© ORF.at\Nadja Igler, Mann bedient Handy auf dem Mobilfunkkongress in Barcelona

Handybranche zeigt in Barcelona Muskeln

Mobile World Congress
15.02.2010

Unter enormem Andrang hat Microsoft auf dem Mobile World Congress (MWC), dem wichtigsten Branchenevent für Mobilfunker, sein nächstes Betriebssystem für Handys präsentiert - und bringt damit den Zune nach Europa. Bei Nokias Pressekonferenz herrschte ebenfalls Gedränge, obwohl dort nichts zu sehen war. Samsung macht sich heuer auf Nokias ehemaligem Messestammplatz breit - und kleckert auch sonst nicht.

Eine halbe Stunde vor Beginn der Microsoft-Pressekonferenz war Schluss: Ab 14.30 Uhr wurden die Journalisten im Hotel Catalonia Barcelona Plaza, genau gegenüber dem Eingang zum Messegelände, in Nebenräume umgeleitet, um dort auf Bildschirmen die Pressekonferenz verfolgen zu können. 300 Journalisten passen laut Organisatoren in den Garden Room, in dem Microsofts Präsentation stattfand. Wie viele in Summe an Ort und Stelle waren, ist nicht bekannt.

Microsoft-Chef Steve Ballmer kam wie schon 2009 selbst nach Barcelona, um die Neuigkeiten zu präsentieren. Während sein Auftritt letztes Jahr ein gut gemeinter Versuch war, dem schon bei Geburt brustschwachen Windows Mobile 6.5 noch etwas Atem einzuhauchen, konnte er 2010 mit Windows Phone 7 echte Neuigkeiten zeigen. "Ich hoffe, dass sieben wie schon bei Windows 7 eine Glückszahl ist und Windows Phone 7 die gleichen Reaktionen hervorruft", sagte Ballmer hörbar aufgeregt gegen Ende der Präsentation. Das Potenzial dafür ist zumindest vorhanden.

Mehr zum Thema:

Gut durchdachte Integration

Windows Phone 7 ist eine wohldurchdachte Zusammenführung zahlreicher Microsoft-Projekte, die man auf den ersten Blick so nicht unbedingt in Verbindung bringen würde. Die Oberfläche kommt von Microsofts Musik- und Videoplayer Zune, der es auf diesem Weg doch noch nach Europa schaffen wird, denn bisher gibt es ihn hierzulande nicht. "Jedes Windows Phone ist ein Zune", erklärte Joe Belfiore, nun für Windows Phones zuständig und davor im Zune-Team.

Microsofts Online-Service Xbox Live für seine Spielekonsole Xbox 360 wird in Windows Phone 7 ebenso Einzug halten wie natürlich Microsofts Suchmaschine Bing - die auf Windows-Handys mit interessanten Features aufwarten soll, etwa lokalen Ergebnissen für Suchbegriffe. Letzteres ist zwar nichts grundlegend Neues oder gar Revolutionäres, aber immerhin vorhanden. Und wirkt in Präsentation und Nutzerführung gut miteinander kombiniert und integriert.

Windows Phones: Zurück an den Start

"Keine Frage, wir mussten alles neu überdenken", gab Ballmer Kritikern von Windows Mobile 6.5 recht, die meinten, dass die letzte Version kein großer Wurf war. Laut Microsoft basiert Window Phone 7 auf einer völlig neuen Architektur, die Vorgaben an die Hardware-Hersteller sind vergleichsweise streng: Die Displays müssen multitouchfähig und kapazitiv sein, jedes Gerät soll mit je einem Button für Start (gekennzeichnet durch ein Windows-Fenster), Suche und Zurück ausgerüstet sein. Flash wird es laut Ballmer vorerst nicht auf Windows Phones geben, auch wenn sich Microsoft dem nicht grundsätzlich versperre.

Microsoft will zudem dem Wildwuchs der Oberflächen auf bisherigen Windows-Mobile-Geräten Einhalt gebieten, die oftmals aus der Not entstanden, dass Windows Mobile auf Touchscreens nicht wirklich gut bedienbar ist. Die Kacheln als Oberfläche der neuen Windows Phones sollen nicht mehr so leicht verändert werden können. Konsistenz war ein oft genanntes Wort auf der Präsentation, gefolgt von "Experience" und dem Satz: "A phone ist not a PC!" als Erklärung, warum man manche Dinge auf einem mobilen Gerät eben anders machen muss. Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, und Microsoft macht Fortschritte.

