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20 Jahre Photoshop: Zeichnen mit Licht

WAHRNEHMUNG
18.02.2010

Am Freitag feiert Adobe den 20. Geburtstag von Photoshop. Von der DTP-Revolution bis zum Digitalkameraboom hat das Programm unseren Umgang mit Bildern geprägt und verändert. Heute steht "Photoshoppen" aber auch für böswillige Manipulation an Bildern. Dabei liegen die Probleme mit der Software ganz woanders. Ein Essay über ein Programm und den Umbruch einer ganzen Branche.

Es war wohl 1990 oder 1991, als der Chef uns eine neue Maschine zwischen die eingebrannten Grünmonitor-Terminals des Linotype-Satzrechners stellte. Es war ein nagelneuer Macintosh IIci, bestückt mit feinster Desktop-Publishing-Software: Illustrator, Quark XPress und Photoshop. Ich warf einen Blick ins Großraumbüro, wo Setzer und Monteure sich über Tastaturen, Belichter und Seiten beugten, sah dann auch den Reprofotografen durch die Drehtür aus seinem finsteren Reich kommen, wo er über eine Kamera von der Größe eines VW Polo sowie Entwicklungsmaschinen gebot, deren mild säuerlicher Gestank sich mit den Lösungsmitteldünsten der Montagekleber zum typischen Aroma der Setzerei verband. Diese Räume sollten sich bald leeren.

Desktop-Publishing, kurz: DTP, war zu diesem Zeitpunkt bereits fest etabliert. 1985 brachte die Firma Aldus PageMaker heraus, ein Programm, das in Kombination mit der grafischen Benutzeroberfläche des Apple Macintosh (1984) und Adobes Seitenbeschreibungssprache PostScript (1982) die bisher bleischwere Druckvorstufenbranche nach der Einführung des computergesteuerten Lichtsatzes mit einem erneuten digitalen Datenstrom unterspülte und schnell ins Schwimmen brachte. Die Digitalisierung dieser Industrie könnte man als Akt des Ahistorischen Dematerialismus bezeichnen, die alten Strukturen wurden vergessen, fusioniert und aufgelöst, Arbeitsabläufe neu verteilt. Das war nicht immer schlecht, aber auch nicht ganz problemlos.

Von DTP zum iPad

1990 konnte man als Profi noch über Macs mit winzigen Monitoren und über Software wie PageMaker lächeln, aber man konnte auch - sofern einem der Montagekleberdunst noch nicht alle neuronalen Verbindungen im Oberstübchen weggeätzt hatte - doch schon verdammt gut sehen, was da auf einen zukommen würde.

Kein Wunder, dass sich die Printverlage heute im Zuge des iPad-Hypes wieder auf Apple als Heilbringer stürzen, konnten sie doch dank der Allianz von Steve Jobs, Aldus, Quark und Adobe einen Rationalisierungsschub durchsetzen, in dessen Rahmen ganze Berufsgruppen virtualisiert wurden. Berufsgruppen, die, nebenbei gesagt, sehr gut ausgebildet waren und einen hohen Grad an gewerkschaftlicher Organisation aufwiesen. Das iPad wiederum könnte ein Menetekel dafür sein, dass jetzt viele Printverlage selbst an der Reihe sind, vom nächsten Technologieschub obsolet gemacht zu werden. Leider ist die Software, mit der sich die Kosten für Wohnung und Nahrungsmittel wegvirtualisieren lassen, immer noch nicht erfunden.

Vom Mac auf das iPhone

Im Februar 1990, also lange nach PageMaker, kam Photoshop auf den Markt, eine Software, die seit 1987 von den Brüdern Thomas und John Knoll auf dem Macintosh entwickelt und 1989 von Adobe für den Vertrieb lizenziert wurde. Digitalkameras waren damals noch exotische Geräte, die Bilder kamen in der Regel über den Umweg von Scannern in die Rechner. So lizenzierten die Gebrüder Knoll 1988 die erste halbwegs brauchbare Version 0.87 von Photoshop an den Hersteller Barneyscan, der das Programm im Bündel mit seinen Geräten auslieferte. Ganze 200 Lizenzen wurden von dieser Version des Programms gekauft.

