"YouTube hilft beim Filmverkauf"
Das Internet mischt auch das Filmgeschäft kräftig auf. Im ersten Teil eines Interviews mit ORF.at spricht der Oscar-nominierte österreichische Filmregisseur Virgil Widrich über die Defizite des gegenwärtigen Online-Filmverkaufs und über den Nutzen von YouTube für unabhängige Filmemacher.
Mit kostenpflichtigen Film-Downloads hat Widrich bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Die Firma worldcinemaonline.com, bei der die Filme des Regisseurs eine Zeit lang zum Download erhältlich waren, rutschte in die Pleite. Widrich fiel um seinen Anteil am Verkauf der Downloads um und lässt vorerst nur DVDs seiner Werke über das Netz vertreiben.
Sein jüngster Film "Fast Film" erlebte jedoch über YouTube einen regelrechten Popularitätsschub. Mehr als 47.000 Leute sahen einen Mitschnitt des Animationsfilms auf der Online-Videoplattform. Der DVD-Verkauf schnellte daraufhin in die Höhe.
"Download-Plattformen als Produzenten"
Noch gebe es kein funktionierendes Modell für den Filmvertrieb über das Internet, meint Widrich im Gespräch mit ORF.at. Das Potenzial sei jedoch durchaus gegeben. Vor allem für Kurz- und Dokumentarfilmer könnten sich über das Internet neue Möglichkeiten des Filmemachens und der Filmfinanzierung ergeben. Warum sollten Download-Plattformen nicht als Produzenten auftreten?
Derzeit seien jedoch die Internet-Provider die einzigen, die Geld bekommen, kritisiert Widrich: "In Wirklichkeit ist das Internet sehr ungerecht."
Der 1967 in Salzburg geborene österreichische Regisseur, Drehbuchautor und Multimedia-Künstler Virgil Widrich arbeitet an zahlreichen Film- und Multimedia-Projekten. Sein Kurzfilm "Copy Shop" [2001] wurde 2002 für den Oscar nominiert und auf zahlreichen internationalen Festivals ausgezeichnet.
Sein jüngster Film "Fast Film" feierte 2003 beim Filmfestival in Cannes Premiere und hat seither 36 Preise gewonnen. Zuletzt konzipierte Widrich, der auch Jurymitglied der ARS Electronica ist, mit der von ihm im Jahr 2001 gegründeten Multimedia-Agentur checkpointmedia zahlreiche Multimedia-Installationen im renovierten Mozarthaus Vienna.
ORF.at: In Ihrem Film "Copy Shop" wird der Protagonist des Films beinahe endlos reproduziert. Die Kopien lassen sich nicht mehr kontrollieren. Die Filmindustrie versucht der nicht autorisierten Vervielfältigung von Filmen mit Kopierschutztechnologien, die die Rechte der Nutzer stark einschränken, und mit Strafandrohungen zu begegnen. Ist das der richtige Weg?
Widrich: Nein. Das machen nur die Majors, sprich die großen Firmen in Amerika und in Europa. Die unterstützen diese Bestrafungslinie. Ich halte davon gar nichts. Ich glaube auch nicht, dass das etwas bewirkt.
Es macht aber sehr wohl Sinn, Kopierlager auszuheben, wo nicht lizenzierte DVDs hergestellt werden und die Händlerstruktur zu zerschlagen, die ja eine kriminelle Struktur ist.
Aber den Endkunden, der sich den Film runterlädt oder irgendwo am Naschmarkt kauft, zu bestrafen, halte ich für lächerlich. Da bestraft man aus der Sicht des Filmproduzenten seine eigenen Kunden.
Das Problem wurde auch dadurch mit verursacht, dass es bis heute kein funktionierendes Modell für den Vertrieb von Filmen über das Internet gibt.
Wie könnte so ein Modell aussehen?
