Reding gegen Datengier von Facebook & Co.
Der Datenschutz werde "ganz oben auf der Tagesordnung" ihrer Amtszeit stehen. Das sagte die designierte EU-Justizkommissarin Viviane Reding am Dienstag bei ihrer Anhörung im Europaparlament. Unverhältnismäßigem Datensammeln erteilte sie eine Absage. Die Grundrechte sollten nicht zugunsten immer neuer Anti-Terror-Maßnahmen abgebaut werden. Auch einen Seitenhieb auf die Vorratsdatenspeicherung konnte sich die Kommissarin nicht verkneifen.
"Auch wenn es um die Strafverfolgung und die Vermeidung von Kriminalität geht", solle der Datenschutz Priorität haben, betonte die amtierende Medienkommissarin in Brüssel vor Abgeordneten der Ausschüsse für Gleichstellung, Justiz und Inneres. "Wir müssen einen Kommissar haben, der für die Rechte zuständig ist." Die Luxemburgerin unterstrich, dass "wir uns nicht Regeln aufzwingen lassen, die gegen unsere Grundrechte sind, die gegen den Schutz unserer Privatsphäre und von personenbezogenen Daten sind. Das wollen wir nicht, auch nicht zugunsten von Anti-Terror-Maßnahmen."
Die Christdemokratin bedauerte, dass "im letzten Jahrzehnt die Justiz vernachlässigt" worden sei. Der Schwerpunkt sei ausschließlich auf dem Bereich Sicherheit gelegen. Nun wolle sie "ausgewogener" vorgehen und auch die Bereiche Rechte und Freiheit einbeziehen. Deshalb habe ja EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso eine politische Neuorientierung vorgenommen und ein neues Ressort spezifisch für Justiz, Grundrechte und Bürgerrechte geschaffen. Bisher habe der Ministerrat hinter verschlossenen Türen immer neue Sicherheitsgesetze am Parlament vorbei beschließen können. Diese Zeiten seien nun dank des Vertrags von Lissabon vorbei. Das Parlament könne nun auch in Sicherheitsfragen mitentscheiden. Sie müsse nun gemeinsam mit der designierten Innenkommissarin Cecilia Malmström die Umsetzung des Stockholm-Programms unverzüglich angehen. Dieses umfasse rund 170 Einzelmaßnahmen.
Nacktscanner "kein Allheilmittel"
Bezüglich der jüngsten Debatte über die Einführung von Körperscannern zur Terrorismusbekämpfung zeigte sich Reding skeptisch: "Wir müssen uns eine Reihe von Fragen stellen: Arbeiten die Scanner effizient, sind sie ein Risiko für die Gesundheit, gibt es Probleme in Bezug auf die Privatsphäre und den Datenschutz? Und wir müssen uns natürlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor Augen führen."
Reding: "Da sage ich ganz eindeutig: Unser Bedürfnis nach Sicherheit kann nicht jegliche Verletzung der Privatsphäre rechtfertigen. Unsere Bürger sind keine Objekte, sondern menschliche Wesen." Sie nannte drei Vorbedingungen für den "Einsatz von Ganzkörperscannern: Es muss freiwillig sein, die Bilder müssen sofort zerstört werden, und man muss die Kontrolle über die Gesundheitskonsequenzen behalten." Es gebe nichts hundertprozentig Sicheres, und "Scanner sind kein Alleilmittel, das alles lösen wird". Es gehe darum, sich "mit weniger eingriffsmassiven Maßnahmen zu beschäftigen, damit es nicht zu einer Explosion des Eingriffs in die Privatsphäre kommt".
Generell werde sie bei solchen Fragen eine "Grundrechteprüfung zu jedem Vorschlag" machen. Auch die Umsetzung von Richtlinien in den Mitgliedsstaaten solle auf Konformität mit der Grundrechtecharta geprüft werden. Mit der Grundrechtecharta stehe nun endlich ein Maßstab für solche Maßnahmen zur Verfügung.
Neuverhandlung des SWIFT-Abkommens
Angesprochen auf das umstrittene SWIFT-Abkommen mit den USA über den Austausch von Bankdaten sagte Reding, "niemand soll sich von Angst leiten lassen, sondern von Werten, auf die sich die Union gründet". Jedenfalls werde nach neun Monaten Interimsabkommen das definitive SWIFT-Abkommen nach dem Lissabon-Vertrag mit Einbindung des Parlaments verabschiedet werden. Bezüglich der Verhandlungen über den Austausch von Finanz- und Flugdaten zeigte sich Reding grundsätzlich skeptisch über den Wert der Datenerfassung und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: "Warum soll man so viele Daten erheben, wenn man sie nicht nutzen kann?"
