Topjuristen warnen vor Überwachungsstaat
"Ein System, das Demokratie und Rechtsstaat aushöhlt"
200 hochrangige Juristen aus über 30 Staaten haben sich am Freitag in Wien im Rahmen der vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) veranstalteten 38. Europäischen Präsidentenkonferenz mit Tendenzen auseinandergesetzt, in denen die Rechtsanwälte und Justizvertreter die Gefahr einer Verschiebung vom Rechts- hin zum Überwachungsstaat sehen. Besonderes Augenmerk wurde bei den Wiener Advokatengesprächen der Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) geschenkt.
"Wir alle sind Zeugen einer Tendenz, wie unter dem Deckmantel der Terror-Abwehr nach und nach fundamentale Bürgerrechte ramponiert werden", sagte ÖRAK-Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler, "Den Bürgern muss klar sein, dass jeder unmittelbar davon betroffen ist. Egal, ob er etwas zu verbergen hat, oder nicht."
Für Morten Kjaerum, den Direktor der in Wien ansässigen EU-Grundrechteagentur, existiert das Recht auf Datenschutz europaweit "mehr in der Theorie als in der Praxis". Der Schutz personenbezogener Daten habe sich in zahlreichen Mitgliedsstaaten der EU noch nicht ausreichend durchgesetzt. Täter, die gegen die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen verstoßen, hätten "wenig zu befürchten".
Maßnahme "trifft Normalverbraucher"
Für Hannes Tretter, den Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte (BIM), ist die EU-Richtlinie 2006/24/EG, die von den einzelnen Mitgliedsstaaten innerstaatlich umzusetzen ist, "schlechthin ungeeignet, den Terrorismus und die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Die Vorratsdatenspeicherung trifft in Wahrheit den Normalverbraucher."
Tretter warnte in diesem Zusammenhang vor einem "Paradigmenwechsel in der europäischen Rechtsordnung": Wenn es zukünftig zulässig sei, ohne konkrete Verdachtslage flächendeckend in die Privatsphäre der Bürger einzugreifen, widerspreche das den Menschenrechten. Die Folge wäre "ein System, das die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit aushöhlt".
Als "gigantisch und furchteinflößend zugleich" bezeichnete der Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr die Möglichkeiten, die sich aus Instrumenten wie der Vorratsdatenspeicherung ergeben. "Sich darauf zu verlassen, dass die Staaten Europas und ihre Beamten solche Möglichkeiten nicht missbrauchen, wäre grob fahrlässig", sagte der auf Menschenrechte spezialisierte Anwalt. Er verlangte daher von der EU "einheitliche Regeln, die dem Missbrauch der Vorratsdatenspeicherung dauerhaft einen Riegel vorschieben".
(APA)