Fußgängernavigation mit Funkchip und Handy
Das Projekt "Ways4all" der FH Joanneum in Kapfenberg befasst sich damit, wie blinde Personen durch einfache technische Mittel wie passive Funkchips und QR-Codes sicher durch große Anlagen wie Bahnhöfe geleitet werden können. Auch Rollstuhlfahrer und Touristen sollen künftig dank Vernetzung des Systems mit Verkehrsdatenbanken bei kurzfristigen Fahrplanänderungen ans richtige Ziel gelangen.
Fahrplan in Echtzeit
Seit Mai 2009 bieten die Wiener Linien und der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) eine kostenlose Echtzeit-Fahrplanauskunft über das Handy an: Qando zeigt die Fahrpläne in Wien, Niederösterreich und Burgenland an. Darüber hinaus sind ein Routenplaner und Services wie Ticketing, interaktive Stadtpläne und Auskünfte über Störungen inkludiert. Auch die Haltestellenanzeige, wann die nächste Straßenbahn oder der nächste Bus kommt, kann via Handy abgerufen werden.
Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel können in Österreich bereits auf einige Anwendungen für Mobiltelefone zugreifen. Beispiele sind das Fahrplansystem Qando der Wiener Linien und Scotty von den ÖBB, über die sich aktuelle Fahrpläne und Zugverspätungen jederzeit auch auf dem Handy abrufen lassen. Das Projekt "Ways4all" will Daten aus diesen Beständen mit einer Navigationssoftware und Funkchip-Leitsystemen verbinden, wodurch sich Blinde auf Bahnhöfen und anderen großen öffentlichen Anlagen zurechtfinden können.
Der elektronische Wegweiser wird zuerst mit blinden Personen getestet. Wenn das System fertig ist, sollen aber auch andere Nutzergruppen wie Rollstuhlfahrer, Eltern mit Kinderwägen und Touristen problemlos den barrierefreien Weg zur richtigen Straßenbahn oder U-Bahn finden. Während für sehbehinderte Personen zur Positionsbestimmung innerhalb der Gebäude ein System mit Funkchips vorgesehen ist, sollen für alle anderen User-Gruppen QR-Codes zum Einsatz kommen, die beispielsweise über Handykameras eingelesen werden können. Im Außenraum soll der Standort des Nutzers mit (A)GPS ermittelt werden.
Projekt "Ways4all"
Das Projekt "Ways4all" begann im Dezember 2008. Nach der ersten Etappe, die bis November 2010 dauern soll, sind zwei weitere Folgeprojekte geplant. In Stufe zwei ist die Verbesserung des Routings mittels Trägheitsnavigation und drahtloser Kommunikation geplant. In der letzten Stufe soll die Perfektionierung erfolgen, so dass das System massentauglich wird. Projektleiter ist die Fachhochschule Joanneum in Kapfenberg. Am Projekt beteiligt sind zudem Wiener Linien, ÖBB, Transelektronic Messgeräte GmbH, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, Österreichischer Blinden- und Sehbehindertenverband (ÖBSV) - Landesgruppe Wien, Niederösterreich und Burgenland, Österreichische Blindenwohlfahrt (ÖBW) und Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation.
Testgelände Südtiroler Platz
In der ersten Projektstufe wird eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Als Testgelände dienen die Anlagen unter dem Südtiroler Platz im vierten Wiener Gemeindebezirk. Dieser wird im Rahmen des Baus des neuen Hauptbahnhofs mit einer unterirdischen Fußgängerpassage ausgestattet und eigne sich "hervorragend als Testort, weil dort Straßenbahn, Bus, U-Bahn und die Verlängerung von zwei Gleisen zum Hauptbahnhof zusammenkommen", so Projektleiter Martijn Kiers, der im Studiengang Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement der FH lehrt, gegenüber ORF.at.
Der Vorteil bestehe darin, dass aufgrund des Umbaus bereits alle Komponenten berücksichtigt und einfacher integriert werden könnten. Das Ziel sei aber, dass das fertige System überall - also nicht nur bei einem Neubau - möglich sein solle und relativ kostengünstig umgesetzt werden könne. In den Folgeausschreibungen des Projekts soll bis 2014 das System bis zum Wiener Hauptbahnhof und auch auf den Outdoor-Bereich ausgedehnt werden.
