Boxee: Netz-TV erobert das Wohnzimmer
Die Internet-TV-Software Boxee setzt auf Expansion: Im kommenden Jahr soll die erste Set-Top-Box erscheinen, die ihr Angebot direkt auf den heimischen Fernsehbildschirm bringt. Boxees Betreiber wollen am Montag erste Details über die Hardware verraten. Konflikte mit TV-Anbietern sind jedoch bereits jetzt programmiert.
Eine simple Presseerklärung war den Machern der Fernseh-Software Boxee offenbar nicht genug. Zur Vorstellung der Boxee-Box mietete das New Yorker Start-up kurzerhand einen Club in Brooklyn an, in dem sich an Wochenenden Indie-Rock-Bands die Klinke reichen. Am 7. Dezember dürfte es dort für einen Montag untypisch voll werden: Mehr als 1.800 Boxee-Fans sicherten sich bereits eine Karte für den Abend, um einen ersten Ausblick auf die angekündigte Hardware und die kommende Betaversion der Boxee-Software zu werfen.
Dieser Enthusiasmus ist für Boxee nicht ungewöhnlich. Die Fernsehanwendung konnte sich seit dem Start ihrer Alphaversion Mitte letzten Jahres eine loyale Fangemeinde sichern. Ein Grund dafür war, dass Boxee früh als rebellischer Underdog von sich reden machte. So gelang es Boxee-Nutzern vor einem Jahr, die Software auf Apples TV-Set-Top-Box zu installieren. Ginge es nach Apple-Chef Steve Jobs, dann würden Besitzer seiner Set-Top-Box damit nur Filme und Fernsehshows aus dem iTunes-Store konsumieren. Boxee machte es jedoch möglich, mit dem Gerät zahlreiche kostenlose Web-Videoquellen und sogar BitTorrent-Downloads auf dem heimischen Fernseher zu genießen.
Von der Xbox auf den Fernseher
Boxee basiert teilweise auf Open-Source-Code des XBMC-Projekts, das ursprünglich unter dem Namen XBox Media Center firmierte. XBMCs Entwickler hatten es sich vor sechs Jahren zum Ziel gesetzt, eine moderne Oberfläche zum Abspielen und Verwalten von Musik und Videos für Microsofts Spielkonsole zu programmieren. Mittlerweile wurde daraus eine Media-Center-Lösung für Windows, Linux und Mac OS X, die um zahlreiche Plug-ins erweitert werden kann.
Boxee nutzt XBMC-Code als Grundlage für eine Fernsehplattform für das YouTube-Zeitalter. So bietet die aktuelle Version der Software unter anderem Zugriff auf Video-Podcasts, Livestreams von CNN.com, archivierte TV-Shows von Comedy Central und Wohnzimmervideos von YouTube. Nutzer können sich zudem untereinander vernetzen und einander Videos empfehlen. All das wurde von der Firma mit einer Oberfläche verbunden, die sich bequem mit der Fernbedienung von der Couch aus bedienen lässt.
Web-Videos in HD-Qualität
Eine eigene Set-Top-Box anzubieten, ergibt für Boxee fraglos Sinn. Nur wenige Nutzer haben ihren PC direkt an den Fernseher angeschlossen. Die meisten schauen Web-Videos auf dem PC, dem Laptop oder gar dem iPhone. Doch Videoplattformen im Web rüsten auf. Marktführer YouTube streamt seit Mitte November Videos in voller 1080p-HD-Qualität, und auch auf den Websites diverser Fernsehsender finden sich immer mehr Serienfolgen als hochauflösende Streams. Ende November berichteten Marktforscher zudem, dass mittlerweile rund 50 Prozent aller US-Haushalte einen HD-fähigen Fernseher im Wohnzimmer stehen haben. Warum sollte man also nicht Web-Videos direkt auf dem Flachbildschirm schauen?
Boxee hält sich bisher zu den Details der angekündigten Set-Top-Box bedeckt. Am Montag will man erstmals verraten, welcher Hersteller die Hardware produzieren und wie das Gerät im Detail aussehen wird. Pünktlich zur CES Anfang Jänner in Vegas sollen dann auch die ersten Prototypen fertig sein. Verkaufstermin und Preis stehen offenbar noch nicht fest. Boxee-CEO Avner Ronen erklärte jedoch kürzlich, er würde sich einen Endhandelspreis von unter 200 US-Dollar wünschen. In Zukunft will die Firma zudem mit weiteren Geräteherstellern kooperieren und so den Weg auf zahlreiche Set-Top-Boxen und Fernseher mit Internet-Zugang finden.
