EU-Parlament verwirft SWIFT-Abkommen
Mit einer großen Mehrheit von 378 zu 196 Stimmen ist das umstrittene Abkommen des Rats zur Weitergabe von Finanztransferdaten an die USA gestoppt worden. Der kürzlich in Kraft getretene Vertrag zwischen EU und USA muss nun ausgesetzt werden. Alle österreichischen EU-Parlamentarier stimmten gegen das Abkommen.
Das europäische Parlament lehnte das heftig umstrittene Bankdatenabkommen mit den USA am Donnerstag mit einer deutlicher Mehrheit von 378 zu 196 Stimmen ab.
Es gab 31 Enthaltungen. Am auffälligsten aber war, dass sich die Reihen der Mehrheitsfraktion EPP sehr gelichtet präsentierten. Bei Bekanntgabe des Resultats ging anhaltender Applaus durch das Plenum.
Damit muss der am 1. Februar in Kraft getretene Vertrag nun ausgesetzt werden. Das Abkommen ermöglichte den USA den Zugriff auf Millionen von Bankdaten, die vom Finanzdienstleister SWIFT in Belgien verwaltet werden.
Erste Reaktionen:
"Erstarktes Selbstbewusstsein"
"Das ist eine gute Stunde für die europäischen Bürgerrechte und das neu erstarkte Selbstbewusstsein des Parlaments", sagte Ernst Strasser (EPP), der zusammen mit deutschen Abgeordneten innerhalb seiner Fraktion für eine Ablehnung des Interimsabkommens eingetreten war.
Der SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried begrüßte die Entscheidung des Parlaments. "Die Ablehnung ist ein Sieg für die Freiheit der Europäerinnen und Europäer", erklärte er. Das Nein demonstriere auch die neue Stärke des Europäischen Parlaments, die EU-Staaten müssten in Zukunft bei Entscheidungen das Europäische Parlament rechtzeitig einbinden.
Ganz ähnliche Töne kommen auch von der Abgeordneten Eva Lichtenberger (Grüne): "Man sieht, das Parlament nimmt seine neuen Rechte ernst und stellt sich gegen Datenschnüffelei."
Die Grünen hatten sich von Beginn an gegen die Datenweitergabe ausgesprochen, wie auch Linke, Liberale und die meisten Sozialdemokraten (Ausnahmen Spanien, Großbritannien). Nur in der EPP hatten die Befürworter mit zwei Dritteln der Abgeordneten die Oberhand, alle Österreicher und die meisten deutschen MEPs waren dagegen.
Auch die Abgeordneten der FPÖ und der Liste Martin (fraktionslos) stimmten gegen das Abkommen. FPÖ-Mandatar Franz Obermayr schrieb, das Parlament habe "die Notbremse gezogen". Martin Ehrenhauser (Liste Martin) sprach von einem "Teilerfolg für das EU-Parlament bei der Verteidigung der Grundrechte".
"Reziprozität"
Jetzt sei es "Zeit für einen Neustart" betreffend "Inhalt und Art der Zusammenarbeit", sagte Strasser zu ORF.at Damit sei zum Beispiel gemeint, dass der Ministerrat bereits zum Zeitpunkt der Erteilung eines Verhandlungsmandats an die Kommission mit dem Parlament zusammenarbeiten solle.
Sodann brauche es einen "technischen Aufbau, dass die europäischen Staaten diese Daten selbst auswerten" könnten, sagte Strasser, denn das sei "eine europäische Angelegenheit. Wir wollen ja auch auf die amerikanischen Daten zugreifen können, wenn es etwa eine Bedrohung für europäische Bürger gibt. Dieses Prinzip nennt man Reziprozität."
Datenabzug im Hintergrund
SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) ist ein Finanzdienstleister mit Sitz in Belgien, der ein Netz für rund 8.000 Banken in mehr als 200 Ländern betreibt, über das Informationen über Geldtransfers weitergegeben werden. Nach eigenen Angaben wickelt SWIFT etwa 15 Millionen Transfers täglich ab. Das sind etwa 90 Prozent des internationalen Zahlungsverkehrs.
Jahrelang benutzten die US-Behörden ohne Wissen der Öffentlichkeit das Netzwerk im Kampf gegen den Terrorismus. Sie zogen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Daten vom SWIFT-Rechenzentrum in den USA ab, damit die US-Dienste Terrorverdächtige und ihre Geldgeber im Rahmen des Programms gegen Terrorfinanzierung (TFTP) verfolgen konnten.
Formalisierung der Datenweitergabe
Nach Bekanntwerden der Datenweitergabe Mitte 2006 nahm die EU auf öffentlichen Druck Verhandlungen mit den USA auf und erhielt bestimmte Zusicherungen der Sicherung, Verwendung eines möglichen Missbrauchs der Daten. Die Union erhielt im Gegenzug Zugang zu ähnlichen Bankdaten aus den USA.
Im Herbst 2007 entschied SWIFT dann, die europäischen Transferdaten zukünftig auf Rechnern in den Niederlanden und in der Schweiz zu speichern, statt wie bisher in den Niederlanden und - als Sicherungskopie - in den USA. Transferdaten sollten somit nur noch für die USA unzugänglich gespeichert werden.
Interimsabkommen ohne Zustimmung des Parlaments
Das zog Verhandlungen zwischen EU-Kommission und EU-Rat sowie den USA über eine neue transatlantische Vereinbarung nach sich, damit die Bankdaten weiterhin den US-Fahndern zugänglich seien. Ein Interimsabkommen kam zustande, das heuer am 1. Februar in Kraft trat und für neun Monate gilt.
SWIFT wollte bis auf weiteres aber keine Überweisungsdaten mehr aus der EU an die US-Behörden übermitteln: Bei den Verhandlungen zum Übergangsabkommen wurde das Europaparlament nämlich nicht einbezogen, obwohl es nach der neuen EU-Rechtsgrundlage, dem erst am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon, internationale EU-Abkommen zu Polizei- und Justizangelegenheiten ablehnen kann. SWIFT erklärte, das Interimsabkommen nur mit einer einwandfreien Rechtsgrundlage umsetzen zu wollen und auf das Votum des Europaparlaments zu warten.
(futurezone/DPA/APA/AFP)