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Google Buzz: Reparatur am offenen Herzen

SOCIAL WEB
15.02.2010

Googles neuer Kommunikationsdienst Buzz ist nach wenigen Tagen so erfolgreich wie umstritten. Durch offene Schnittstellen und clevere Funktionen bietet Buzz Anwendern und Programmierern einiges an Potenzial für sinnvolle Nutzung. Auf wenig Gegenliebe stößt die Taktik der Google-Entwickler, Proteste und Kritik von Datenschützern und Usern im laufenden Betrieb einzuarbeiten. Eine Analyse von Christiane Schulzki-Haddouti.

Anders als Googles allzu zögerlich eingeführtes Online-Werkzeug Wave legte Buzz einen Blitzstart hin. Binnen 56 Stunden wurden mit dem in Google Mail integrierten Kommunikationsdienst bereits neun Millionen Kommentare und 160.000 Beiträge pro Stunde verfasst. 300.000 Handy-Besitzer nutzen nach Angaben von Google den Dienst täglich. Und das Potenzial ist enorm, denn es gibt inzwischen über 176 Millionen Google-Mail-Nutzer - der Kurznachrichtendienst Twitter hat dagegen nur 75 Millionen User.

Wirft man einen Blick über die veröffentlichten kleinen Buzz-Notizen, stellt man fest, dass der Grundton zwischen Ärger, Skepsis und Begeisterung, Ablehnung und spielerischem Herumprobieren sehr schnell hin- und herwechselt. Inzwischen gibt es unzählige Tipps, wie man den Dienst am effizientesten nutzen kann. Die Buzz-Suche bietet umfangreiche Recherchemöglichkeiten, über Kontaktlisten lassen sich rasch weitere Nutzer finden, bei denen man mitlesen und kommentieren kann.

Zusammenfassung der Online-Aktivitäten

Auch RSS-Feeds lassen sich einspielen: Von den Empfehlungen im Google-Reader über Bilder im Bilderdienst Picasa bis hin zu Nachrichten aus dem Microbloggingdienst Twitter oder Bilder aus Yahoos Fotodienst Flickr können Nutzer Links, Texte, Fotos oder Videos veröffentlichen und automatisch an vorher definierte Nutzerkreise verbreiten. Die wiederum können Anstoß für kleine Kommentare und Diskussionen liefern. Anders als bei Facebook zeigt Buzz immer die gerade aktuellen Diskussionsabschnitte an. Veröffentlicht ein Nutzer massenweise Postings auf einen Schlag, etwa über einen RSS-Feed, werden diese gebündelt angezeigt.

Das wirkliche Potenzial von Buzz aber steckt in seinen Gruppenfunktionen, die über die Kontakte von Google Mail verwaltet werden: So können Nutzer entscheiden, wer bzw. welche Gruppe von Kontakten seine Kommentare, Links oder Feeds erhält. Auf diese Weise lässt sich Buzz für Projekte aller Art verwenden: Man schickt einen Feed, einen Link, einen Hinweis nicht mehr per Mail an die Kollegen weiter, sondern per Buzz - dort werden diese kommentiert und diskutiert.

Kollaborationssoftware für Gruppen

Die ganze Gruppe kann mühelos mitlesen, da immer die aktuelle Diskussion angezeigt wird. Buzz erleichtert diese Gruppenkommunikation, indem es sich den jeweils letzten Adressaten merkt - und für den nächsten Eintrag vorschlägt. Und die Nutzer können über die ebenfalls in die Mail integrierte Chat-Funktion sofort nachsehen, ob jemand gerade online, beschäftigt, nicht ansprechbar oder offline ist. Eine derart flexible Gruppenfunktion bietet bislang kein Microbloggingdienst, kein soziales Netzwerk an. Interessant ist Buzz daher vor allem für die Unternehmen und Organisationen, die sich wie etwa jüngst der Ringier-Verlag für Google Apps entschieden haben. Google hat bereits bei der Präsentation angekündigt, auch spezielle Versionen von Buzz für Geschäftskunden anbieten zu wollen.