Widrich: Tatsache ist, dass die Leute süchtig nach Film sind - nicht unbedingt nach dem Kino - aber nach Film und Geschichten. Die Leute wollen Film, der Bedarf explodiert. Das ist eigentlich eine gute Botschaft für die Filmindustrie.
Ich glaube, es sollte ein Format geben, das überall funktioniert, das ich mir auch am Fernseher anschauen kann. So wie etwa 35-Millimeter-Film ein auf der ganzen Welt gebräuchliches Format ist, das seit über 100 Jahren etabliert ist. Deshalb hat sich Film ja auch international so verbreiten können.
Es muss ein leistbares und gutes Angebot geben, wo man die gesamte Filmgeschichte abrufen kann, in einer entsprechenden Qualität, für die man gerne bezahlt.
Es wäre wichtig, eine gut sortierte Bibliothek zu haben. Die beste Filmdatenbank ist die Internet Movie Database [IMDb]. Wenn ich mir vorstelle, dass es da neben dem Amazon-Link auch den Link gibt zum Online-Download, dann wäre das meine Plattform.
Im vergangenen Jahr ist zunehmend Bewegung in das Geschäft mit Film-Downloads aus dem Internet gekommen. Neben dem Computerhersteller Apple sind auch der Online-Einzelhändler Amazon und zahlreiche weitere Anbieter in den Markt eingestiegen. Die Kunden der Digitalversion müssen jedoch Beschränkungen bei der Nutzung hinnehmen, so dürfen die Filme nicht auf DVD gebrannt werden und können in vielen Fällen nur am Computer abgespielt werden.
Welche Abrechnungsmodelle für Film-Downloads aus dem Netz können Sie sich vorstellen?
Widrich: In Wirklichkeit ist das Internet sehr ungerecht. Die einzigen, die Geld bekommen, sind die Internet-Provider. Die bekommen für einen Breitbandanschluss ihre 70 Euro im Monat und sind indirekt die Nutznießer der Raubkopien von Musik und Filmen. Denn niemand würde 70 Euro im Monat für einen Breitbandanschluss zahlen, wenn es diesen Content nicht gäbe.
Ich glaube, dass man da ansetzen könnte und eine Art Kultur-Flat-Rate, ähnlich wie bei der Leerkassettenabgabe, einführen könnte.
Es müsste natürlich auch so etwas geben wie digitale Signaturen, die auch abrechenbar sind.
Ihr jüngster Film "Fast Film" ist in voller Länge auf YouTube zu sehen. Stört Sie das?
Widrich: Da ist auch ein ORF-Logo drinnen. Das hat wohl jemand mitgeschnitten. Ich hab das dadurch bemerkt, dass plötzlich rapide mehr DVDs bei mir bestellt wurden. Ich hab mich einerseits kurz geärgert, dass der Mitschnitt dort läuft, andererseits war ich dann erfreut über die Zusatzwerbung.
In meinem Fall kann ich bestätigen, dass diese Raubkopie im Bereich der Community etwas bewirkt hat und für die Marke Widrich gut war. Raubkopien sind offenbar bei allem nützlich, was nicht von den Majors in den Markt gedrückt wird. Meine Filme hätten sonst diesen Markt nicht gehabt, während sie natürlich die Majors wie Pixar oder Disney massiv schädigen.
Ich kann sagen, dass ich die DVDs, die ich an amerikanische Kunden verkauft habe, über den Umweg der Raubkopien auf YouTube verkauft habe - das waren immerhin rund 400 Stück.
Auf der Online-Videoplattform YouTube, die im vergangenen Oktober für 1,65 Milliarden Dollar vom US-Internet-Unternehmen Google übernommen wurde, können angemeldete Nutzer eigene Videoclips veröffentlichen. Weil viele Nutzer auch nicht lizenzierte Mitschnitte von Fernsehsendern und Musikvideos veröffentlichen, sah sich YouTube zuletzt mit juristischen Problemen konfrontiert. YouTube schloss im vergangenen Jahr jedoch Vereinbarungen mit zahlreichen TV-Stationen, Filmstudios und Musikkonzernen. Darin ist die Teilung der aus den Clips erzielten Werbeeinnahmen vorgesehen.
