Datenschutz-"Dammbruch" durch Vorratsdaten
Der Koautor des aktuellen Gesetzesentwurfes zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) plädiert angesichts der neuesten Entwicklungen, die Pläne grundsätzlich zu überdenken.
Christof Tschohl vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM), Mitautor des aktuellen Gesetzesentwurfs, sieht den Zeitpunkt gekommen, den Gesetzesentwurf beziehungsweise seine Grundlagen und Implikationen neu zu diskutieren.
Angesichts zahlreicher kritischer Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren sowie neuester Entwicklungen in Europa, darunter die Forderung der neuen Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, Viviane Reding, die Vorratsdatenspeicherung zu überdenken, halte das BIM es für erforderlich, weitere Überlegungen über die grundrechtliche Verhältnismäßigkeit der Data-Retention ansich sowie die Verwendung verdachtsunabhängig und flächendeckend auf Vorrat gespeicherter Daten anzustellen.
Der Internet-Rechtsexperte und Richter Franz Schmidbauer sieht mit der Data-Retention "ein Prinzip der europäischen Grundrechtstradition über den Haufen geworfen." Schmidbauer: "Dieses Prinzip besagt, dass bei jedem Grundrechtseingriff zu prüfen ist, ob er angesichts des Anlasses verhältnismäßig ist. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist diese Prüfung von vorneherein unmöglich, weil es gar keinen Anlassfall gibt."
BIM steht weiterhin hinter Entwurf
Der letzte Punkt sei vor allem auf die von Innenministerium und Justizminsterium in ihren jeweiligen Stellungnahmen erhobenen Forderungen, Vorratsdaten auch für die Verfolgung nicht "schwerer Straftaten" beziehungsweise für präventive Zwecke zu verwenden, notwendig.
Das BIM steht laut dessen Leiter Hannes Tretter weiterhin zu seinem Entwurf, auch wenn es der Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich kritisch gegenüber stehe. Das Institut habe in seinem Entwurf versucht, trotz aller Bedenken, vor allem hinsichtlich des Schutz der Grundrechte, den Datenschutz zu gut es geht abzudecken. Weitere Überlegungen, Argumente und auch Kritik habe das BIM in seiner Stellungnahme zum eigenen Gesetzesentwurf im Rahmen der Begutachtungsphase eingebracht.
Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit
Tschohl plädiert zudem dafür, dass die Verwendung der Vorratsdaten bei jedem Delikt auf ihre "Verhältnismäßigkeit" geprüft werden sollte, statt starr auf eine Mindeststrafdrohung abzustellen. Weiters sollten die Daten nur bei einem konkreten Tatverdacht auf sechs Monate gespeichert werden. Werde gerade bei zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen auf die Vorratsdaten zurückgegriffen, dann drohe als Nächstes der Zugriff zur Verfolgung von Ehrenbeleidigung im Internet: "Wenn man das aufmacht, dann haben wir einen Dammbruch."
Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung soll der "Verfolgung von schweren Straftaten" dienen, Justiz- und Innenministerium wollen die Grenze für den Zugriff auf die Daten aber schon bei einer Strafandrohung von einem Jahr Haft ermöglichen. Darunter fällt unter anderem schwere Sachbeschädigung. Zudem wollen sie die Daten zur Klärung von Copyright-Verletzungen nutzen. Tretter erklärte, dass gerade die Forderung der Justizminsteriums eine elementare Frage sei, die noch weiter geklärt werden müsse.
Stellungnahmen werden eingearbeitet
Letzte Woche hieß es aus dem Infrastrukurministerium, dass die Stellungnahmen in den kommenden zwei Wochen in den Entwurf eingearbeitet werden. Dann folge die "politische Abstimmung" im Ministerrat, im Rahmen derer die Details der Umsetzung festgefügt würden. Einen genauen Termin dafür gebe es noch nicht. Infrastrukturminsterin Doris Bures (SPÖ), die bereits mehrmals eine weitere Überprüfung der Richtlinie auf EU-Ebene angeregt hatte, trete weiterhin für eine minimale Umsetzung der Richtlinie ein.
(APA/futurezone)