GB: Regierungsdaten frei im Netz
Die Briten machen es den anderen Staaten Europas vor: Als Erste haben sie Regierungsdaten so veröffentlicht, dass sie jedem Bürger direkt nützlich sein können. Dabei geben sie auch politisch brisante Daten frei wie etwa Zahlen zu ungeklärten Todesfällen unter Soldaten. Aber auch aktuelle Informationen zu Straßenreparaturen und Bauvorhaben können über neue Anwendungen im Web frei genutzt werden.
Kein Geringerer als World-Wide-Web-Erfinder Sir Tim Berners-Lee steckt hinter der am Donnerstag gestarteten Website Data.gov.uk - und er will damit das Internet revolutionieren. Bisher stellt das Web vor allem Inhalte bereit. Doch es wird noch nicht wirklich als das genutzt, was es eigentlich ist: ein gigantischer Computer, der die gespeicherten Daten auch verarbeiten kann.
Data.gov.uk enthält mehr als 2.500 Datenbestände, die die britische Regierung jetzt veröffentlichte - und mit denen nun jeder rechnen darf. Damit veröffentlichten die Briten fast dreimal so viele Bestände wie die US-Amerikaner, die bisher unter der Ägide von Präsident Barack Obama als weltweit führend in Sachen "offene Regierungsdaten" galten. Aus Sicht von Datenschützern gibt es übrigens keine Bedenken, da sich die Zahlen nicht auf einzelne Personen beziehen lassen.
Militärdaten online
Das US-Fachblog TechCrunch nannte die Datenfreigabe einen "wagemutigen Schritt". Die Daten lassen sich über eine Volltextsuche durchsuchen. Zu den 2.500 Datenbeständen gehören unter anderem 22 aus dem Militärbereich. Einer widmet sich politisch brisanten Zahlen, die andere Regierungen gerne unter Verschluss halten: den Zahlen zu Suiziden und ungeklärten Todesfällen in der britischen Armee. Sozialen Sprengstoff liefern aber auch die Zahlen aus dem Polizeibereich: So werden Verwarnungen und Verhaftungen nach ethnischer Zugehörigkeit aufgeschlüsselt und Straftaten von Pflege- und Waisenkindern aufgelistet.
Andere Zahlen kommen aus den Bereichen Finanzen, Gesundheit, Bildung, Verkehr und Umwelt. Die Daten sind Grundlage für neue Anwendungen, die Nutzer etwa über ihr Smartphone abrufen können. So können sie etwa mit "Where does my money go?" überprüfen, wie die Regierung die Steuern ausgibt. Der Regierungshaushalt bleibt so nicht länger die Domäne von Experten. Bürger können auch über eine Smartphone-Anwendung nachsehen, wo sich der nächste Zahnarzt oder die am nächsten gelegene Apotheke befindet. Für Hauskäufer gibt es sogar schon zwei praktische Anwendungen: Sie können die Entwicklung von Immobilienpreisen der letzten Jahre für die Gegend ihrer Wahl nachvollziehen.
Schlaglöcher und Bauvorhaben
Bereits über 2.400 Programmierer registrierten sich auf der Website. Zum Start gab es zehn Anwendungen. Dazu gehört etwa der kostenlose Dienst "Planning Alerts", der Bürgern per E-Mail mitteilt, sobald es irgendein Planungsvorhaben in der unmittelbaren Nachbarschaft gibt. Die Anwendung "Fill That Hole" unterstützt die Meldung von Schlaglöchern und anderen Straßenhindernissen. Die sind offenbar in Großbritannien ein großes Ärgernis: Durchschnittlich alle 110 Meter lauert dort ein Schlagloch auf ahnungslose Auto- und Radfahrer. Die Meldungen sollen die lokalen Verwaltungen dazu bringen, schneller auf Straßenschäden zu reagieren als bisher.
Die Regierung hofft, dass der öffentliche Dienst damit Geld einsparen kann, da die Daten effizienter ausgewertet werden und einen konkreten sozialen Nutzen erzeugen können. Für Tim Berners-Lee ist jedenfalls klar: "Regierungsdaten sollten eine öffentliche Ressource sein. Indem sie publiziert werden, können wir neue Ideen für öffentliche Dienstleistungen entwickeln. Wir können der Verwaltung und der Gesellschaft helfen, besser zu arbeiten. Und wir ermöglichen talentierten Unternehmern und Ingenieuren die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Dienstleistungen."
Schnittstelle zum Bürger
Vorausgegangen war übrigens eine jahrelange Kampagne der britischen Tageszeitung "The Guardian" unter dem Motto "Befreit unsere Daten!". Grundlage für die Datenfreigabe ist das britische Informationsfreiheitsgesetz, das den Bürgern grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht einräumt. Die Bürger können deshalb direkt über die data.gov.uk-Website auch die Freigabe von bisher nicht veröffentlichten Daten beantragen.
In Großbritannien muss die Regierung begründen, wenn sie die Informationen nicht veröffentlichen will. Das ist das Gegenteil der Amtsverschwiegenheit, die in Österreich sogar trotz diverser Auskunftspflichtsgesetze Verfassungsrang hat. Österreich ist daher heute das einzige Land in der Europäischen Union, das noch nicht in Richtung "Open Government" umgedacht hat. Auch in Deutschland gehörte übrigens die Amtsverschwiegenheit ebenfalls lange Zeit zum tradierten Umgang mit den Bürgern - bis vor vier Jahren, als das Bundesinformationsfreiheitsgesetz eingeführt wurde.
(Christiane Schulzki-Haddouti)