Regierungsdaten: Die neue Offenheit der Briten
London öffnet seine Archive - und gibt seinen Bürgern aktuelle Statistiken an die Hand. Die Informationen stehen kostenlos nicht in Papierform oder als PDF, sondern als strukturierte Datensätze zur Verfügung, die über standardisierte Schnittstellen stets aktuell über das Netz zugänglich sind. Die Daten verraten unter anderem, wo die meisten Straftaten begangen werden und in welchen Krankenhäusern die Wartelisten am längsten sind.
Zu den ältesten Schriftzeugnissen der Menschheit gehören die Listen, die sumerische Beamte in säuberlicher Keilschrift in Tontafeln ritzten. Dabei führten sie säuberlich diverse Warenbewegungen auf, die das Wirtschaftsleben damals im Zweistromland beschrieben. Aufbewahrt wurden die Täfelchen so sorgfältig, dass sie Jahrtausende später geborgen und entziffert werden konnten. Die aufgezeichneten Informationen waren dem damaligen Staatenwesen so wertvoll erschienen.
Dieses Listenwesen hat sich erhalten - heute erheben Beamte über alle möglichen Lebensbereiche Zahlen - und konservieren sie in für Laien oftmals unverständlichen Zahlenspalten. Viele dieser Statistiken werden in komprimierter Form veröffentlicht, viele aber auch oftmals nicht - insbesondere lokale Kriminalitätsstatistiken, Statistiken über Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Bürger konnten bisher nicht direkt erfahren, was in ihrem Bezirk, ihrem Stadtteil oder ihrer Gemeinde los ist. Statistiken waren somit auch immer das Herrschaftswissen der Verwaltung.
"Crime Maps" und freie Daten
Das ändert sich nun weltweit: Zu den ersten Stadtverwaltungen, die ihre Archive im Internet veröffentlichen, gehört London. Dort stellte der konservative Bürgermeister Boris Johnson den London DataStore vor - als "einen ersten Schritt, die Daten von London zu befreien". Er glaubt, so berichtet die britische Tageszeitung "Guardian", dass "die Daten nicht nur von Behörden oder Eliten aufbewahrt werden sollten". Im Wahlkampf hatte er versprochen, "Crime Maps" einzuführen, also Stadtkarten, die detailliert zeigen, wo wann welche Straftat begangen wurde. In den USA gibt es solche Angebote schon seit längerem.
Ende Jänner soll der Datenladen im Netz eröffnet werden. Für den Start werden rund 200 Datensets den Bürgern kostenlos zur freien Verfügung stehen: Die Statistikdaten reichen von Schulen und Schülerzahlen, Brände, Unfälle, Straftaten über CO2-Emissionen, Gewerbeflächen, freistehende Büroräumlichkeiten bis hin zu verlassenen Fahrzeugen, Abfall- und Recyclingraten. Aber auch Gesundheitsdaten wurden veröffentlicht, die Auskunft über Wartelisten in Krankenhäusern geben, die im britischen Gesundheitswesen üblich sind, und über Abtreibungsraten und Suchtindikatoren.
Offene Schnittstellen
Die Bürger dürfen mit den Daten verfahren, wie sie möchten. Damit sie das auf möglichst kreative Weise tun, hat der öffentlich-rechtliche Fernsehsender Channel 4 einen Wettbewerb ausgeschrieben, der innovative Datenauswertungen mit bis zu 200.000 britischen Pfund belohnt. Das Besondere an diesen offenen Daten ist nämlich, dass sie nicht etwa in einer PDF-Datei veröffentlicht werden, sondern als von Computern lesbare und verwertbare Zahlen.
Anwendungen im Netz könnten also über standardisierte Schnittstellen auf die Datensätze zugreifen und sie direkt zu Grafiken und anderen Darstellungen wie etwa Widgets weiterverarbeiten. Diese wiederum könnten Bürger, Einrichtungen und Zeitungen etwa neben der lokalen Wetterinfo auf ihrer Website oder Blog veröffentlichen.
Vorbild USA
Die Briten orientieren sich dabei an den USA. US-amerikanische Städte wie San Francisco und Chicago eröffneten längst ihre "Data Stores". Präsident Barack Obama treibt die Entwicklung höchstselbst voran und fordert seine Behörden auf, Daten in großem Umfang für die Website data.gov freizugeben. Niemand Geringerer als World-Wide-Web-Erfinder Tim Berners-Lee entwickelt für die britische Labour-Regierung die nach diesem Vorbild entwickelte Internet-Regierungsdatenbank data.gov.uk, die ebenfalls noch in diesem Monat der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.
(Christiane Schulzki-Haddouti)