RFID-Tags zur Navigation
In der ersten Projektstufe stehe die Indoor-Navigation insbesondere für blinde Personen im Zentrum. "Als Basis dient immer das taktile Leitsystem", erklärt Kiers. "Der Blinde soll etwa aus dem Zug aussteigen und nach wenigen Metern elektronische Hilfe finden, indem er über einen RFID-Tag erfährt, wo er sich befindet." Die Personen, die an dem Test teilnehmen, müssen freilich einen RFID-Reader mit sich führen. Dieser nimmt die Informationen der Funkchips auf, sendet sie via Bluetooth auf das Smartphone, das wiederum mit Hilfe eines Screen-Readers den Text vorliest.
Der Blinde erhalte vom System Anweisungen, wie er weitergehen müsse, wobei er von Aufmerksamkeitsfeld zu Aufmerksamkeitsfeld navigiert werde. Diese Aufmerksamkeitsfelder befinden sich beispielsweise an Kreuzungen. Diese seien mit mehreren RFID-Chips ausgestattet. "Bei jeder Kreuzung wird ein Chip im Zentrum und vier weitere im Umkreis von ungefähr 50 Zentimetern platziert", so Kiers. Auf geraden Strecken ohne Abzweigung seien drei RFID-Chips notwendig, um feststellen zu können, aus welcher Richtung der Nutzer komme.
Passive vs. aktive RFID-Chips
"Wir werden passive RFID-Nageltags verwenden, die sind sehr günstig und kosten zwischen 50 Cent und einen Euro, je nach Typ und Speicherbedarf", erläutert Werner Bischof, der stellvertretende Leiter des Projekts. Jeder RFID-Nagel habe eine eindeutige Seriennummer, die dann in der zentralen Datenbank mit einem Ort verknüpft werde. Die Nageltags hätten den Vorteil, dass sie sich sehr einfach in den Boden bohren ließen und "quasi ewig halten", weil sie keine Batterien benötigten.
"In Holland gibt es ein ähnliches Modell, nur arbeiten sie dort mit aktiven Tags", erklärt Kiers. Diese hätten aber eine Reichweite von lediglich fünf Metern. Wenn sich die Person einer Kreuzung nähere, empfange sie alle aktiven Tags im Umkreis, womit keine genauen Koordinaten mehr festzustellen seien. "Zudem kosten die aktiven Chips 40 bis 50 Euro pro Stück, und die Batterien müssen alle fünf bis sieben Jahre ausgetauscht werden", weshalb sie nicht fix verbaut werden dürfen.
Günstige RFID-Reader gesucht
Um die passiven Tags auslesen zu können, ist ein Lesegerät notwendig, das beim Passieren das Signal auslöst. Dieses muss nicht separat mitgeführt werden, sondern kann auch in andere Alltagsgegenstände integriert werden. "Wir dachten an einen Schuhclip oder Blindenstock", bemerkt Kiers. Die notwendige Distanz hänge vom verwendeten RFID-Standard und der Leistung des Readers ab. Die günstigen passiven RFID-Chips würden eine Nähe von mindestens sieben Zentimetern brauchen, bis sie erkannt würden.
Bei den RFID-Readern sei vor allem die Kostenfrage relevant, damit das System auch von möglichst vielen Personen genutzt werde. "Die ersten Geräte, die wir getestet haben, kosteten um die 300 Euro", erklärt Bischof. Bessere Geräte würden mit bis zu 1.000 Euro zu Buche schlagen. Hinzu komme auch das Gewichtsproblem, "der Leitstock wird auf Dauer für den Blinden relativ schwer, weil im Griff ein Akku eingebaut ist", so Kiers.
Alternative: QR-Codes
"Darum gibt es auch eine Variante B, die optische, für den Indoor-Bereich", erläutert Bischof. Der Blinde orientiere sich bei diesem ebenso am taktilen Leitsystem, in dieses seien statt der Funkchips optische Aufmerksamkeitsfelder in Form von QR-Codes integriert, die als Reliefs ausgeführt seien und von den Nutzern auch ertastet werden könnten. Damit wisse die Person, dass sie das Smartphone auf den Code richten müsse, um die gewünschte Information zu erhalten. "Diese Lösung wäre eine Alternative zu den RFID-Tags und hätte die Vorteile, dass sie jeder - also auch Sehende - nutzen könnte und kein teures Equipment notwendig ist", meint Bischof.
Variante B: Aufmerksamkeitsfelder mit QR-Codes.