Was den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention betrifft, werde es zu Verhandlungen kommen. Die in Wien beheimatete Agentur für Grundrechte sei ein sehr wichtiges Instrument, das es auch erlaube, Situationen zu analysieren und Irrtümer bei künftigen Entscheidungen zu vermeiden. Erleichterungen will Reding mit der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie vorantreiben, "wenn nötig mit Verletzungsverfahren".
Absage an Zuckerberg
Auf eine Anfrage der liberalen niederländischen Abgeordneten Sophie in 't Veld zum Umgang mit Daten im Kontext der Abkommen über den Austausch von Flugpassagierdaten (PNR) oder Finanzdaten des SWIFT-Netzwerks antwortete Reding, dass diese Abkommen sorgfältig auf Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta und ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden würden. Reding erinnerte daran, dass sie gegen die Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) eingetreten sei. Hier hätten sich aber der Rat und der Innenausschuss durchgesetzt. Sie wünsche sich, dass die EU-Abgeordneten in Zukunft "zweimal nachdenken" würden, bevor sie solchen Initiativen zustimmten.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Stavros Lambrinides nahm indirekt Bezug auf Medienberichte, nach denen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gesagt haben soll, dass die Menschen mit der Privatsphäre im Internet anders umgingen als in der physischen Welt. "Wer nichts zu verbergen hat, hat kein Leben", so Lambrinidis, der von Reding wissen wollte, wie sie die Privatsphäre der Nutzer im Internet schützen wolle. Reding wiederholte, dass der Datenschutz ihr sehr wichtig sei. Sie habe auch im Rahmen der Verhandlungen über das Telekompaket dafür gekämpft. Außerdem habe sie als Medienkommissarin dafür gesorgt, dass Großbritannien wegen Genehmigung der Aktivitäten der Werbefirma Phorm sich vor Gericht verantworten musste. Ohne wohlinformierte Zustimmung der Nutzer dürfe es keine solchen Werbemethoden geben.
ACTA: "Produktfälschung ist nicht Downloaden"
Von einem Mitglied des Justizausschusses auf das derzeit im Geheimen zwischen EU, USA und anderen Industriestaaten ausgehandelte Anti-Piraterie-Abkommen ACTA angesprochen, sagte Reding, dass sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Malmström dabei sei, Maßnahmen gegen Produktfälschungen auszuarbeiten. "Produktfälschung ist aber nicht Downloaden", so Reding, die beide Themen getrennt angehen will. Die Kreativen hätten aber ein Recht darauf, für ihre Arbeit bezahlt zu werden.
Bei unlizenzierten Downloads von Medienprodukten sei eine sehr schwierige Abwägung zwischen dem Recht auf Eigentum und dem Recht auf Privatsphäre zu treffen. Angesprochen auf die jüngsten Internet-Kontrollbestrebungen in Spanien und das HADOPI-Sperrgesetz in Frankreich sagte Reding, dass sich auch diese Initiativen an der Grundrechtecharta messen lassen müssten. Reding wies darauf hin, dass sie sich im Kampf um das Telekompaket für den Zusatz 138 eingesetzt habe. Damit sei klar, dass auf EU-Ebene kein "Three Strikes"-Gesetz verankert werden könne, mit dem Bürgern ohne richterlichen Beschluss der Internet-Zugang gekappt werden kann. Das sei nach einem harten Kampf ein "wichtiger Sieg für die Bürger", so Reding.
Zur Bekämpfung der nichtlizenzierten Downloads sei es wichtiger, attraktive grenzübergreifende Angebote zu schaffen, als Repressionen gegen die User einzuführen, so Reding. Man könne jedenfalls nicht mit den Ideen der analogen Welt den digitalen Markt regulieren.
Mit den Providern für Kinderschutz im Netz
Was den Kampf gegen Kinderpornographie im Netz angehe, so verwies Reding auf die Zusammenarbeit mit der Industrie im Rahmen der Safer Internet Initiative. Es sei nicht möglich und auch nicht erwünscht, Minderjährige vom Computer fernzuhalten. Man könne aber mit zahlreichen Maßnahmen dafür sorgen, dass Minderjährige im Netz sicher unterwegs sein können. Beispielsweise sollten Profile Minderjähriger in Sozialen Netzwerken von vornherein auf privat gestellt sein.
Das EU-Parlament muss die neue Kommission Barroso noch als ganze bestätigen oder zurückweisen. Die entsprechende Debatte und die Abstimmung sind für den 26. Jänner geplant.
(APA/futurezone)