Cloud-Computing: "Es geht um Vertrauen"
Cloud-Computing, gemeinsames Arbeiten übers Netz mit Tools wie Google Wave, Soziale Netzwerke und Informationskanäle a la Twitter: Immer größere Teile unseres Lebens verlagern wir ins Netz, dessen Dynamik uns im Gegenzug manchmal zu überrollen scheint. Es werde noch eine Weile dauern, bis sich der Mensch an ein Leben "in der Wolke" gewöhnt, meint Steve Rogers von Google.
ORF.at: Herr Rogers, Sie haben in Graz einen Workshop zum Thema "Creative Semantic Web" gehalten. Was verstehen Sie unter dem Begriff?
Steve Rogers arbeitet seit 2008 als Direktor für User Experience bei Google EMEA (Europa, Naher Osten und Afrika) in Zürich. Davor war er unter anderem bei der BBC für neue Medien zuständig und forschte für Gilette und Philips, Letzteres in Wien. Im Rahmen der Creative Industries Styria Convention 2010 war Rogers vor kurzem in Graz.
Steve Rogers: Der Begriff als solcher ist noch nicht gebräuchlich, es gibt als standardisierte Definitionen das Social Semantic Web und das Semantic Web. Im Semantic Web werden Informationen im Netz mit Metadaten versehen, die von Maschinen gelesen und verstanden werden können. Das Social Semantic Web, das Netz von Facebook, LinkedIn und so weiter, nutzt die Semantik des Webs, um Leute miteinander zu verbinden, und ermöglicht es, Beziehungen und Kontakte zu knüpfen. Es erlaubt, das Netz in einer richtig sozialen Art zu nutzen. Das Creative Semantic Web ist der nächste Schritt. Darunter verstehen wir ein Netz, das die Semantik und die sozialen Aspekte des Webs nutzt, um das gemeinsame Arbeiten von und zwischen Kreativen zu ermöglichen, und so den kreativen Output einer Gruppe erhöht, verbessert und mit anderen besser verfügbar macht.
ORF.at: Es gibt mittlerweile viele Kanäle, die man bedienen kann und soll: Weblogs, Facebook, Twitter. Dabei kann viel Zeit draufgehen, die dann woanders fehlt. Man kann das Netz nutzen, um sich Ideen zu holen, aber zieht es im Gegenzug nicht auch Kraft und Zeit ab, die dann für die eigentliche Kreativität fehlt?
Rogers: Das eine ist die Zusammenarbeit von Menschen aus der ganzen Welt in Echtzeit übers Web. Das bringt ohne Frage phänomenale Vorteile, indem man sich etwa lange Reisen erspart. Das andere ist die Nutzung der Kanäle des Social Semantic Webs, um das, was man tut, einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen und sein öffentliches Profil aufrechtzuerhalten. Bei Twitter, LinkedIn, diversen Blogs und den verschiedenen Communitys kann man seine Arbeit und ihren Erfolg promoten, dort sollte man sich einklinken. Im Moment braucht man dafür zum Teil aber noch viel Zeit, stimmt. Vor allem wenn man anfängt, hat man das Gefühl, dass es verdammt viel Arbeit ohne großen Gewinn ist. Aber jedes dieser Tools, jedes Service wird über das Social Semantic Web und ihre sozialen Beziehungen miteinander verlinkt - hier sind wir aber noch in einer Umbruchsphase. Ich habe einen guten Freund, Konzeptkünstler in London, der nur wenig Zeit damit verbringt, diese Netzwerke zu füttern. Trotzdem ist er auf jedem einzelnen, das ich besuche, sehr präsent. Er hat verstanden, dass es um die Verlinkung geht, damit alles, was er egal wo macht, auf allen Netzwerken gespiegelt und verfügbar wird. Er füttert all seine verschiedenen Profile mit seinen Kurzmeldungen auf Twitter. Das bedeutet auch, dass er in manchen Netzwerken wie Facebook und LinkedIn ein wenig komisch rüberkommt, denn jeder Kanal bekommt den gleichen Inhalten in Form von 140-Zeichen-Meldungen. Aber der Aufwand, den er betreibt, um sein Profil im Netz aufrechtzuerhalten, ist minimal. Ich weiß nicht, ob das auf lange Sicht der richtige Weg ist, denn Tweets sind nicht immer der passende Inhalt und die passende Form für all diese Netzwerke. Auf lange Sicht wird die Technologie hier Abhilfe schaffen.
Google rüstet derzeit Google Mail mit dem System Buzz zu einer Zentrale fürs Soziale Netzwerken auf. Auch in mobilen Anwendungen wird Google das System integrieren - und damit wissen, wer wann wo ein Posting abgesetzt hat. Vorausgesetzt, der User stellt seine Kommentare public.