Ins Leben gerufen wurde Buzz von netzaffinen Open-Source-Entwicklern, die vor allem "offen" denken und "offen" arbeiten. So offen, dass man sogar mitlesen kann, wie sie die Aufnahme von Buzz durch die Nutzer beobachten und kommentieren - vorausgesetzt, man weiß, wer diese Entwickler sind. Buzz ist nämlich aus dem vor einem Jahr eingestellten Microblogging-Dienst Jaiku erwachsen. Besonders stolz sind die Entwickler vor allem auf die Integration mit Google Maps: So zeigt Buzz die Kommentare der Nutzer, die Buzz mit ihrem Smartphone verwenden, direkt auf der Karte an, wenn der User Google vorher erlaubt hat, die Koordinaten aus seinem Smartphone abzurufen. Eine besondere Qualität erhalten die Buzz-Mitteilungen außerdem dadurch, dass sie meist unter dem echten Namen des Nutzers abgesetzt werden und nicht unter einem Pseudonym. Denn dahinter steht ja ein meist auch beruflich genutzter E-Mail-Account.

Automatische Verbindung

Allzu offen ging Buzz anfangs in der Grundeinstellung mit den E-Mail-Kontakten der Nutzer um: Da wurden die häufigsten Kontakte gleich einmal in die Liste der "Mitleser" eingetragen", die wiederum von anderen "Mitlesern" eingesehen werden konnte. Das stieß nicht nur bei den Datenschutz-affinen Europäern, sondern auch weltweit auf heftige Kritik. Denn nicht jeder will jedem seine engen Kontakte offenbaren. Vor allem im beruflichen Umfeld könnte das nämlich für heikle Situationen sorgen. Anwälte, Journalisten oder Menschenrechtsorganisationen etwa pflegen Kontakte, die als durchaus vertraulich gelten dürfen. Dass Buzz so eng mit der E-Mail-Funktion verbunden ist, sorgte nicht nur für die rasante Adaption, sondern auch für weitere erhebliche Irritationen. Denn Updates von Diskussionen, an denen man selbst teilgenommen hat, laufen direkt ins Eingangsfach von Google Mail ein. Bis man Buzz über einen Klick auf den Abschalten-Link deaktiviert - dann ist alles ruhig.

Die Google-Entwickler reagierten jedoch sehr schnell auf die Kritik. Nutzer können nun von Anfang an entscheiden, ob sie Buzz aktivieren wollen - es wird nicht einfach von Google aus eingeschaltet. Über das Google-Profil können Nutzer die Einsicht in ihre Mitleser-Listen sperren. Ab nächster Woche wird Buzz nurmehr "Empfehlungen" über mögliche Mitleser aussprechen, diese aber nicht wie bisher einfach in die Mitleser-Liste eintragen. Der Feed des Bilderdienstes Picasa sowie die Empfehlungen des Google Readers werden nicht mehr von Anfang an automatisch eingebunden. Und Nutzer sollen künftig selbst entscheiden können, ob sie Buzz direkt unter dem Mail-Eingangskorb oder über eine eigenen Seite erreichen wollen.

Kultur der Nachbesserung

Diese schnelle Korrektur wird allerdings in der deutschsprachigen Presse nicht goutiert. "Spiegel Online" spricht von einem "Desaster", nachdem Google innerhalb von drei Tagen die vierte Korrektur vornahm. Dabei entspricht das schnelle Feedback auf die Nutzer genau dem, wie Entwickler handeln sollten: Nämlich schnell lernend, umstandslos korrigierend. Nicht umsonst spricht das Web-2.0-Blog "Netzwertig" denn auch von einem "Traumstart". Wenn auch andere Unternehmen wie Microsoft oder Facebook so schnell auf Nutzerwünsche reagieren würden, wäre schon viel gewonnen.

Google hat eigentlich, wie der amerikanische Journalistikprofessor und Web-2.0-Apologet Jeff Jarvis sagt, nur einen schweren Fehler gemacht. Es hätte dem Dienst zu Beginn das Etikett "Beta" verpassen sollen - dann wäre allen von Anfang klar gewesen, dass der Dienst beim Start noch nicht ganz ausgereift war. Allerdings setzt Google anders als Facebook auf offene Standards und bietet damit eine Plattform, in die sich auch andere Dienste einklinken können. Für Entwickler gibt es nichts, was anregender sein könnte. Sie werden rund um Buzz zahlreiche neue Anwendungen bauen. Schon jetzt etwa können Buzz-Nutzer auch Nicht-Buzz-Nutzern Nachrichten schicken. Daher steht fest: Buzz ist spannend - und wird noch für einige Überraschungen gut sein.

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(Christiane Schulzki-Haddouti)