"Das Urheberrecht verhindert Kreativität"
Es werde zunehmend unmöglich, über eine Welt zu berichten, die voller Logos und urheberrechtlich geschützter Objekte ist, meint der Filmemacher Virgil Widrich im zweiten Teil eines Interviews mit ORF.at. Weitere Themen: das Digitalkino und Filme für den iPod.
Im ersten Teil des Interviews mit ORF.at sprach Widrich über die Defizite des gegenwärtigen Online-Filmverkaufs und den Nutzen von YouTube für unabhängige Filmemacher.
ORF.at: In ihrem jüngsten Film "Fast Film" verwenden Sie Hunderte Ausschnitte aus zahlreichen Filmen der Filmgeschichte. Das muss ein Vermögen an Lizenzen gekostet haben.
Widrich: Ich habe für die in "Fast Film" verwendeten Ausschnitte nichts bezahlt. Das ist ein komplexes Thema. Ich hab das mit einem amerikanischen Rechtsanwaltsbüro durchgespielt und kann das als Laie nur bedingt wiedergeben. Wir befinden uns in einer Grauzone. Es gibt in Amerika, anders als in Europa, eine Form des Zitatrechts - wir haben hier nichts zu befürchten, es ist auch nie etwas passiert.
Es würde mich nicht stören, dafür zu bezahlen. Die Rechte an tausenden Filmschnippseln zu klären, ist jedoch technisch unmöglich. Das Problem ist ja nicht, jemandem 100 Euro für einen kurzen Ausschnitt zu bezahlen. Das Problem ist, dass es 1.000 Euro kosten kann, den Rechteinhaber zu finden.
Der Anwalt hat gesagt, es gibt zwei Motive jemanden wegen so etwas zu klagen. Das eine ist Geld und das andere ist eine emotionale Verletzung.
In "Fast Film" finden sich Ausschnitte aus rund 300 Filmen. "Fast Film", erzählt Widrich, sei mittlerweile ein beliebtes Beispiel in Vorträgen zum Urheberrecht. Einerseits werde am Beispiel des Films die rechtliche Grauzone aufgezeigt, in der sich Filmemacher heute befinden, andererseits werde der Film auch als Beleg für die Notwendigkeit zitieren und die Filmgeschichte neu kombinieren zu dürfen angeführt.
Bieten Urheberrechtsinitiativen wie Creative Commons, die es den Urhebern erlauben, Teile an ihren Rechten freizugeben, einen Ausweg?
Widrich: Ich finde Creative Commons sehr interessant. Ich freue mich auch, wenn jemand meine Filme remixt. Bei "Fast Film" ist das ohnehin in jeder Hinsicht moralisch in Ordnung, weil "Fast Film" ist ein Zitat und freut sich daher auch zitiert zu werden.
Ich weiß nur noch nicht, was das auf lange Sicht bedeutet. Im Jahr 2003 hat sich diese Frage noch nicht gestellt. Ich würde es mir beim nächsten Kurzfilm überlegen.
Creative Commons ist eine weltweite Bewegung von Kreativschaffenden. Da jedes kreative Werk automatisch geschützt ist, sollen möglichst viele Urheber motiviert werden, ihre Werke auch der Öffentlichkeit bereitzustellen.
Vorhandene Inhalte sollen einfacher genutzt werden können, darauf aufbauend soll wiederum Neues entstehen.
~ Link: "RegisteredCommons" für digitale Werke (../http://www.fuzo-archiv.at/?id=138590v2) ~
Widrich: Das Urheberrecht hat sich mittlerweile zu einem großen Problem entwickelt. Es wurde erfunden, um die Kreativen zu schützen, mittlerweile verhindert es jedoch Kreativität.
Notwendig ist, dass man über die Welt berichten können muss, ohne ständig Angst zu haben, dass man jemanden mit einem Kaufhaussackerl filmt und die Kaufhauskette könnte mich klagen, weil ich in meinem Werk das Logo abbilde - das kann doch nicht wahr sein. Dann kann man nur noch Filme im Wald drehen.
Das heißt, über die Welt, die voller Logos und voller urheberrechtlich geschützter Objekte ist, zu berichten, wird zunehmend unmöglich. Da hat sich das Urheberrecht gegen die Kreativen gewandt.
Auf der anderen Seite müssen die Kreativen Einnahmen haben, sonst passiert auf lange Sicht keine Kreation. Es muss Geld zu den Kreativen fließen und es muss möglich sein, über die Welt zu berichten.