Der Informationsträger wäre also ein anderer, aber das Leitsystem dahinter ansonsten völlig ident. Der QR-Code müsste in den Boden gefräst oder mit Fliesen dargestellt werden. Die Vorteile: Der Code ist sehr fehlerresistent. Auch wenn bis zu 30 Prozent beschädigt seien, ließe er sich noch korrekt auslesen. Zudem sei nur ein Code pro Aufmerksamkeitsfeld notwendig, da aufgrund der Position zum Bild eruierbar wäre, in welche Richtung der Blinde stehe. "Außerdem gibt es viele kostenlose Applikationen für das Handy zum Auslesen der Codes, was das System für den Anwender günstiger macht", argumentiert Bischof.
Im Rahmen der Machbarkeitsstudie auf dem Südtiroler Platz würden beide Systeme von Blinden getestet. Denkbar sei auch eine Kombination beider Systeme. Neben den RFID-Chips könne etwa in der Nähe einer Kreuzung zusätzlich ein QR-Code montiert werden.
Schlanke Software
"Für den Indoor-Bereich soll es eine serverbasierte RFID-Datenbank geben, in der alle Tags als Punkte gespeichert werden", erklärt Elmar Krajnc, ebenso Lehrender an der FH und beim Projekt für das Software-Design zuständig. Generell finde die Routenberechnung auf dem Server statt. Für das Handy oder Smartphone gebe es eine sehr einfach gehaltene mobile Java-Anwendung.
"Als Blinder plant man seine Reise anders als Sehende", erläutert Krajnc. Die Person informiert sich bereits zu Hause auf der Internet-Plattform über die Route und speichert die Informationen vorübergehend in einer Datenbank online. Unterwegs holt sich die Anwendung über den mobilen Internet-Zugang immer nur jene Teilinformationen, die gerade notwendig sind, um die übertragene Datenmenge möglichst gering zu halten. Natürlich könne aber auch ohne Vorbereitung unterwegs jederzeit ein neuer Weg abgefragt werden.
Im Extremfall kann sich der Nutzer aber auch über das Internet zu Hause die Reiseinformationen inklusive RFID-Datenbank für einen bestimmten Bahnhof etwa, der passiert werden muss, schon vor der Reise komplett herunterladen. Dann sei unterwegs auch kein Online-Zugang mehr notwendig, was vor allem Touristen zugutekäme. Der Nachteil: Echtzeit-Informationen etwa zu kurzfristigen Gleisänderungen und Zugsverspätungen sind dann nicht verfügbar.
Routen weitergeben
Der Prototyp der mobilen Anwendung beinhaltet auch die Möglichkeit, sein eigenes Profil mit den besonderen Bedürfnissen abzuspeichern. Je nach Anliegen schlägt die Anwendung die geeigneten Routen vor. Das Projektteam plant auch eine Option, mit der Routen weitergegeben werden können, beispielsweise unter bestimmten Nutzergruppen.
Um die Anwendung so anonym wie möglich zu halten, wird dieses Profil vorerst nur auf dem Client - also dem mobilen Endgerät - gespeichert.
Fahrzeugidentifikation mit "Quo Vadis"
Akustische Navigationssysteme
POPTIS ist die Kurzform von Pre-On-Post-Trip-Informations-System, einem akustischen Orientierungssystem für die Wiener U-Bahn. Das Projekt "Quo Vadis" beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Sender/Empfänger-Geräts zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmitteln der Wiener Linien. Das akustische Informationssystem soll blinden und schwer sehbehinderten Menschen sowohl im Haltestellenbereich als auch in den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs nützlich sein, etwa bei Rampenanforderung, Linien- und Fahrzielerkennung.
In die Anwendung sollen bereits bestehende mobile Dienste der Wiener Linien und der ÖBB integriert werden. Bewegt sich der Blinde etwa Richtung Bahnsteig zwei der U-Bahn, weil er zu Hause bereits die Route abgefragt hat, und es kommt zu einer Gleisänderung, erhält der Nutzer diese Information ebenso in Echtzeit wie etwa Zugsverspätungen. Natürlich wird er in solchen Fällen dann auch vom System zum richtigen Gleis gelotst.