Nichts Neues von Nokia

Offenbar wenig Fortschritt gibt es dafür beim derzeit noch weltgrößten Handyhersteller Nokia, dessen Pressekonferenz ebenfalls außerhalb des Messegeländes stattfand - inklusive Warteschlange. Die war unbegründet: Nokia enttäuschte nach einer bereits unaufregenden Pressekonferenz im Rahmen der CES in Las Vegas auch in Barcelona mit einer Pressekonferenz ohne echte Inhalte.

Über die Performance auf der CES, wo Nokia einen Wettbewerb für die Entwicklung von eigenen Mobilfunkprogrammen für Entwicklungsländer bekanntgab, konnte man mit Blick auf den MWC als wichtigstes Branchenevent noch hinwegsehen. In Barcelona nun kündigte Nokia einen Pilotversuch von Nokia Money gemeinsam mit der Yes Bank in der indischen Stadt Pune mit über sechs Millionen Einwohnern an. Dass Symbian 3 Ende dieses Quartals fertig sein wird, wurde bei der PK nicht erwähnt - auch Hardware wurde keine vorgestellt.

Mehr zum Thema:

Interessant war die gemeinsame Pressekonferenz von Nokia mit Intel, wo die beiden Hersteller die Verschmelzung ihrer Plattformen Moblin und Maemo zu MeeGO bekanntgaben.

Die Pressekonferenz wirkte mehr wie eine Imageshow: Niklas Savander, Head of Services bei Nokia, sprach über den Erfolg von Ovi Maps, das seit der Freigabe vor rund vier Wochen nun drei Millionen Mal heruntergeladen wurde, und den Musikstore Comes with Music, der mittlerweile in 27 Ländern weltweit verfügbar ist. Aufregend ist was anderes. Im Gegensatz zu den Vorjahren ist Nokia außer mit Nokia Siemens Networks und Qt Development Frameworks, entstanden aus der Übernahme von Trolltech 2008, auch nicht mehr mit einem eigenen Stand auf dem Messegelände vertreten. Nokias lange Zeit angestammter Platz in Halle acht hat mittlerweile Samsung mit einem sehr groß dimensionierten Stand belegt, begleitet von entsprechenden Werbebanner auf und rund um die Messe.

Samsung: Klotzen, nicht kleckern

Samsung startete wie Sony Ericsson die Messe schon am Sonntag. Beide Hersteller hielten ihre Pressekonferenzen vor dem offiziellen MWC-Start am Montag ab. Während Sony Ericsson mit dem Xperia X10 mini und dem X10 mini pro auf Android setzt (vorerst 1.6, die Geräte sollen aber updatebar sein) und mit dem Vivaz Pro ein Gerät mit Symbian S60 und Tastatur offiziell vorstellte, verschrieb sich Samsung mit seinem neuen Flaggschiff Wave S8500 ganz dem neuen hauseigenen Betriebssystem Bada.

Die Hardware des Wave mit seinem Super AMOLED-Display (3,3 Zoll mit 800 mal 480 Pixel), WLAN n und Bluetooth 3.0 kann sich sehen lassen, die Software ist noch verbesserungswürdig: In einem ersten Test verweigerte das Gerät den Aufruf einer Applikation mit dem Hinweis, dass der Speicher voll sei - eine Schattenseite des Multitaskings. Abseits davon reagierten sowohl Display als auch Anwendungen zügig. Wave setzt wie die neuen Modelle von Sony Ericsson zudem bereits auf Micro USB als Ladestecker und soll im Mai nach Österreich kommen.

Von der Software her ausgereifter ist Samsungs i8520 (Beam) mit Android als Betriebssystem, das ebenfalls ein Super AMOLED-Display (3,7 Zoll) sowie einen Pico-Projektor mit sich bringt. Ob die neuen Displays, wie vom Hersteller versprochen, auch im Sonnenlicht gut lesbar sind, konnte angesichts der künstlichen Beleuchtung in der Halle nicht überprüft werden. Auch sonst kann sich Samsungs Produktportfolio, zumindest dem Umfang nach, sehen lassen. Derzeit noch auf Platz zwei im weltweiten Ranking der Handyhersteller könnte Samsung auf diesem Weg Nokia bald richtig gefährlich werden.

Schlechtes Wetter, volle Hallen

Ansonsten scheint die Messe gut besucht zu sein, wobei das schlechte Wetter mit Regen und für die Region vergleichsweise niedrigen Temperaturen den Eindruck voller Hallen sicher verstärkt. Laut Albert Fellner vom heimischen Handybauer Emporia kürzten dieses Jahr viele Mobilfunker ihre Reisebudgets und schickten weniger Mitarbeiter nach Barcelona. Er selbst kann über schlechte Geschäfte nicht klagen: 2010 will Emporia eine Million Geräte ausliefern.

Mehr zum Thema:

(futurezone/Nadja Igler)