Angst vor dem Kostenlosen
Schon jetzt steht fest: Boxees neue Hardware wird nicht überall gut ankommen. Insbesondere die Anbieter von Kabel- und Satelliten-TV-Programmen machen Entwicklungen wie die Boxee-Box Sorgen. In den USA zahlen Millionen von Fernsehzuschauern 50 bis 150 Dollar pro Monat für ihr TV-Programm. Diese Einnahmen könnten wegbrechen, wenn sich Zuschauer in Zukunft alle Sendungen kostenlos im Netz besorgen.
Auch TV-Netzwerke wie NBC und Fox verfolgen derartige Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. Die beiden Branchenriesen starteten vor gut zwei Jahren den Online-Dienst Hulu.com, über den US-Fernsehzuschauer Erfolgsshows wie "Heroes", "House" und "Glee" als kostenlose, werbefinanzierte Streams abrufen können. Hulu wurde damit binnen kürzester Zeit zum Publikumsliebling. Nach Angaben von Comscore wurden allein im Oktober 856 Millionen Videostreams über die Website abgerufen.
Den Fernsehnetzwerken gefallen die damit verbundenen Werbeeinnahmen. Gleichzeitig will man sich die Beziehungen zu Kabel- und Satellitenanbietern nicht verscherzen. Schließlich fürchtet die Branche auch, dass sich Nutzer keine DVDs von Fernsehshows mehr kaufen werden, wenn alle Sendungen kostenlos online abrufbar sind. Hulus Katalog ist deshalb vielfach auf die letzten fünf Folgen einer aktuellen Show beschränkt.
Wie viele andere Online-Entertainment-Angebote ist auch Hulu bisher auf die USA beschränkt. Ein britischer Ableger soll jedoch im kommenden Jahr starten.
Getarnt als Firefox
Angesichts seiner Wurzeln in den TV-Unternehmen wehrt sich Hulu zudem mit Händen und Füßen dagegen, dass die Nutzer ihre Streams auf dem Fernseher ansehen. So hatte Boxee ursprünglich auch Hulus Videos über ein Plug-in in die eigene Plattform integriert. Anfang des Jahres zwang Hulu Boxee jedoch dazu, seine Inhalte aus dem Angebot zu entfernen. Mittlerweile sind Hulus Sendungen jedoch wieder über Boxee abrufbar. Die Software, deren Oberfläche auf Mozillas XUL basiert, gibt sich dazu gegenüber Hulu ganz einfach als normaler Firefox-Web-Browser aus.
Boxee-CEO Avner Ronen glaubt ohnehin nicht, dass Boxees Hardware für die Fernsehbranche eine Bedrohung darstellt. "Ein Fernseher ist nur ein Monitor", schrieb er dazu kürzlich. "Er unterscheidet sich nicht wesentlich von einem Laptop oder einem PC-Bildschirm, außer in der Größe." Früher oder später werde sich diese Erkenntnis auch unter den Produzenten von Videoinhalten durchsetzen, so Ronen.
Nicht immer stabil
Tatsächlich gibt es schon jetzt eine Reihe von Inhalte-Anbietern, die keine Angst vor Boxee haben. So kooperiert die US-Baseball-Liga MLB ganz offiziell mit Boxee. Zahlende Abonnenten der Website MLB.tv können damit in Zukunft Baseball-Spiele per Set-Top-Box direkt vom Netz aus auf ihren Fernseher übertragen. Auch Sony und die Soft-Porn-Website Suicide Girls gehören zu den Boxee-Partnern. Weitere Kooperationen sollen am Montag bekanntgegeben werden.
Offen bleibt, ob Boxee die hohen Erwartungen seiner Fans erfüllen kann. Die Software glänzte in der bisher erhältlichen Alphaversion zwar mit einer sehr schicken Oberfläche, war jedoch weder besonders stabil noch übersichtlich. Die Nutzbarkeit will man in der für Montag angekündigten Betaversion durch eine Rundumüberholung verbessert haben. Gleichzeitig lässt sich Boxee eine Hintertür offen für den Fall, dass doch noch nicht alles richtig funktioniert. Die Betaversion wird anfangs nur ausgewählten Nutzern zugänglich sein. Vielleicht ist es deshalb wirklich passend, dass die neue Version in einem Indie-Club eingeweiht wird. Die breite Masse darf vorerst einmal draußen bleiben.
(Janko Röttgers)