DJ-Kultur als Produkt der Technologie
Über 30 Jahre lang hat sich DJ-Kultur um eine runde Scheibe aus Vinyl und den Technics SL 1210 MK2 gedreht. Doch die bewährte Technik wurde im letzten Jahrzehnt aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung durch entsprechende Entwicklungen ergänzt: Dem Pioneer CDJ-1000 gelang mit seiner Vinyloptik ebenso der Durchbruch wie der DJ-Software Traktor Pro von Native Instruments. Ein Rück- und Ausblick auf die Technikinnovationen in der DJ-Kultur.
"DJing ist so wie elektronische Musik ein Produkt der Technologie. Wenn sich die Technologie nach vorne bewegt, ziehen wir mit", sagte der in Kanada aufgewachsene Techno-DJ Richie Hawtin im Jahr 1999.
Obwohl sich herkömmliche Musikkonsumenten zu diesem Zeitpunkt ihre Musik nur noch selten auf Vinyl besorgten, war die analoge Vinylschallplatte nach wie vor das Medium erster Wahl für DJs und Hi-Fi-Fans. Die CD galt bei den meisten Musikliebhabern zum Jahrtausendwechsel noch als verpönt und unauthentisch.
"Zwölfzehner"-Plattenspieler als Standard
In nahezu allen Clubs standen ausschließlich Plattenspieler, und zwar die Modelle Technics 1210 MK2 in einem dunklen Anthrazitton oder Technics 1200 MK2 in Silber, die seit 1978 fast unverändert gebaut werden. Die "Zwölfzehner" (so heißen die Plattenspieler bei ihren Fans) bestehen aus einem Alu-Druckgussgehäuse und verfügen über einen Quarz-Direktantrieb, bei dem ein Teil des Motors direkt auf dem Plattenteller befestigt ist. Das elf Kilogramm schwere Gerät mit stufenloser Drehzahlfeineinstellung gilt als nahezu unverwüstbar - und setzte sich weltweit bei Musikliebhabern durch.
In den über 30 Jahren Produktionsjahren hatte Technics bis auf einige Sonderausgaben und kleine Änderungen wie einen Rückstellknopf auf die Normalgeschwindigkeit, der etwa beim MK5-Modell verbaut wurde, den "Zwölfzehner" kaum weiterentwickelt. Anderen Herstellern gelang es trotz guter Imitationen und Weiterentwicklungen mit Digitalausgängen bis heute nicht, an den Erfolg der Technics-Serie anzuschließen.
CD-Player muss sich mit Technics messen
Im Jahr 2001 brachte der Hersteller Pioneer mit dem CDJ-1000 ein Modell eines CD-Players auf den Markt, das optisch und auch hinsichtlich der Funktionen den Technics-Plattenspieler naturgetreu emuliert. Bei Schallplatten ist mittels der Breite der Rillen erkennbar, wann Musikstücke ruhigere Passagen beinhalten. Der CDJ-1000 zeigt das mittels eines digitalen WAV-Files auf dem Display an. Eine riesige Drehscheibe soll den rotierenden Plattenspieler darstellen und beim Angleichen von zwei Platten im "Vinylmodus" ähnlich reagieren wie die Vinylschallplatte auf dem Technics.
Mit dem CDJ-1000 lassen sich zudem dieselben Effekte erzielen wie mit herkömmlichen Plattenspielern - etwa "Scratches" (ein Geräusch, das beim schnellen Vor- und Zurückziehen einer Schallplatte entsteht) und "Rewinds" (beim raschen Zurückziehen einer Schallplatte wird die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Song gelenkt). Der leicht verbesserte CDJ-1000-MK2 kam im Juli 2003 auf den Markt, das Nachfolgemodell MK3 aus dem Jahr 2006 kann zudem auch Daten-CDs mit MP3-Files lesen.
Nach und nach landeten immer mehr Pioneer-CD-Player in den Clubs - und zwar direkt neben den alten, robusten Technics-Plattenspielern. Was Technics mit dem "Zwölfzehner" geschafft hatte - nämlich unangetasteter Marktführer in diesem Segment zu sein -, gelang Pioneer mit seinen CD-Playern. Zwar brachte Technics 2004 mit dem SL-DZ1200 selbst ein eigenes CD-Turntable-Modell auf den Markt, doch war es dafür zu spät. Pioneer hatte sich bereits durchgesetzt.
