Kroes' digitale Agenda für Europa
Die designierte EU-Kommissarin für die digitale Agenda, Neelie Kroes, hat sich am Donnerstag den Fragen der EU-Abgeordneten gestellt - und weitgehend überzeugt. Klare Aussagen gab es zu ACTA, Netzneutralität und Breitbandausbau. Dennoch muss sie sich am Dienstag einer weiteren Anhörung stellen.
Mit einer glitzernden Strassbrosche in Form eines Fragezeichens auf ihrem Revers stellte sich Kroes der fast dreistündigen Fragerunde im Europäischen Parlament. Bekannt ist die Niederländerin als "toughe" Wettbewerbskommissarin. In dieser Funktion hat sie "Unternehmen zerschlagen und Märkte umstrukturiert", wie ein Abgeordneter anerkennend sagte.
Damit setzte sie sich auch in der Computerwelt durch: Zuletzt konnte der Software-Gigant Microsoft im Streit über den Internet Explorer nur mit einem hart verhandelten Kompromiss die drohende Millionenbuße abwenden. Doch als Nachfolgerin von Viviane Reding wird Kroes keine Bußgelder verhängen oder Rechtsmittel einlegen können. "Es geht nun um Kommunikation mit guten Argumenten", sagte Kroes in der Anhörung vor dem Parlament, "und ich bin mir sicher, dass man mit guten Argumenten meistens eine produktive Richtung einschlagen kann".
Fragen zu Telekompaket
Kroes stellte eingangs ihre thematisch sehr breit angelegte digitale Agenda in sechs Punkten vor. Die Abgeordneten knüpften in ihren Fragen jedoch vor allem an die Themenstellungen an, die durch das im Herbst verabschiedete Telekommunikationspaket aufgeworfen wurden. Die Antworten von Kroes fielen daher nicht "tough", also möglichst konkret, sondern eher "smart" aus, wie ein Abgeordneter feststellte.
In der Frage, ob die Kommission im nächsten Jahr eine weitere Roaming-Verordnung erlassen werde, die grenzüberschreitendes Internet-Surfen oder SMS billiger machen würde, wollte sich Kroes nicht festnageln lassen: Man müsse abwarten, wie der Markt sich entwickeln werde - die Unternehmen hätten das Signal der Kommission noch nicht verstanden, die letztlich auf eine Regulierung durch den Markt selbst setze.
Netzneutralität und ACTA
Ein weiteres heißes Eisen war die Frage der Netzneutralität, also ob Telekomunternehmen und Internet-Provider bestimmte Dienste wie Skype aus ihrem Portfolio ausschließen dürfen, wenn diese nicht zu ihrem Geschäftsmodell passen. Hier machte Kroes eine klare Aussage: "Marktbeherrschende Unternehmen dürfen keine Dienste aus kommerziellen Gründen diskriminieren. Das ist ein 'No Go' - außer es geht um Spam oder Sicherheitsprobleme." Europa brauche ein "offenes Netz", sonst verliere man Entwicklungsmöglichkeiten.
In Bezug auf das derzeit auf internationaler Ebene verhandelte Anti-Piraterie-Abkommen ACTA, das ein Rahmenwerk gegen Piraterie finden will, zeigte sich Kroes hart: Die Europäische Union werde keine Kompromisse eingehen. "Unsere internationalen Partner müssen denselben Schutz für geistiges Eigentum bieten wie wir. Es gibt keine Harmonisierung durch die Hintertür. Die anderen müssen sich auf unsere Linie einstimmen", so Kroes.
Finanzielle Unterstützung für IT-Unternehmen
Als ersten Punkt ihrer digitalen Agenda nannte Kroes das Thema "Forschung und Innovation". Doch angesichts dessen, dass das Forschungsbudget von Google höher sei als das Budget, das die Europäische Union für den Bereich Information und Kommunikation bereitstelle, sei auch private und nationale Unterstützung notwendig, damit sich Informations- und Kommunikationsunternehmen "aller Größen" entwickeln könnten.
Volle Breitbandversorgung bis 2013
An zweiter Stelle forderte Kroes eine bessere Breitbandversorgung und lehnte sich weit aus dem Fenster: Die Abgeordneten könnten sie mit ihrem Versprechen, bis 2013 eine hundertprozentige Breitbandversorgung in Europa zu erreichen, beim Wort nehmen.
Als weiteres Anliegen nannte die designierte Kommissarin eine Erhöhung der Medien- und Internet-Kompetenz der Bürger. Die Aufgabe bestehe nicht nur in der Bereitstellung der technischen Infrastruktur, sondern auch darin, die Menschen zu erreichen, denen die Bedeutung des Internets bisher noch nicht klar sei. Gesundheitsinformationen etwa könnten das Leben von älteren Menschen verbessern: "Wenn die Menschen die Dienste nicht nutzen, verfehlen wir unsere Ziele."
Nichts Konkretes zu Datenschutz & Co.
Ein weiterer Punkt auf Kroes' Agenda sind "Vertrauen und Sicherheit". Dazu gehört nicht nur der Datenschutz, sondern auch eine Rechenschaftspflicht der Regierungen im Netz gegenüber den Bürgern. In der Anhörung konnte Kroes jedoch gerade zu diesem Bereich keine konkreten Vorhaben nennen.
"Interoperabilität und offene Standards" waren schließlich der fünfte Punkt. Kroes sieht hier die Verwaltung in einer Vorreiterrolle: Sie "müssen praktizieren, was sie fördern. Wenn sie es nicht tun, warum sollten es dann die Bürger?" Auch das Thema "Open Data" sprach Kroes explizit an: Öffentliche Daten wie Karten, Wetterdaten und Gesundheitsinformationen sollten in interoperablen Datenformaten zur Verfügung gestellt und genutzt werden.
Die Auseinandersetzungen mit Microsoft werden vor dem Hintergrund dieses Agendapunkts vermutlich weitergehen: Kroes kündigte an zu überprüfen, ob der Einsatz von Microsoft-Software in europäischen Institutionen dominiere. In diesem Falle wolle sie "sichergehen, dass wir Open Source einsetzen werden".
Einheitlicher Online-Markt
Als letzten Agendapunkt schließlich nannte Kroes die Schaffung eines "einheitlichen Online-Markts". Der europäische Markt sei ein Fleckerlteppich, der unterschiedlich reguliert werde. "Das frustriert Verbraucher und behindert das Wirtschaftsleben", sagte Kroes. Hier blieben jedoch "viele Fragen offen", bemerkte eine Abgeordnete, die "konkrete Antworten" vermisste.
Gleichwohl scheint Kroes auf die Abgeordneten mit ihren teils sehr klaren Ankündigungen zu Netzneutralität, Breitband, ACTA, offenen Standards und Interoperabilität einen vorwiegend guten Eindruck gemacht zu haben.
Kroes muss nachsitzen
Nach einer Beratung beschlossen die christdemokratische und sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament überraschenderweise, dass Kroes zu viele Fragen offenließ. Kroes muss daher Anfang nächster Woche noch einmal vor den Experten des Europaparlaments erscheinen.
(futurezone/Christiane Schulzki-Haddouti)