Big Brother, Data-Retention und "Quick Freeze"
Im Wiener MuseumsQuartier hat die WKÖ-Fachgruppe UBIT Wien ihr Big-Brother-Stipendium an ein Projekt verliehen, das den Nutzern die Möglichkeit eröffnen möchte, die Inhalte des Quick-Card-Chips auf ihrer Bankomatkarte auszulesen. Das Ludwig-Boltzmann-Institut stellte mit dem "Quick Freeze"-Verfahren eine Alternative zur geplanten Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) vor.
Friedrich Kofler, Obmann der Fachgruppe UBIT Wien der Wirtschaftskammer (WKÖ), überreichte die ausgelobten 4.800 Euro des Big-Brother-Stipendiums 2010 an Christian Amsüss. Er erhält ein Jahr lang monatlich 400 Euro, um an seinem Projekt "Quick Reader" zu arbeiten. Der Empfänger des Stipendiums wurde von Experten der UBIT Wien und der Bürgerrechtsorganisation quintessenz nach Sichtung der eingereichten Projekte ausgewählt.
Amsüss will ein System entwickeln, das es jedem Nutzer schnell und einfach unter den wichtigsten Betriebssystemen ermöglichen soll, die Daten aus dem Quick-Card-Chip auf seiner Bankomatkarte auszulesen. Dort sei nicht nur gespeichert, wie viel Geld noch für Zahlungen über diese Funktion zur Verfügung stehe, sondern auch andere Daten, zum Beispiel über das Terminal, an dem die letzte Zahlung getätigt worden sei. Auch die Anzahl der Zahlungen an einem bestimmten Terminal werde auf dem Chip gespeichert. Jeder Quick-Card-Inhaber könne damit nachvollziehen, wie viele Menschen an diesem Terminal Geld übertragen haben. Unter Linux laufe das Programm bereits, so Amsüss, er wolle es nun auch auf Windows und Mac OS portieren.
"Alleine werden es die Fachleute nicht schaffen", sagte Kofler zur Motivation, das Stipendium auszuschreiben. "Wir brauchen die Zivilgesellschaft. Um sie zu stärken, haben wir das Big-Brother-Stipendium geschaffen."
"Datenschutzampel" für Website-Betreiber
Kofler kündigte an, dass seine Fachgruppe im Lauf der kommenden Woche eine Website freischalten werde, auf der "Diensteerbringer" im Internet, also auch Website-Betreiber, schnell und einfach nachsehen können, ob und unter welchen Umständen sie welche Nutzerdaten an die Polizei auf deren Anfrage weitergeben müssen. "Es ist eine Art Ampel", so Kofler. "Sie soll den Website-Betreibern in dieser Situation Hilfestellung geben."
Die UBIT Wien habe in den vergangenen Monaten selbst "eine Handvoll Anfragen" von der Polizei bekommen. Davon sei eine Anfrage nach Prüfung der hauseigenen Juristen in Ordnung gewesen und die Informationen an die Polizei gegangen. Die restlichen Anfragen habe die UBIT zurückweisen müssen - die Polizei habe in diesen Fällen dann auch nicht weiter auf der Datenübergabe bestanden.
"Quick Freeze" statt Totalerfassung
Christof Tschohl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM), informierte über den Alternativvorschlag, den sein Institut zu der geplanten Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) eingereicht hat. Laut Tschohl wäre es durchaus mit dem Wortlaut der Richtlinie - wenn auch nicht unbedingt mit deren Geist - vereinbar, statt der pauschalen Speicherung der Verbindungsdaten aller Bürger ein "Quick Freeze"-Verfahren einzusetzen, wie es in Spanien und den USA üblich sei.
In diesem Verfahren könnte ein Gericht bei vorliegenden Verdachtsmomenten anordnen, bestimmte Verbindungsdaten eines bestimmten Individuums oder einer bestimmten Region vom Provider protokollieren zu lassen. Dieses Verfahren würde nach Auffassung des Instituts auch nicht gegen die Grundrechtecharta der EU verstoßen, die seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum Primärrecht der Union zählt. Österreich könne dieses Verfahren im Rahmen der geplanten TKG-Novelle implementieren und es im bereits laufenden Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH darauf ankommen lassen. Die Vorratsdatenspeicherung, bei der die Daten aller Bürger verdachtsunabhängig erfasst werden würden, würde einen Schaden an den Bürgerrechten anrichten, der sich "grundrechtlich nicht mehr reparieren" ließe.