Die Kombination aus Turntables und CD-Playern in Clubs wurde zunehmend zum Standard. Während manche DJs anfangs zögerlich hin und wieder zu selbst gebrannten CDs griffen, vor allem um ihre eigenen Produktionen in den Mix einzubauen, nahm die Zahl der DJs, die noch mit Vinylplatten den Club betreten, bis 2009 kontinuierlich ab. Mittlerweile freundeten sich selbst anfängliche Kritiker mit der neuen Technik an, nicht allein aus Bequemlichkeit - Plattenkisten sind schwer, und die DJs werden auch nicht jünger.
Digitale MP3-Dateien mit Timecode-Platte
Doch nicht nur mit dem Pioneer-CD-Player war ein Grundstein zur fortschreitenden Digitalisierung der DJ-Kultur gelegt worden. CDs waren in der Bevölkerung zu dem Zeitpunkt eigentlich bereits auf dem absteigenden Ast, denn es war das Zeitalter der MP3s, also der komprimierten Musikdateien. Im selben Jahr wie Pioneers CD-Player wurde ein Abspielsystem auf den Markt gebracht, das digitale MP3-Files auf Schallplatten mit integriertem Timecode abspielen konnte. "Final Scratch" nannte sich eine der ersten Entwicklungen dieser Art, die ursprünglich auf Debian Linux funktionierte, doch das Produkt ist über die Jahre hinweg verunglückt.
Der niederländische Erfinder verkaufte die Rechte an Stanton Magnetics, die sich Native Instruments, die Erfinder der erfolgreichen DJ-Software Traktor, ins Boot holten. 2006 endete die Partnerschaft zwischen den beiden Firmen, 2008 etablierte sich das Nachfolgesystem Traktor Scratch Pro von Native Instruments auf dem Markt, das seither mit Serato Scratch Live von Rane um die Nummer eins kämpft.
Um diese Software nutzen zu können, müssen DJs neben ihrem Laptop und ihrer MP3-Sounddatenbank zwei Timecode-Platten oder -CDs für die Plattenspieler oder CD-Decks sowie ein "Scratch Amp"-Teil, das alle Ein- und Ausgänge miteinander verbindet, in den Club mitnehmen. Final-Scratch- und Traktor-Scratch-Pro-DJs konnten dadurch auf eine entsprechend große Datenbank an Musikstücken zugreifen. Erst waren es vor allem DJs, die das Gefühl von Vinyl nicht missen wollten, aber vom analogen Plattensammeln auf das digitale Speichern von Musik umgestiegen waren, die auf die Laptop- und Software-basierte Lösung umstiegen. Doch mit der Zeit gab es auch immer mehr vor allem jüngere DJs, die den Laptop mit den CD-Playern ansteuerten. Hier besteht noch immer ein Vorteil darin, dass man durch das ständige Wechseln der CDs keine Zeit mehr verliert. Diese kann man stattdessen in den Mix oder in die Auswahl der Musikstücke stecken.
Digitale DJ-Systeme auf Open-Source-Basis
Neben den kommerziellen Lösungen von Native Instruments und Rane wurde mit Mixx im Jahr 2001 eine Open-Source-Software für digitale DJs ins Leben gerufen, die sich auch hervorragend auf kleinen Netbooks installieren lässt (so gesehen im Wiener Musikclub rhiz im Jahr 2008). Mit einer Synchronisierungsfunktion lassen sich laufende Titel automatisch an das Tempo angleichen - was die Funktion des DJs als Künstler, der im Mix mit zwei bestehenden Tracks eine neue Variation schafft, grundlegend infrage stellt. Schließlich macht hier die Software die Arbeit, die sonst der Mensch leistet.
Hang the DJ: Die Maschine übernimmt
Tatsächlich wurde zum Millenniumswechsel von der Firma Hewlett-Packard ein Programm namens hpDJ entwickelt, das Übergänge von einem Soundfile ins andere simulieren kann. Das Programm, das mit künstlicher Intelligenz arbeitet, wurde zwar bis 2005 kontinuierlich weiterentwickelt, aber bisher noch nicht auf den Markt gebracht. Rein technisch übernimmt die Maschine dabei einfache Aufgaben eines DJs wie das Mischen von zwei Tracks, aber richtige Turntable-Kunst kann die Maschine nicht simulieren.
