INDECT: Polizeidrohnen über Europas Städten
Vernetzte unbemannte Flugzeuge spielen eine tragende Rolle im von der EU-Kommission geförderten Projekt INDECT. Das geplante System zur Rundumüberwachung in Städten ist den militärischen Kommandostrukturen für die vernetzte Kriegsführung nachgebildet. Alle Erkenntnisse aus dem Projekt laufen über den Tisch der nordirischen Polizei. Das Ziel: die Bekämpfung künftiger Aufstände im urbanen Raum.
Da im Rahmen des INDECT-Projekts Komponenten entwickelt würden, die möglicherweise in echte Polizei-Informationssysteme integriert würden, sei es wichtig, darauf zu achten, dass "strukturellen Sicherheitsfehlern vorgebeugt wird". So heißt es in der "Spezifikation der Anforderungen für Sicherheit und Vertraulichkeit des Systems" für das von der EU geförderte Überwachungsprojekt INDECT.
"Spezielle Aufmerksamkeit" verdiene dabei der Umstand, dass die meisten Anwendungen dieses Systems "verteilter Natur" seien, also mobil eingesetzt würden. Eine der bis jetzt sechs Arbeitsgruppen (WP2) des Projekts befasst sich ausschließlich mit einem der wichtigsten INDECT-Module, dem "Mobilen urbanen Observationssystem".
Die im betreffenden Dokument enthaltenen Grafiken und Diagramme lassen unschwer erkennen, woher dieses mobile Netz, bestehend aus Backbone, Funkkommunikationsknoten, vernetzten statischen oder mobilen Sensoren und Kameras, GSM/GPS-Trackern, unbemannten Flugkörpern sowie Servern, Datenbanken und Client-Workstations stammt.
C4-Systeme
Es handelt sich um eine verkleinerte Ausgabe der in der vernetzten Kriegsführung seit mehr als einem Jahrzehnt eingesetzten und ständig weiterentwickelten militärischen C4-Systeme. "C4" bezeichnet "Command, Control, Computers, Communication", es handelt sich also um militärische Gefechtsfeldzentralen, die via INDECT für den Einsatz im urbanen Raum angepasst werden.
Wie in den militärischen C4-Systemen kommt auch bei INDECT der Luftaufklärung eine Schlüsselrolle zu - und die spielen Drohnen. Ganz offensichtlich ist hier nicht von einem oder zwei dieser unbemannten Fluggeräte (UAVs) die Rede, sondern von einer ganzen Flotte. Die erste Aufgabe der Drohnen ist, Livevideostreams an die Bodenstationen zu ?enden, die diese Feeds dann über das Backbone verteilen.
Fliegende Relais
Dazu sollen die UAVs auch als fliegende Relaisstationen vorerst nur für "Schmalband"-Kommunikation dienen und sind daher so ausgelegt, dass sie in eine Art Repeater-Modus geschaltet und zu anderen UAVs weiterleiten können.
Das entspricht den neueren Entwicklungen im militärischen Drohneneinsatz in verbautem Gebiet. Zunehmend werden "Mesh-Netzwerke" für die Kommunikation im "Theatre", also im Schlachtfeld, eingesetzt. Die einzelnen Kommunikationsknoten wie Funkgeräte, UAVS, können ein eng vermaschtes Netzwerk bilden, in dem jeder Knoten mit jedem anderen kommuniziert.
So auch bei INDECT, das explizit eine solches Mesh-Netzwerk vorsieht, in dem Kameras, Sensoren, GSM/GPS-Tracker, Polizeilaptops und Bodenstationen untereinander und mit den Drohnen in der Luft kommunizieren.
Know-how für Nordirland
Jedes im Rahmen des Projekts erstellte Papier geht über die Schreibtische der britischen Polizei. Das "Ethics Board" kontrolliere strikt, ob etwa der Datenschutz bei jedem einzelnen Projektteil gewährleistet sei, heißt es auf der Website.
Den Vorsitz im "Ethics Board" hat Assistant Chief Constable Drew Harris vom Police Service Northern Ireland inne, seine Assistentin Zulema Rosborough, Detective Chief Inspector, fungiert ebenfalls als Kontrollinstanz.
Die Nutzlast
In den Spezifikationen für die Drohnen für die "Payload", also die Nutzlast, ist vorgeschrieben, dass sie neben herkömmlichen, zoombaren Videokameras auch zwei verschiedene Infrarotkameratypen eingebaut werden können, sowie Sensor-Equipment von Drittherstellern.
Prozessiert wird das Übertragene dann von Serverknoten, die wiederum hochverfügbar sein müssen. CPUs, Festplatten, Stromversorgung sind redundant ausgelegt, also mehrfach vorhanden und mit einem Automatismus versehen. Nicht in den Spezifikationen angeführt ist jedoch, dass die maßgeblichen Elemente der Drohnen wie etwa Motor und Antrieb redundant vorhanden sein müssen.
Einsatz im bewohnten Gebiet
Das wiederum macht sie für einen Einsatz über bewohntem Gebiet völlig ungeeignet, denn darüber dürfen etwa in Österreich überhaupt keine unbemannten Fluggeräte unterwegs sein. Auch im Gros der EU-Staaten gelten ähnliche Regeln, zumal Drohnen schwierig zu bedienen sind und bei Starts und Landungen, wenn sie manuell gesteuert werden, sehr häufig abstürzen.
Die Verluste an Drohnen im Irak, Pakistan und Afghanistan der US-Armee sind sehr hoch, da gleich mehrere technische und menschliche Faktoren zusammenwirken. Zum anderen sind Drohnen für den Zivileinsatz oder gar über verbautem Gebiet in Österreich schon deshalb nicht erlaubt, weil sie mit dem Luftfahrtskontrollsystem nicht kommunizieren können.
Bürgerkriegsszenarien
Alles in allem verstärkt sich der Eindruck, dass hier mit enormem Aufwand an Geldern - INDECT wird im Rahmen des "European Seventh Framework Programme" von der EU-Kommission mit Millionen gefördert - ein Projekt entsteht, das - vielleicht mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens - momentan kaum irgendwo in Europa eingesetzt werden kann. Eigentlich sind nur bürgerkriegsähnliche Szenarien vorstellbar, oder ein wegen eines Terrorangriffs verhängter Ausnahmezustand, in dem Teile des zivilen Rechts außer Kraft gesetzt sind und Militär zum Einsatz kommt.
Im militärischen Bereich wiederum kommen gerade solche Set-ups von eng vermaschten, lokalen C4-Systemen unterschiedlichen Umfangs, Qualität und Ausführung in allen Armeen technologisch fortgeschrittener Länder zum Einsatz.
Leere Seiten
Von den 28 Seiten umfassenden ersten Spezifikationen wurde fast ein Viertel vor Veröffentlichung gelöscht, denn quer durch das Dokument blieben insgesamt sieben Seiten völlig weiß.
Während das Titelblatt das Konsortium auflistet - in erster Linie technische Universitäten aus diversen EU-Staaten sowie Polizeibehörden aus Großbritannien und Polen - wurde Seite zwei blanko ausgeliefert. Der Schluss liegt nahe, dass sich hier Informationen befunden haben, die in Zusammenhang mit der Liste der Konsortiumsmitglieder stehen.
Seite drei wiederum beinhaltet die Dokumenteninformation, Abfassungsdatum sowie die daran Beteiligten. Herausgeber und Autoren stammen von der technischen Universität Poznan, die "Reviewer" kommen von der Universität Sofia und der nordirischen Polizei.
(futurezone/Erich Moechel)