Google droht mit Rückzug aus China
Der Internet-Konzern Google will sich nicht mehr der chinesischen Zensur beugen und nimmt dafür sogar einen Abzug vom größten und am schnellsten wachsenden Internet-Markt der Welt in Kauf. Zudem wirft Google China Angriffe auf seine Infrastruktur und Diebstahl geistigen Eigentums vor.
Auslöser der Kehrtwende sind laut Angaben von Google massive Cracker-Angriffe aus China, der Diebstahl von Programminformationen und die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit in China. China hat laut eigenen Angaben rund 360 Millionen Internet-User. Internationale Bürgerrechtsgruppen begrüßten die Entscheidung am Mittwoch als einen mutigen Schritt zum Schutz der Internet-Freiheit und der Menschenrechte.
"Wir haben entschieden, dass wir nicht länger dazu bereit sind, unsere Suchergebnisse auf Google.cn zu zensieren", schrieb Googles Chefjurist David Drummond im Firmenblog. Der Konzern wolle in Gesprächen mit den Behörden klären, ob die lokale Suchmaschine ohne Zensur betrieben werden kann.
"Wir sind uns bewusst, dass das bedeuten kann, dass wir die Website Google.cn und möglicherweise auch unsere Büros in China schließen müssen." Die Angriffe, die Überwachung und die Versuche im vergangenen Jahr, die freie Meinungsäußerung in Chinas Internet weiter zu begrenzen, veranlassten Google, sein China-Geschäft auf den Prüfstand zu stellen. Google ist seit Jänner 2006 mit einem eigenen Angebot in der Volksrepublik präsent.
Angriff auf Google
Bei den Cracker-Angriffen aus China wurden laut "Wall Street Journal" wichtige Quellcodes gestohlen, mit denen potenziell Zugang zu anderen Daten gewonnen und Sicherheitsmängel identifiziert werden können. Google sprach nur vage von "Diebstahl geistigen Eigentums" und einem "hochraffinierten und gezielten Angriff auf unsere Unternehmensstruktur, der aus China kam".
Es seien ähnliche Angriffe auf mindestens 20 weitere große Unternehmen in den Bereichen Internet, Finanzen, Technologie, Medien und Chemie entdeckt worden. US-Behörden hätten sich eingeschaltet.
Vorrangiges Ziel des Angriffs seien E-Mail-Konten von chinesischen Menschenrechtsaktivisten gewesen. Doch sei das Ziel nach vorliegenden Erkenntnissen nicht erreicht worden. Die Angreifer hätten sich lediglich Zugang zu zwei E-Mail-Postfächern verschaffen und nur Kontoinformationen und Betreffzeilen der E-Mails einsehen können, nicht aber den Inhalt, berichtete Google.
Unabhängig davon sei entdeckt worden, dass Dutzende Konten von Nutzern, die sich für eine Verbesserung der Menschenrechte in China einsetzen, von außen regelmäßig überwacht worden seien. Dafür seien höchstwahrscheinlich Passwörter ausgespäht oder Schadprogramme benutzt worden.
USA erwarten Erklärung
Die Vorwürfe des Unternehmens "wecken sehr ernste Sorgen und Fragen", sagte Außenministerin Hillary Clinton nach Angaben des US-Außenministeriums vom Mittwoch. Google habe die US-Regierung über die Vorgänge unterrichtet. "Wir erwarten eine Erklärung der chinesischen Regierung", sagte Clinton. Die Außenministerin hob die Bedeutung der Zuverlässigkeit und Freiheit des Internets für eine moderne Gesellschaft und Wirtschaft hervor.
Jagd auf die User
Laut Angaben der Nachrichtenagentur Reuters legte ein Dutzend chinesischer Bürger am Mittwoch ein Bouquet mit roten Rosen und weißen Lilien vor dem Eingang des Pekinger Google-Hauptquartiers nieder. Sie seien gekommen, um den Konzern für seine Entscheidung zu loben, zitierte die Agentur den IT-Experten Zhao Gang, der mit vor die Google-Zentrale gezogen war. Der chinesische Blogger Lu Ning sagte der Agentur, er sei überrascht, dass eine große Firma das Schweigen gebrochen habe. Die Probleme mit Zensur und Online-Kriminalität seien in China ständig präsent.
Der Pekinger Menschenrechtsaktivist Xu Youyu sagte Reuters, dass Googles Protest wohl nicht zu einer Rücknahme von Zensurmaßnahmen führen werde: "Unser Freiraum im Netz ist ständig weiter geschrumpft, weil die Kontrolle durch die Regierung immer genauer und umfassender wurde." Der Geschäftsmann und Netzaktivist Wang Junxiu sagte, dass die chinesische Regierung bei einem Rückzug Googles aus dem Land auch die ausländischen Google-Angebote über ihre "Great Firewall" aussperren würde.
Bürgerrechtsgruppen begrüßen Entscheidung
Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch begrüßte Googles Vorgehen gegen die Zensur in China als "großen Schritt zum Schutz der Menschenrechte online". Chinas Regierung setze "massive finanzielle und personelle Ressourcen ein, um das Internet zu zensieren und Internet-Nutzer zu jagen und zu bestrafen, die Ansichten vertreten, mit denen die chinesische Kommunistische Partei nicht einverstanden ist".
Das amerikanische Center for Democracy and Technology (CDT), das sich für Bürgerrechte einsetzt, meinte: "Google hat einen mutigen und schwierigen Schritt für die Internet-Freiheit zur Unterstützung fundamentaler Menschenrechte getan."
Vor vier Jahren hatte Google beim Start seiner chinesischen Suchmaschine massive Kritik einstecken müssen, weil es sich - wie andere Internet-Unternehmen - bereiterklärt hatte, seine Ergebnisse selbst zu filtern. Suchergebnisse zu politisch heiklen Themen wie die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens werden gefiltert. China gilt mit rund 340 Millionen Nutzern und seiner rapide wachsenden Wirtschaft als wichtiger Zukunftsmarkt, auch im Kerngeschäft von Google, der Internet-Werbung.
Yahoo musste zahlen
Google betreibt die weltweit meistbenutzte Suchmaschine, konnte sich aber in China nicht gegen die länger etablierte chinesische Suchmaschine Baidu durchsetzen, deren Marktanteil nach eigenen Angaben im dritten Quartal 2009 auf 77 Prozent stieg. Der Betrieb von Baidu war am Dienstag ebenfalls durch einen Cyber-Angriff beeinträchtigt worden. Im Oktober 2007 hatte die chinesische Internet-Zensur die Anfragen an westliche Suchmaschinenbetreiber wie Google, Yahoo und Microsoft kurzfristig an Baidu umgeleitet.
Laut einer jüngsten Schätzung des chinesischen Beratungsunternehmens Analysys International liegt der Marktanteil von Baidu bei der Internet-Suche in der Volksrepublik derzeit bei rund 62 Prozent, der von Google bei 29 Prozent.
Google ist nicht der einzige westliche Anbieter, der mit den chinesischen Behörden in Konflikt geraten ist. So verriet eine chinesische Tochter von Yahoo die Nutzerdaten der regimekritischen Journalisten Shi Tao und Wang Xiaoning an die chinesischen Behörden. Die beiden wurden 2006 zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Sie klagten im April 2007 mit Hilfe einer US-Menschenrechtsorganisation den Konzern in den USA und erreichten im November 2007 eine außergerichtliche Einigung mit Yahoo, wobei die Firma eine Entschädigungszahlung in unbekannter Höhe leisten musste.
(dpa/Reuters/futurezone)