Online-Stores iTunes und Beatport
Es dauerte zudem etwa bis 2004, dass sich die digitalen DJ-Systeme tatsächlich zu verbreiten begannen, da es hierzulande vorher schwierig war, MP3-Dateien käuflich zu erwerben. Apples iTunes Store begann mit dem digitalen Verkauf von Musik in Europa im Jahr 2004, auch entsprechende Musikstores für elektronische Musik wie etwa Beatport starteten im Jänner 2004.
Während sich iTunes eher für Pop- und Rock-Hits eignet, finden DJs beim US-Store Beatport über 8.000 unabhängige Labels, die ihre Musikfiles in MP3, M4A und WAV-Qualität zum Download anbieten. Da die Beatport-Bibliothek auch direkt via der Traktor-Software aufgerufen werden kann, gilt der Online-Store als Nummer eins im elektronischen Musikbereich. Der Store ist sogar so erfolgreich, dass er seit 2008 nur noch vereinzelt neue Künstler ins Repertoire aufnimmt.
Laptops und Controller in die Clubs
Doch neben den neuen digitalen DJ-Systemen wurden zunehmend auch Software-Sequenzer entwickelt, mit denen sich die Möglichkeiten der Musikproduktion mittels Computer weiterentwickelt und verbessert haben. So war es auch eine logische Konsequenz, dass es bald eine Software geben musste, die den Livecharakter mit der Kunst des DJings zusammenführt: Ableton Live der Berliner Software-Firma Ableton ermöglicht es Künstlern, ihre Musik mit Laptops in Echtzeit auf der Bühne umzuarrangieren und ineinander zu mixen. So vermischte sich auch die Rolle des DJs mit der des Musikproduzenten über die Jahre zunehmend und auf der Bühne gab es statt Turntables und CD-Playern Menschen zu sehen, die mit einem Laptop und einem Controller live performen und ihre eigenen Werke ineinander mixen.
"Anfang des Jahrzehnts war es so, dass die DJs original alle dasselbe gespielt haben. Erst durch die Technik haben sie sich im Laufe der Jahre unterschieden", meint etwa Oliver Paar, Inhaber des Elektronische-Musik-Hauses Friendly House in Wien. Derzeit könnten sich DJs aussuchen, auf welches System sie bei ihrem Auftritt zurückgreifen möchten, bestätigt Paar. Doch es ist fraglich, wie lange es noch so weitergehen wird.
Einerseits gäbe es derzeit einen Trend bei Profis hin zum Einsatz von Laptops und Controllern, so Paar, andererseits zeichne sich ab, dass medienlose Technologien und Vernetzung bei den Geräten im Kommen seien.
Der Player der Zukunft: Tonträgerlos und vernetzt
So hat etwa Pioneer im November 2009 mit dem Pioneer CDJ-2000 sein nächstes Flagschiff auf den Markt gebracht, welches Musik von verschiedenen Quellen wie CDs, DVDs, USB-Speichermedien und SD-Karten abspielen kann und mit einer eigenen Musikdatenbank-Software ausgeliefert wird, über die sich DJs speziell auf ihre Auftritte vorbereiten können. Mit einem LAN-Kabel lassen sich zudem bis zu vier Player miteinander verbinden, über die gleichzeitig auf Musikdateien zugegriffen werden kann. Optisch ähnelt das Layout freilich seinem erfolgreichen Vorläufer.
Bei den Controller-Geräten hingegen wird es in den kommenden Jahren zunehmend Entwicklungen in Richtung Multitouch geben, sowie es bei Jazzmutants Lemur bereits Standard ist. Das Multitouch Surface wird mit Hilfe eines Zwölf-Zoll-Touchscreen-Monitors bedient und über ein Ethernetkabel verbunden. Gerade im Bereich der Soundmodulation könnte sich künftig noch einiges entwickeln, doch herkömmliche Regler werden großteils bestehen bleiben.
"Dass sich ein Trend so lange halten wird wie der Technics 1210er, wird es in Zukunft sicher nicht mehr geben", ist Paar überzeugt. Doch der robuste Technics-Plattenspieler hält sich - ebenso wie die Vinylschallplatte - hartnäckig. Im Winter 2009 aufkommende Gerüchte, dass die Produktion der legendären Turntables im März 2010 eingestellt werde, erwiesen sich als falsch. Die Technics-Verkäufe seien "den Umständen entsprechend" gut, meint der Inhaber des Friendly House, und fügt hinzu: "Solange sie noch zum Standard in den Clubs gehören."
(futurezone/Barbara Wimmer)