Stehe der Blinde an einer Straßenbahn- oder Bushaltestelle, an der mehrere Linien halten, komme das bereits bestehende Projekt "Quo Vadis" der Wiener Linien zum Einsatz, so Kiers. Ein kleiner 433-MHz-Sender im Fahrzeug melde, zu welcher Linie der Zug oder Bus gehöre. Somit wisse die Person, ob sie einsteigen müsse oder nicht. "Für dieses System braucht der Blinde derzeit noch einen eigenen Handsender von den Wiener Linien", erläutert Kiers.
Bluetooth statt Funksender
Der Handsender funktioniere wie eine Garagentorbedienung und nutze das gleiche freie Frequenzband. Der Sender werde von Blinden bereits für das Aktivieren von Fußgängerampeln eingesetzt. Derzeit werde noch ein Prototyp getestet, der nur einfache Signale vom Fahrzeug empfange wie "Ich bin da" oder "Ich bin die Linie XY".
"Das 433-MHz-Modell ist momentan die billigste Lösung", so Bischof. In der ersten Projektphase werde der Handsender als Gateway zum Smartphone genutzt und mit einem Bluetooth-Chip ausgerüstet. Nachdem kein Handy über einen 433-MHz-Sender und -Empfänger verfüge, soll das Signal künftig komplett durch Bluetooth ersetzt werden, so der Plan.
Mit Bluetooth würden gleich mehrere Probleme gelöst, denn die Abfrage über den Handsender werde derzeit noch akustisch über die Außenlautsprecher der Wiener Linien bekanntgegeben. "Das sorgt für Probleme mit den Witterungsverhältnissen, Windrichtungen und dem Lärmpegel generell", so Bischof. Mit Bluetooth könne die Information über das Handy mit dem Headset abgehört werden. Zudem solle die Kommunikation in Zukunft bidirektional funktionieren, so dass Blinde und Gehbehinderte im Bus etwa einen Haltewunsch absetzen können.
Trägheitsnavigation ersetzt Leitsystem
Neben der Integration von Bluetooth sei auch die Trägheitsnavigation ein Schwerpunkt in der zweiten Ausschreibung. Auf Trägheitsnavigation basiere etwa auch ein Controller von Spielkonsolen. "Hier werden Bewegungen und Entfernungen aufgezeichnet, die dann wieder zurückgerechnet werden können", erklärt Krajnc, um Abweichungen vom Weg genau bestimmen zu können.
Die Sensorik, die den Schritt kontrolliert, also dessen Länge und geografische Richtung, könne in den RFID-Reader integriert werden. Zum einen seien dann weniger RFID-Tags oder QR-Codes notwendig, zum anderen könne damit Blinden auch dort eine Orientierung gegeben werden, wo es kein taktiles Leitsystem gebe und auch GPS nicht möglich sei. "Nicht alle Bahnhöfe sind mit einem Leitsystem ausgestattet", so Bischof. Diese würden nur bei größeren Umbauten oder einem Neubau berücksichtigt, da ein nachträglicher Einbau "ziemlich teuer" sei.
"Das System merkt jeden Ausreißer und sagt mir sehr genau, wie weit ich vom nächsten Tag entfernt bin und ob ich links oder rechts gehen muss", erklärt Bischof. Zudem könne es im Outdoor-Bereich das taktile Leitsystem sehr gut ersetzen. Auch wenn mehrere Busse an einer Haltstelle hintereinander stünden, könne der Blinde mit Trägheitsnavigation genau zum richtigen Bus geleitet werden.
GPS für Outdoor-Bereich
Im freien Gelände greife die mobile Applikation - sofern das Gerät darüber verfüge - natürlich auch auf GPS zu und lese den Standort automatisch aus. "Das funktioniert schon sehr gut", meint Krajnc. Mit dem Navigationsergänzungsdienst EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay Service) erfolge die Ortung seit Oktober 2009 bereits auf zwei Meter genau. Der Vorläufer soll 2013 durch den globalen Satellitennavigationsdienst Galileo ersetzt werden und dann "noch einmal um das Zehnfache besser werden", so Bischof.
Denn schließlich sollen Nutzer von zu Hause aus mit "Ways4all" starten können. Aber auch hier sei noch nicht entschieden, welche Plattform - derzeit würden Google Maps und OpenStreetMap getestet - zum Einsatz komme. Im Vordergrund stehe vorerst das Indoor-Routing auf dem Südtiroler Platz. "Und danach soll das Produkt so ausgereift sein, dass es auf allen österreichischen Bahnhöfen umgesetzt wird, das ist unsere Vision", so Bischof.
(futurezone/Claudia Glechner)