Gegner der Data-Retention machen mobil
Nach deutschem Vorbild wird am Dienstag eine parteienübergreifende Plattform gegen die Vorratsdatenspeicherung gegründet. Ziel von AK Vorrat Österreich ist es, die Umsetzung der Data-Retention-Richtlinie zu verhindern, da diese der österreichischen Verfassung widerspreche.
"Unser Ziel ist: keine Vorratsdatenspeicherung in Österreich. Noch besser wäre natürlich überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung europaweit", sagte Andreas Krisch vom gerade in der Gründungsphase befindlichen Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Österreich.
Kursiert war die Idee unter den "üblichen verdächtigen" Internet-Aktivisten bereits seit längerem, zumal das deutsche Gegenstück "AK Vorrat" mit einer Unzahl von Einzelveranstaltungen quer durch die Bundesrepublik vorgezeigt hatte, dass auch für dieses nicht einfach zu vermittelnde Thema inzwischen immer mehr Menschen zu mobilisieren sind.
Großdemonstrationen mit 25.000 Teilnehmern wie zuletzt im September in Berlin sind freilich nicht das vorrangige Ziel der Österreicher, die Bildung einer möglichst breiten Plattform schon.
"Verfassungswidrig"
"Wir haben abgewartet, was die Analyse des Boltzmann-Instituts aus wissenschaftlicher Sicht ergibt", sagte Krisch, "und da wurde eben unmissverständlich festgestellt, dass die Vorrat?datenspeicherung dem Artikel 8 der europäischen Konvention für Menschenrechte und damit der österreichischen Verfassung widerspricht."
Da man nicht einfach dabei zusehen könne, wie grundrechtswidrige Gesetze beschlossen würden, seien alle interessierten Organisationen und Einzelpersonen zum Mitmachen aufgerufen.
Wer auch immer die Data-Retention ablehne, sei willkommen, darüber hinausgehende, politische Ziele würden nicht verfolgt, sagte Krisch, der Obmann der mithin ältesten Usergroup Verein der Internet-Benutzer (VIBE.at) ist und auch dem Dachverband der europäischen Bürgerrechtsorganisationen European Digital Rights (EDRi) vorsteht.
Unvereinbar, gerichtsanhängig
Man wolle eine möglichst breite Plattform ohne Berührungsängste nach dem Muster des deutschen AK Vorrat, in dem die unterschiedlichsten Organisationen zusammengeschlossen seien, so Initiator Krisch weiter.
Das deutsche Vorbild
Dem deutschen AK Vorrat gehören so unterschiedliche Organisationen und gesellschaftliche Gruppen wie der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, die evangelische Telefonseelsorge, der Chaos Computer Club, Gewerkschafter, Berufsverbände von Richtern, Rechtsanwälten und Handwerkern an.
In Deutschland ist eine Massenklage von 30.000 Personen gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Verfassungsgerichtshof anhängig. In Rumänien hatte der Verfassungsgerichtshof bereits Anfang Oktober die verdachtsunabhängige Erfassung und Speicherung sämtlicher elektronischer Kommunikationsvorgänge und Handystandortdaten als mit der rumänischen Verfassung unvereinbar erkannt.
Die Beteiligten
"Wir sind bereits mit einer Anzahl von ganz verschiedenen Gruppierungen im Gespräch." Genaueres dazu werde am Dienstag bekanntgegeben, sagte Krisch abschließend.
Zusammen mit dem Wiener Zentrum für Rechtsinformatik, das in diesem Jahr bereits mehrere Informationsveranstaltungen zum Thema Data-Retention abgehalten hatte, dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte und anderen veranstaltet man am kommenden Dienstag im Audimax der Universität Wien einen Roundtable.
Irritiert im Innenministerium
Mangels Einigung mit den Bundesministerien für Inneres und Justiz wurde der Entwurf des Boltzmann-Instituts nun öffentlich als Ministerialentwurf am vergangenen Freitag in Begutachtung geschickt.
Seitens des Innenministeriums ze?gte man sich darüber "äußerst irritiert", zumal der Abstimmungsprozess nicht abgeschlossen und der Entwurf nicht mit dem Koalitionspartner akkordiert sei. Ebenso wurden "schwerste Bedenken" geäußert, ob der Entwurf den Bedürfnissen der Polizei zur Kriminalitätsbekämpfung entspreche.
Dienstag, Audimax, Uni Wien
Vorratsdatenspeicherung: Jetzt wird's ernst! Roundtable am Dienstag, dem 1. Dezember 2009, 18.30 Uhr im Audimax der Universität Wien.
Überschießend, präventiv
Dass der vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte ausgearbeitete Entwurf für eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes im Innenministerium nicht eben begeistert aufgenommen wurde, überrascht wenig.
Der nunmehrige Ministerialentwurf zur Telekomgesetznovelle sieht eine ganze Reihe von Einschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen gegen eine "überschießende" Verwendung dieser Daten vor.
So soll auf diese Vorratsdaten nur bei schweren Straftaten Zugriff gewährt werden, während das Innenministerium etwa präventiven Zugriff auf die Internet-Verbindungsdaten verlangt hat, also ohne dass eine Straftat vorliegt.
CSV-Datei statt ETSI-Norm
Alle Zugriffe müssen dokumentiert werden, ebenso enthalten sind verschlüsselte Aufbewahrung und Übermittlung der Daten. Die sollen eben nicht über die mittlerweile berüchtigte ETSI-Überwachungsschnittstelle gehen, sondern als einfache CSV-Datei (Comma separated Values) übergeben werden.
Optionale Datenfelder
Während in Österreich noch über den Gesetzestext zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung diskutiert wird, arbeiten Polizei und Geheimdienste im Telekomstandardisierungsinstitut (ETSI) bereits eine neue Serie von "optionalen" Datenfeldern in den Überwachungsstandard ein: Einzelabrechnungen, Bankverbindung, Volumen von Up- und Downloads. Sie wollen alle Details über die Bewegungen der Bürger in den Netzen erfassen.
Das sei völlig technikneutral, zumal "kein Platz besteht für Vorschriften, bestimmte Programme zu verwenden oder gar eine komplexe Schnittstelle wie beispielsweise den ETSI-Standard zur Vorratsdatenspeicherung vollständig zu normieren", heißt es in den Erläuterungen.
Was einer schnellen Umsetzung weiters im Wege steht, ist der Umstand, dass dafür mindestens zwei Eingriffe in die Verfassung Österreichs nötig sind. Dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, die momentan nicht gegeben ist.
Die drei Oppositionsparteien kündigten an, sämtliche Gesetzesvorhaben bis März zu blockieren. Grüne und BZÖ sprachen sich zudem deutlich gegen die Vorratsdatenspeicherung in toto aus, in der FPÖ diskutiert man noch.
(futurezone / Erich Moechel)