Es fehlt ein Abrechnungssystem und ein System, wie man ohne administrativen Aufwand Urheberrechte erwerben kann und das umgekehrt auch die Leute bezahlen, wenn sie die Werke oder Teile davon verwenden.
Vertrieb über iTunes
Das renommierte Sundance-Festival hat angekündigt, Kurzfilme aus dem Wettbewerb bei iTunes verkaufen zu wollen.
Digitale Projektionen haben in den Kinos bereits Einzug gehalten. In Österreich versucht das Projekt docuzone Digitalkino zu etablieren. Hat die traditionelle Filmprojektion schon bald ausgedient?
Hier geht es nur scheinbar um das Abspielformat. Natürlich ist 35-Millimeter-Film ein extremer Luxus, eine Filmkopie kostet 2.000 bis 3.000 Euro. Das heißt man kann sich ausrechnen, wieviele Leute ins Kino gehen müssen, nur um die Filmkopie zu bezahlen. Die wiegt noch dazu 25 Kilo und muss teuer um die Welt geschickt werden.
35 Millimeter ist zwar nach wie vor technisch die beste Form, einen Film zu zeigen, was den Kontrastumfang und die Farbe betrifft, aber die Kopien sind nach drei Wochen eigentlich wertlos. Aus dieser Sicht heraus ist die digitale Distribution natürlich ein großer Vorteil.
Es gibt jedoch auch die Gefahr, dass durch das Digitalkino eine Monokultur entsteht. Dass alle Kinos auf diesem digitalen Weg gleichgeschaltet sind und Filme in noch mehr Kinos gleichzeitig anlaufen, weil es ja nichts kostet.
Immer mehr österreichische Lichtspieltheater passen ihre Technik dem digitalen Zeitalter an. 23 Kinosäle landesweit sind derzeit mit digitalen Filmprojektoren ausgestattet.
Widrich: Die docuzone verfolgt die Idee, dass die Projektoren das trojanische Pferd sind, durch das der europäische Film in die amerikanisch dominierten Kinos eindringt. Die Kinos gehören ja entweder amerikanischen Firmen als Immobilien oder sie werden von Hollywood ferngesteuert, manchmal mit dem Umweg über London. Das ist den wenigsten Leuten bewusst, dass die Amerikaner sich hier reingesetzt haben, nachdem die Nazis das Kino missbraucht haben und auch zu Recht diesen inhaltlichen Bereich rückerobert haben.
Das Problem des europäischen Films ist ja nicht, dass es die Filme nicht gibt, oder dass sie zu schlecht sind, sondern dass sie nicht in die Kinos hineinkommen und dass das Publikum nach mehreren Jahrzehnten Sehgewohnheiten hat und Stars kennt, die eben nicht aus Europa kommen.
Jetzt gibt es diese Idee, über diesen Projektor, der gefördert in den Kinos steht und damit auch offen sein muss für europäische Contents, um die Kinosäle auch für den europäischen Film rückzuerobern. Und das halte ich für eine sehr intelligente Idee. Ich hoffe sie funktioniert.
Filme werde heute nicht mehr nur auf TV-Geräten und im Kino, sondern zunehmend auch auf Mobiltelefonen und Videoabspielgeräten wie dem iPod angsehen. Haben Sie daran gedacht, für kleinere Screens zu produzieren, welche ästhetischen Herausforderungen stellen sich dabei?
Widrich: Durch die Formatvielfalt ist es ja schon jetzt so, dass wenn man am Set durch den Sucher schaut, die verschiedenen Formate mitbedacht werden müssen - DVD, Video, Kino.
Die Formatvielfalt wird nun noch einmal erhöht. Wenn man jetzt einen Film dreht, den man auch am Ende auf dem iPod oder wo auch immer auswerten will, dann wird man das vielleicht auch mitbedenken. Ein Kinofilm mit all seinem Detailreichtum wird auf diesen Geräten schwer funktionieren.
Es ist interessant eigene Versionen für diese Endgeräte zu produzieren. Kurzfassungen oder alternative Fassungen, in denen bestimmte Szenen anders verfilmt werden in einer anders aufgelösten Fassung, die auch eine neue Auswertungsmöglichkeit bringt.
Ich hatte jedoch noch kein künstlerisches Verlangen in diese Richtung.
(futurezone | Patrick Dax)