Erwachsen wurde Photoshop im September 1994 mit Erscheinen von Version 3.0, die endlich die Bildverarbeitung in Ebenen beherrschte und erstmals auch für Microsoft Windows verfügbar war. 1995 kaufte Adobe den Knoll-Brüdern die Rechte an Photoshop ab. Der Digitalkameraboom, der spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts einsetzte, machte die Software endgültig zum Klassiker. Die jüngste Inkarnation, die simple und kostenlose Photoshop-App für Apples iPhone, wurde seit dem Start im Oktober 2009 - zunächst nur in den USA - schon 6,5 Millionen Mal heruntergeladen.

Radiergummi und Eispickel

Auch wenn es viele andere Bildbearbeitungsprogramme geben mag: Photoshop steht für das Zeitalter des Digitalbilds wie die Leica für die Kleinbildfotografie. Der Produktname hat es auch in die Umgangssprache geschafft: "Photoshopped!", quietschen Blogisten, Twitteranten und Forentrolle weltweit unisono, wenn sie eine besonders krude Bildmanipulation entdecken. Dass Photoshop als Synonym für Manipulationen verwendet wird, ist aber ungerecht. Schon im tiefsten Analogzeitalter radierten Stalinisten in Ungnade gefallene Politbüromitglieder rückstandslos aus Propagandaaufnahmen. Wenn ein Trotzki verschwinden sollte, kam erst der Retuscheur, dann der Mann mit dem Eispickel. Das aber war kein Geheimnis, das konnte zumindest jedes westliche Kind im Geschichtsbuch nachlesen und ein entsprechendes Verhältnis zum fotografischen Umgang mit der Realität entwickeln. Es ist allzu billig, den Manipulationsvorwurf der bösen Digitaltechnik umzuhängen.

Der manipulative Eingriff passiert in der Fotografie schon vor der Aufnahme des Bildes, mit der Wahl des Standpunkts und des Ausschnitts. In der digitalen Fotografie und der damit einhergehenden Veränderung der fotografischen Geste wird das noch deutlicher als zu Zeiten eines Henri Cartier-Bresson, als die vermeintliche Einzigartigkeit des "entscheidenden Moments" auch auf die Knappheit des bildspeichernden Materials zurückzuführen war: Wer heute fotografiert, zielt meistens nicht mehr durch einen Sucher, sondern hält die Digicam weit vom Körper weg und wählt den Ausschnitt auf dem kleinen Monitor der Kamera.

Vom Fotografen zum Restaurateur

Der Sprung des Bildes von dort auf den großen Monitor ist dann nicht weit. Lädt der Fotograf sein Werk in Photoshop, so wird es dort sogleich von Menüleisten und Werkzeugen umrahmt. In diesem Kontext begegnet der Nutzer dem Bild nicht als dessen Schöpfer, sondern als Restaurateur. Die bereitstehenden Gerätschaften verführen dazu, jedes Staubkorn wegzuklonen und die Fehler, mit denen die vorgelagerten optischen Systeme das Abbild der Realität überzogen haben, systematisch zu beseitigen. Das Bild in Photoshop ist nicht Endprodukt, sondern Rohmaterial.

Das ist ein anderes Arbeiten als früher in der Dunkelkammer. So ist es kein Wunder, dass das konsequenteste Produkt der Photoshop-Familie ausgerechnet Lightroom heißt. In der Voreinstellung von Lightroom bewirkt die Verwendung des Lupenwerkzeugs keine schrittweise Vergrößerung wie in Photoshop, sondern das System zoomt sofort auf 100-Prozent-Ansicht. Hier begegnet die von den Programmierern vorgeformte Arbeitsweise des Lightroom-Anwenders den Theorien aus der "Hellen Kammer", dem Standardwerk des französischen Philosophen Roland Barthes zur Fotografie.