ORF.at: Muss ich überhaupt in jedem dieser Netzwerke vertreten sein? In Ihrem Beispiel habe ich dann überall diese 140-Zeichen-Mitteilungen stehen, anstatt die jeweiligen Eigenheiten des Mediums, etwa längere Beiträge in Blogs, nutzen zu können. Unterwirft man sich da nicht auch einem Zwang - ist das wirklich notwendig?
Rogers: Nein. Schlussendlich steht die Frage, was Sie im Netz tun wollen und was Sie sich davon erwarten. Ich bin auf Twitter, ich lese dort viele Tweets und nutze es als Informationsquelle. Selbst schreibe ich kaum, mich persönlich befriedigt es nicht, in so wenigen Zeichen und einfachen Ausdrücken Meldungen abzusetzen. Jeder hat seine bevorzugten Kanäle. Ob Sie auf Twitter sein müssen? Nein, es gibt viele Leute, die dort nicht sind. Müssen Sie auf Facebook sein? Nein, es gibt auch viele Leute, die nicht auf Facebook sind. Wer im Netz aktiv ist, muss aber wissen, wo seine bevorzugte Community und was sein primärer Kanal ist, und auf den sollte er sich dann konzentrieren. Wenn Sie wollen, können Sie die anderen Kanäle von diesem aus bedienen.
ORF.at: Kommen wir zurück zur Zusammenarbeit, zur Idee, dass man über das Netz Ideen teilt. Ein Problem im Netz ist Diebstahl. Wenn ich als Kreativer meine Idee ins Netz stelle, wie kann ich sichergehen, wenn ich über das Netz zusammenarbeite, dass meine Idee nicht entwendet wird?
Rogers: Das ist durchaus eine Hürde für eine intensive Nutzung des Webs durch Kreative. Ich finde es aber interessant, dass genau jene Industrie, die am meisten unter dem Diebstahl von Inhalten gelitten hat, das Netz für die Zusammenarbeit am intensivsten nutzt. Die Musikindustrie war die Erste, die versucht hat, über das Netz einen Teil des Vertriebswegs zu umgehen. Obwohl es eine Reihe von Hindernissen gab wie etwa Napster, nutzt die Musikindustrie das Netz als Distributionskanal am stärksten. Natürlich gibt es auch bei der Zusammenarbeit und der Erstellung von Inhalten über das Netz viele Bedenken wegen des Urheberrechts, trotz der Creative-Commons-Lizenzen. Diese Lizenzen zerstreuen nicht die Ängste, die die Leute haben, damit muss man sich auseinandersetzen. Ich glaube, es ist noch ein langer Weg, bis wir alle diese Fragen geklärt haben, aber ich glaube auch, dass man durch Beteiligung mehr gewinnen kann, als wenn man sich aus der Zusammenarbeit heraushält, bis diese Fragen gelöst sind.
ORF.at: Große Konzerne haben meist genug Geld im Rücken, ein kleiner Künstler hat vielleicht eher Angst davor, eine gute Idee ins Netz zu stellen. Man hätte diesen Workshop auch übers Netz abhalten können, und trotzdem sind alle nach Graz gekommen. Es hat offenbar noch immer einen anderen Wert, wenn man Dinge von Angesicht zu Angesicht diskutiert und Ideen austauscht, als etwas ins Netz zu stellen, das dann jeder lesen kann.
Rogers: Es kann ja nicht immer jeder alles lesen. Die Kontrolle, die Leute über den Zugang zu ihren Inhalten haben, wird immer wichtiger. Google Wave etwa ermöglicht es, Gruppen von Leuten zu erstellen, mit denen man gemeinsam an einer Sache arbeitet, und dabei ganz genau zu kontrollieren, wer Zugang hat, wer etwas dazu beitragen kann und wer nicht. Erst wenn es darum geht, die Sachen zu publizieren, wird die Idee eines möglichen Diebstahls real.
ORF.at: Google setzt stark auf Anwendungen, die nicht mehr auf dem lokalen Rechner laufen, sondern auf Datencentern im Netz - das Cloud-Computing. Wenn ich eine solche Anwendung wie Google Wave nutze, vertraue ich Google also meine Daten an. Was, wenn Google Wave abgedreht wird, und all meine Ideen sind da drin? Was, wenn Google Wave plötzlich kostenpflichtig wird? Es gibt viele Tools, die man nutzen kann, aber es ein Unterschied, ob ich ein lokales Textverarbeitungsprogramm nutze oder meine Daten einem Dienstleister anvertraue.