Werden Sie Plattformen wie YouTube und Google Video künftig zur Promotion Ihrer Filme nutzen?
Widrich: Für einen kompletten Film ist das kein Modell. Bei einem neuen Film, vor allem wenn es ein Langfilm ist, würde ich das rechtlich verhindern. Es wäre jedoch ein Modell für erweiterte Trailer, etwa mit Outtakes oder eine Dokumentation über den Film. Etwas was nicht wirklich der Film selber ist, aber auch nicht nur Werbung ist - ein Mittelformat, wie etwa ein Making-of.
Kombiniert mit Werbeeinnahmen könnte man da auch ein wenig Geld verdienen. Man darf den Aufwand aber nicht unterschätzen, so einen Content zu generieren.
Wenn man das über Werbung einspielen kann und auch den Werbeeffekt hat, dann ist das auch für kleinere Produzenten von Kurzfilmen, Dokumentarfilmen oder Spielfilmen interessant.
In den USA ist vor kurzem der Online-Filmshop Clickstar an den Start gegangen. Dort sollen Filme schon bald gleichzeitig zum Start in den Kinos erhältlich sein. Wie beurteilen Sie solche Veröffentlichungsstrategien?
Widrich: Die Idee der Kinoschutzfrist, die früher sehr wichtig war, ist mittlerweile antiquiert. Raubkopien können dadurch besonders reüssieren, weil die Filme vielerorts sonst nicht erhältlich sind. Die DVD und die Online-Auswertungen werden künftig mehr und mehr zeitgleich passieren. Das ist besonders für kleine Filme interessant, die diesen Markt sonst nicht hätten. Ich halte von diesem Modell sehr viel.
Langfristig werden sich jedoch nur Modelle durchsetzen, bei denen Geld zu den Urhebern zurückfließt. Wenn die Produzenten und Kreativen nicht davon leben können, dann wird immer nur die bestehende Filmgeschichte recycelt.
Der Schauspieler und Regisseur Morgan Freeman und der Chip-Hersteller Intel verkaufen seit vergangenem Dezember gemeinsam Film-Downloads mit nur geringer Verzögerung zum Kinostart. Hollywood und US-Kinobetreiber opponieren.
Widrich: Wenn durch Film-Downloads relevante Einnahmen zu Stande kämen, dann sieht das auch für die Finanzierung von Filmen sehr interessant aus.
Es ist eine Tatsache, dass es auf der Welt selbst für die absurdeste Nische immer noch Zehntausende Interessierte gibt.
Sagen wir: Ein Dokumentarfilm über einen vergessenen Architekten aus irgendeinem Winkel der Welt würde genügend Leute interessieren, und ich weiß, jeder von denen gibt mir vier Euro, dann kann ich sogar diesen Film finanzieren. Vielleicht können solche Plattformen ja irgendwann auch Produzenten werden.
Wenn ich die Kosten eines Dokumentarfilms über eine Community einspielen kann, weil ich weiß, dass sie da draußen existiert, dann kann ich den Film ohne Förderung machen und ihn auf Kredit finanzieren, weil ich weiß, dass die Einnahmen dann kommen werden.
Aber es dürfen nicht nur 400 Euro reinkommen. Es müssten 10.000 oder 100.000 Euro reinkommen. Wenn das eine kalkulierbare Größe ist, dann erst beginnt die Revolution.
Dann ist sozusagen die Demokratisierung der Produktion bis zum End-User passiert. Jetzt darf zwar jeder einen Film drehen, was gezeigt wird, bestimmen jedoch immer noch ganz wenige.
Im zweiten Teil des Interviews mit Virgil Widrich werden die Themen Urheberrecht und Creative Commons, digitales Kino und digitale Filmproduktion sowie die Ästhetik von Videos für den iPod behandelt.
(futurezone | Patrick Dax)