vor allem Google, das journalistische Angebote in seinem Dienst Google News aggregiert und neu sortiert.

Politisch hat die Erklärung in Deutschland bereits Fuß gefasst: Im Koalitionsvertrag verspricht die konservativ-liberale Regierung, ein "Leistungsschutzrecht" einzuführen. Ein Gutachten des Bayerischen Journalistenverbands, das Anfang Dezember in der Zeitschrift "Kommunikation und Recht" erscheinen wird, kommt zu dem Ergebnis, dass Verlage von einem Leistungsschutzrecht wahrscheinlich deutlich mehr als die Urheber profitieren könnten.

Gesetz zum Schutz der Verleger

Das entspricht auch der Absicht seiner Befürworter: Verleger Hubert Burda etwa will ein "Leistungsschutzrecht, das, im Unterschied zum Urheberrecht der Autoren, die Rechte jener schützt, die die Werke der Autoren vermitteln". Die Verlage wollten "die Sicherheit, dass ihnen das ausschließliche Recht auf Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe und öffentliche Zugänglichmachung für Presseerzeugnisse zusteht, und das muss auch für digitale Medien gelten". Als Grund hierfür führt Burda eine "Enteignung" durch Suchmaschinen wie Google an. Dass Burda zu einer derart drastischen Wortwahl greift, ist zunächst nicht verständlich - kann sein Verlag doch für 2008 auf ein "stabiles Geschäftsjahr" zurückblicken.

Und auch anderen Verlagen geht es nicht gerade schlecht: Der Axel-Springer-Verlag etwa freute sich "trotz schwacher Konjunktur" über eine "unerwartet positive Geschäftsentwicklung im dritten Quartal". Nein, es sind nicht die aktuellen Umsatzzahlen, die hinter der Rede von der "Enteignung" stehen. Es ist politisches Kalkül: Nur ein "Marktversagen" nämlich kann einen Eingriff der Politik rechtfertigen. Und nach Ansicht der Verleger steht dieses offenbar kurz bevor. Der Grund: Das Anzeigengeschäft im Online-Bereich kann nicht in dem Maße journalistische Inhalte finanzieren, wie es das im Printbereich getan hat. Die Kosten bleiben jedoch dieselben. Das führt dazu, dass die meisten Verlage ihre Online-Inhalte aus dem Printgeschäft quersubventionieren müssen.

Journalistenverbände bleiben skeptisch

Die Berufsverbände und Gewerkschaften der Journalisten zeigen sich angesichts der Verlegerpläne skeptisch. Der Fachbereich Medien der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erklärte bereits, dass eine solche Regelung nur dann akzeptabel sei, "wenn die Urheberinnen und Urheber an den Einnahmen beteiligt werden, da sie es sind, die die journalistische Leistung bringen und damit für Inhalte sorgen".

Allerdings hält das Gutachten des Bayerischen Journalistenverbands auch fest, dass das neuartige Recht noch nicht beurteilt werden könne, da die Verleger noch nicht erklärt haben, was sie tatsächlich verbieten wollen. Erst Anfang der Woche forderte Verleger Burda wieder nebulös: "Fair Search und Fair Share der Suchmaschinen müssen zu Standards wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Netz werden."

Die fünf Optionen

Es ist also noch unklar, was das neue Recht können soll. Axel-Springer-Manager Christoph Keese selbst spricht davon, dass man die Möglichkeiten noch ausloten müsse, um den "systemischen Fehler" zu beheben, der für die Verleger durch den nicht funktionierenden Online-Anzeigenmarkt entstanden ist. Prinzipiell sind entweder Verbote oder Ausschließlichkeitsvereinbarungen denkbar. Daraus ergeben sich folgende fünf Optionen:

1. Enteignung der Urheber zugunsten der Verlage.

Das Urheberrecht könnte so umformuliert werden, dass freie Journalisten durch Total-Buy-out-Verträge und AGB enteignet werden dürfen bzw. keinen Anspruch mehr auf eine "angemessene Vergütung" haben.

Einige Gerichte hatten in jüngster Zeit geurteilt, dass die nach der ersten Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes üblichen Autorenverträge, über die sich die Verlage umfangreiche Verwertungsrechte ohne eine entsprechende Honorarerhöhung abtreten ließen, rechtswidrig seien. Eine entsprechende Änderung des Gesetzes, die Total-Buy-out-Verträge legalisieren würde, ist jedoch angesichts von Autorenprotesten unwahrscheinlich.

2. Einschränkung des Zitierrechts.

Das Urheberrecht wird so umformuliert, dass Links auf Verlagserzeugnisse nicht mehr ohne Einwilligung der Verleger gesetzt werden dürfen. Auch darf aus Texten nicht mehr ohne Einwilligung zitiert werden. Damit müsste Google für Google News von jeder einzelner News-Quelle eine Einverständniserklärung einholen. Allerdings dürften dann auch Zeitungen andere Zeitungen nicht mehr zitieren, ohne von ihnen eine Einwilligung eingeholt zu haben. Für Blogger gälte vermutlich die Änderung des Zitatrechts ebenfalls. Das könnte dazu führen, dass deutschsprachige Medien vermehrt fremdsprachige Quellen zitieren und sich gegenseitig ignorieren. Außerdem könnte das die derzeit noch mögliche Zweitverwertung von Beiträgen durch die Urheber erheblich behindern und damit deren jetzt schon prekäre Einkommenssituation verstärken. Fraglich wäre auch, ob eine wirksame Abgrenzung zum wissenschaftlichen Gebrauch von Zitaten möglich wäre. Diese Option scheint daher auch nicht durchsetzungsfähig zu sein.