Rogers: Das ist die grundlegende Angst vor Cloud-Computing. Es braucht einige Zeit, bis man sich an die Idee gewöhnt hat. Google ermöglicht Ihnen, dass Sie Ihre Daten aus Google Wave herausnehmen, Sie sind nicht verpflichtet, Ihre Daten drinzulassen. Damit sollten diese Ängste abgedeckt sein. Ich persönlich habe aber auch lange gebraucht, um mich an das Konzept von Cloud-Computing zu gewöhnen. Ich komme aus einer Generation, die Musik noch materiell besessen hat, in Form von Datenträgern. Als ich angefangen habe, Musik zu kaufen, habe ich Vinyl gekauft, große, schwarze Scheiben. Als CDs kamen, war das kein Problem, da hab ich eben kleine, silberne Scheiben gekauft. Aber ich habe ein physisches Artefakt besessen. Ich habe mich auch viel wohler gefühlt, als die Daten noch auf meiner Festplatte waren. Erst als ich Cloud-basierte Anwendungen mit Leuten genutzt habe, die wussten, wie man damit umgeht, habe ich den unglaublichen Wert davon erkannt. Ich konnte meine Dokumente von überall aus nutzen, ich musste meine Festplatte oder meinen USB-Stick nicht mitnehmen. Das war fantastisch. Das Beeindruckenste war aber die Erkenntnis, dass ich nicht mehr darüber nachdenken musste, an welcher Version meines Dokuments ich gerade arbeite. Ich musste mir nicht mehr die Frage stellen, ob das die gleiche Version ist, die auch alle anderen haben. Das und die Tatsache, dass ich darauf vertraue, dass das Google-Datencenter länger bestehen wird als die Festplatte meines Notebooks, beseitigt die Ängste fast ganz. Wenn mein Notebook hinunterfällt, sind die Daten auf der Festplatte meist auch hinüber. Dagegen kann ich ziemlich sicher sein, dass meine Daten in Googles Datencenter sicher sind, wenn ich sie dort gespeichert habe.
ORF.at: Dort kann allerdings der Strom ausgehen, oder ich kann keinen Zugang zum Internet haben.
Rogers: Bei den Datenzentren kommt es darauf an, über welchen Provider wir reden. Ich persönlich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Google-Datencenter down ist, quasi gegen null geht. Es ist viel wahrscheinlicher, dass meine Festplatte defekt wird. Die Frage nach dem Zugang zum Netz ist berechtigt. Ich nehme nur dann physische Kopien meiner Dokumente mit, wenn ich weiß, dass ich keinen oder nur schwer Zugang zum Netz habe. Aber das wird immer seltener. Auch hier sind wir in einer Umbruchphase, einige der Technologien sind erst im Kommen. Es gibt zudem genügend Tools, die meine Dokumente automatisch synchronisieren, sobald ich online bin, etwa Google Docs. Aber sie haben recht, die Leute werden lange brauchen, um sich an die Idee zu gewöhnen. Wenn die Leute aber die Vorteile sehen, werden sie auch schnell bekehrt. Ich hätte auch nie geglaubt, dass es mir passieren würde.
ORF.at: Wenn ich meine Daten in die Wolke gebe oder in eines dieser Tools übertrage, wie kann ich sichergehen, dass mein Datenschutz resepektiert wird, dass meine Daten vertraulich behandelt werden? Natürlich sagt Google, das tun wir nicht, aber wer garantiert mir das?
Rogers: Ich kann Ihnen versichern dass wir bei Google niemals auch nur daran denken, Ihre privaten Daten anzusehen. Allerdings kann das jede Firma sagen. Im Grunde geht es um Vertrauen - so wie ich einer Bank mein Geld anvertraue. Viele Leute werden noch eine Weile brauchen, bis sie ihre Daten einer Firma anvertrauen. Natürlich geht es auch um die Sicherheit ihrer Daten, in der physischen Welt können Menschen allerdings auch Dinge und Daten verlieren. Was mich immer fasziniert, ist, dass ich weniger Probleme damit habe, in einem Geschäft etwas über das Telefon zu bestellen und dort meine Kreditkarteninformationen zu hinterlassen. Dabei geht es um das gleiche Vertrauen, das ich aufbringen muss, wenn ich etwas über eine Website kaufe. Es gibt nichts, was die Person in dem Geschäft davon abhalten kann, meine Kreditkarteninformationen zu missbrauchen, genauso wie bei einer Online-Firma. Aber durch den persönlichen Kontakt, die Stimme, das Vertrauen kann ich das besser akzeptieren.
(futurezone/Nadja Igler)