Die Bilder im Bild

Barthes unterscheidet im Umgang mit Fotos zwischen jenen, die zur analytischen Beschäftigung (studium) einladen, und Bildern, aus denen ein Detail oder deren Gesamtwirkung als singulärer Impuls hervorsticht (punctum). Das 100-Prozent-Zoomwerkzeug in Lightroom macht das Bild zur Landkarte, auf der der Nutzer scrollend und mauszeigerschiebend herumwandert, um die Bilder im Bild zu entdecken - wie Harrison Ford bei der Fotoanalyse in "Blade Runner".

Wer schon einmal mit Rohdateien aus digitalen Mittelformatrückteilen oder auch nur hochauflösenden Vollformat-DSLRs zu tun hatte, wird wissen, was damit gemeint ist. Auf künstlerischer Ebene hat sich in jüngerer Zeit beispielsweise der japanische Fotograf Taiji Matsue ("Cell", 2008) mit dieser Suche nach den Motiven innerhalb der hochauflösenden Bilder auseinandergesetzt. Roland Barthes jedenfalls wusste: "Häufig ist das punctum ein 'Detail', das heißt ein Teil des Abgebildeten." Der Impuls des punctum muss via Photoshop und Lightroom erst beim studium entdeckt werden. Die Analyse bedingt den emotionalen Impuls.

Fotografieren und zeichnen

Der Name Lightroom bringt uns auch wieder zur ebenfalls von Barthes angeführten Camera Lucida, einer optischen Zeichenhilfe. Der doch eher passive Umgang mit dem Licht in der dunklen Kammer weicht dem re-konstruktiven in der hellen. Für Barthes war der Grundgedanke der analogen Fotografie: "Es-ist-so-gewesen". Die digitale Fotografie überwindet diese Vorstellung und führt uns gleichzeitig in die Zeit vor Daguerre und Niepce zurück. Die Arbeit in Photoshop ist ein betont konstruktiver Akt, der dem Zeichnen näher ist als jener der bloßen Belichtung.

Digitale Bilder können nicht einfach nur existieren, sie wollen ständig rekonstruiert und aktualisiert sein, schon bei der Darstellung auf dem Schirm musste zumindest früher auf die ausreichende Bildwiederholfrequenz geachtet werden. Wer mit Photoshop arbeitet, hat es nicht mehr mit einem Bild zu tun, sondern mit mehreren Bildern pro Sekunde und zahllosen Versionen. Der entscheidende Augenblick wird nicht intuitiv und blind erfasst, sondern muss mühsam gesucht und rekonstruiert werden.

Der Mensch als Filter

Photoshop ist einerseits der große Rationalisierer und Vereinfacher: Viele Vorgänge, für die früher kostspielige arbeitsteilige Abläufe unter Beteiligung teurer Experten notwendig waren, sind nun so simpel, dass auch Laien zu halbwegs ansehnlichen Ergebnissen kommen können. Andererseits öffnet das Programm den früher räumlich und zeitlich genau definierten Prozess der Fotografie und der nachgeschalteten analogen Verarbeitung in ein digitales anything goes und löst ihn damit auf.

Wie jeder Einsatz komplexer Software verlangt der Umgang mit Photoshop vom Anwender ein hohes Maß an Intelligenz, Geschmack, Disziplin - sowie Zeit, die er nicht hat. Bleibt der Anwender hinter diesen Anforderungen zurück, wird er zum bloßen Plug-in des Gesamtsystems - schlimmstenfalls zu Kai's Power Tools -, um als regenbogenfarbener Nebel oder als billiger 3-D-Effekt wiedergeboren zu werden und in dieser Form dann den 100. Geburtstag von Photoshop feiern zu müssen.

(futurezone/Günter Hack)