3. Die Textindustrie erhält dieselben Rechte wie die Musik- und Filmindustrie.

Entsprechend soll eine Verwertungsgesellschaft nach dem Vorbild der GEMA gegründet werden bzw. würde die bereits bestehende VG Wort erweiterte Befugnisse erhalten. Das ist eine Idee, die Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zur Sprache brachte. Auf einer Podiumsdiskussion in Berlin wurde sie am Montag erneut von Axel-Springer-Manager Keese und Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) vorgestellt. Damit könnte die oben bereits diskutierte Verwendung von Zitaten und Links analog zur Musik- und Filmindustrie erheblich eingeschränkt und die Ausschüttung der Einnahmen auf die Verlage beschränkt werden. Den Verlagen geht es dabei vor allem um eine Gebühr für "gewerbliche Nutzungen" von Verlagsinhalten. Das wäre dann bereits der Fall, wenn Inhalte von einem Firmen-PC aus genutzt werden.

Das scheint jedoch politisch nur schwer durchsetzbar. Zum einen kam ein bereits im Frühjahr angefertigtes, aber erst am Montag bekanntgewordenes Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Deutschen Bundestags zu dem Schluss, dass ein neues Leistungsschutzrecht nicht nur die Verleger, sondern auch die Autoren "angemessen" berücksichtigen müsste - weswegen Keese und Fiedler von einer Art VG Verleger bereits Abstand genommen hatten. Zum anderen wäre eine Einschränkung des Zitat- und Link-Gebrauchs kaum realisierbar, ohne die Link- und Wissensökonomie im Internet zu beschädigen.

4. Die Verwertungsgesellschaften dürfen eine Internet-Abgabe einziehen.

Tatsächlich verhandeln die Verwertungsgesellschaften mit der Geräteindustrie zurzeit über eine solche Abgabe. Vermutlich wird es noch in diesem Jahr zu einer Einigung kommen. Die Frage ist daher, welche Verwertungsgesellschaften davon profitieren werden. Die Verleger müssen sich zurzeit die Einnahmen der VG Wort mit den Urhebern teilen.

5. Internet-Access-Provider und Mobilfunkbetreiber finanzieren eine Kulturflatrate.

Eine Option für die Zukunft bestünde darin, eine Internet-Abgabe auch von den Internet-Access-Providern und Mobilfunkbetreibern zu verlangen. Das wäre nur mit Hilfe einer Gesetzesänderung möglich. Eine solche Abgabe wird seit einiger Zeit europaweit unter dem Begriff "Kulturflatrate" in Bezug auf Musik und Film diskutiert. Würde eine solche Abgabe auch dem Wortbereich zugutekommen, würden davon aber nicht nur Verlage profitieren, sondern jeder, der Artikel im Internet veröffentlicht.

In Deutschland gilt das zurzeit für alle im Internet veröffentlichten Artikel, die länger als 1.800 Zeichen sind. Ob das die kostendeckende Aufrechterhaltung eines journalistischen Angebots garantieren könnte, ist allerdings fraglich. Wahrscheinlich werden die Verleger eine Ausschüttung nach Qualitätskriterien verlangen, damit das Geld nur einem "Qualitätsjournalismus" zugutekommen wird. Doch Medienwissenschaftler sind sich darin einig, dass es keinen einheitlichen Maßstab für Qualität gibt.

Medienpolitischer Obskurantismus

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Diskussion über ein Leistungsschutzrecht ein ganzes Fass an Optionen öffnet, die allesamt für medienpolitischen Zündstoff sorgen. Am wahrscheinlichsten ist noch die Umsetzung einer Kulturflatrate für Wortprodukte. Ob die bestehenden Verwertungsgesellschaften den Anforderungen einer Kulturflatrate derzeit gewachsen sind, ist zu bezweifeln. Mahnte doch die EU-Kommission bisher vergeblich an, dass diese wesentlich transparenter handeln müssten. So sind etwa Inhalt und Durchführung von Verträgen der Gesellschaften untereinander öffentlich nicht bekannt.

Jeder der angeführten Ansätze für ein neues Leistungsschutzrecht wirft zahlreiche neue Fragen auf: Sollen vornehmlich die Verleger davon profitieren, die eventuell und auch nur indirekt die Einnahmen an die eigentlichen Urheber, die Autoren, weitergeben würden? Oder sollten die Kreativen selbst unterstützt werden - die damit indirekt die Vermittler ihrer Leistungen, die Verlage, subventionieren würden? Sollte an beide Parteien gleichermaßen ausgeschüttet werden? Oder sollte besser alles beim Alten bleiben? Die Kernfrage lautet jedenfalls, wie eine eventuell anfallende Internet-Abgabe gerecht verteilt werden könnte.

(Christiane Schulzki-Haddouti)