"Wir machen Expertenwissen zugänglich"
Seit etwas mehr als neun Monaten ist die "Wissensmaschine" Wolfram Alpha online. Mit der bisherigen Entwicklung des Dienstes ist Conrad Wolfram, Direktor für strategische und internationale Entwicklung beim Alpha-Betreiber Wolfram Research, zufrieden. Im Gespräch mit ORF.at skizziert er den Weg zu einer "automatisierten Wissensökonomie".
Conrad Wolfram ist der jüngere Bruder des Wolfram-Research-Gründers Stephen Wolfram und bei dem Unternehmen für strategische und internationale Entwicklung zuständig. Anfang Februar war Wolfram beim Berliner Festival für Kunst und digitale Kultur, transmediale, zu Gast. Am Rande des Festivals fand auch das Gespräch mit Wolfram statt.
Das Gespräch mit Wolfram wurde gemeinsam mit dem Hausradio zu Gast auf der transmediale (eine Kooperation von NEXT Interkulturelle Projekte, Klubradio und Transmediale.10 und dem Haus der Kulturen der Welt, unterstützt von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und ALEX-Berlin) geführt.
ORF.at: Wolfram Alpha ist seit Mai in einer englischsprachigen Betaversion online. Welche Erfahrungen haben Sie seither gemacht? Wie hat sich Wolfram Alpha seit dem Start entwickelt?
Wolfram: Der Appetit der Leute auf eine neue Art, Antworten zu bekommen, war größer, als wir erwartet haben. Natürlich kann Wolfram Alpha nicht alle Probleme lösen. Das ist auch eine Frage der Erwartungen. Wir beschäftigen uns ausschließlich mit strukturierten Informationen. Meinungen, die von Leuten im Netz häufig gesucht werden, interessieren uns nicht. Aber auch innerhalb unserer Grenzen verfügen wir bei weitem noch nicht über alle Daten, die wir haben wollen. Es wird wohl Jahrzehnte dauern, all diese Informationen zu sammeln und zu strukturieren. In den Bereichen, die wir abdecken, haben wir aber sehr positive Reaktionen bekommen. Beim Start konnten wir etwa 75 Prozent der Nutzerfragen beantworten. Mittlerweile sind es rund 95 Prozent. Wir haben viel aus den Fragen der Nutzer gelernt und umgekehrt. Mit der Weiterentwicklung von Wolfram Alpha entwickeln die Leute auch ein besseres Verständnis für die Fragen, die sie stellen können, und bekommen so hoffentlich auch bessere Ergebnisse.
ORF.at: Sie bezeichnen Wolfram Alpha als eine "Wissensmaschine". Wo liegen die Unterschiede zu Suchmaschinen wie Google und Bing?
Wolfram: Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als eine Art Ergänzung zu Suchmaschinen. Leute wollen Antworten auf Fragen. Traditionelle Suchmaschinen versuchen, auf Basis des Abgleichs von Texten Antworten auf Fragen zu finden, die jemand anderer möglicherweise auf ganz andere Fragen gegeben hat. Manchmal funktioniert das wunderbar und manchmal eben nicht. Wir versuchen, die Fragen, die gestellt werden, zu verstehen. Als Teil dieses Prozesses wandeln wir sie in berechenbare mathematische Objekte um und verknüpfen es mit unserem Datenbestand. Dann berechnen wir in Echtzeit eine Antwort auf die Frage, so wie wir sie verstanden haben. Wir versuchen also, eine Antwort auf eine spezifische Frage zu errechnen, anstatt auf die Antworten anderer Leute auf andere Fragen zu verweisen. Das ist ein großer Unterschied. Google und andere Suchmaschinen haben großartige Arbeit geleistet, wenn es darum geht, den Zugang zu Informationen zu demokratisieren. Wir wollen das Expertenwissen in der Berechnung von Informationen demokratisieren. Oft finden Leute Informationen, wissen aber nicht, was sie damit anfangen können. Die Antworten, sie sie eigentlich haben wollen, bekommen sie nicht. Suchmaschinen sind ein bisschen wie Bibliothekare. Sie helfen Ihnen dabei, Artikel zu finden, die andere Leute zu bestimmten Themen geschrieben haben. In diesen Texten finden Sie manchmal auch die Antworten auf Ihre Fragen. Wolfram Alpha ist hingegen wie ein Forschungsassistent, der Ihre Frage versteht, sie analyisert und Ihnen hoffentlich eine genaue Antwort darauf gibt. Das ist zumindest unser Ziel.
ORF.at: Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von "automatisierter Wissensökonomie".
Wolfram: Es geht nicht mehr darum, Zugang zu Informationen zu bekommen, die sind heute weitgehend verfügbar. Es geht darum, Aufgabenstellungen zur Verarbeitung dieser Informationen zu formulieren. Bisher musste ich zu Experten gehen, wenn ich wissen wollte, wie ich Informationen zu bestimmten Themen verarbeite. Wir nutzen unsere Expertise, um den Prozess zu automatisieren und diese Berechnungen zu demokratisieren. Wolfram Alpha macht in gewisser Weise die Expertise von Spezialisten um eine Stufe zugänglicher. Leute, die eine Aufgabe lösen wollen, müssen nicht über die dazu notwendige Methode Bescheid wissen. Sie müssen nur die richtigen Fragen stellen. Wir helfen ihnen, die Antworten zu berechnen. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir uns von einer Wissensökonomie hin zu einer automatisierten Wissensökonomie bewegen.
ORF.at: Wo kommen die Daten, die Sie verarbeiten, her? Gibt es einen redaktionellen Prozess, oder anders gefragt: Wie stellen Sie sicher, dass die Quellen auch verlässlich sind?
Wolfram: Wir speisen Daten von vielen verschiedenen Quellen in Wolfram Alpha ein. Quellen sind etwa Regierungsdaten und Daten aus spezialisierten Quellen aus unterschiedlichen Bereichen. Es gibt natürlich redaktionelle Auswahlprozesse. Dabei kommt eine Mischung aus Automatisierung und menschlicher Expertise zur Anwendung. Die Daten durchlaufen einen, wie wir es nennen, kuratorischen Prozess. Dabei werden die Daten strukturiert und berechenbar gemacht. Wir versuchen auch, die Art der Fragen zu berücksichtigen, die sich in Bezug auf die Daten stellen lassen. Das soll es erleichtern, mit den Spracheingaben der Nutzer umzugehen. Es wäre vermessen zu behaupten, dass alles schon perfekt funktioniert. Aber wir glauben, dass wir mit der Aufbereitung der Daten ganz gute Arbeit leisten.
ORF.at: Fakten sind auch nicht immer unumstritten. Wie gehen Sie bei der Auswahl der Quellen vor?
Wolfram: Wir haben uns natürlich die Frage gestellt, was eine glaubhafte Quelle ist. Es gibt aber auch Fakten, die weitgehend unumstritten sind, etwa der Gefrierpunkt verschiedener chemischer Elemente. Bei bestimmten Themen, etwa bei solchen, die ins Politische gehen, bieten wir neben einer Standardeinstellung auch alternative Quellen an. Nehmen Sie zum Beispiel Grenzen von Ländern. Es gibt dazu etwa eine Sichtweise der Vereinten Nationen. Aber nicht alle Leute werden damit übereinstimmen. Wir wollen künftig aber auch Nutzern die Möglichkeit geben, alternative Quellen oder Sichtweisen einzubringen. Das haben wir zwar noch nicht implementiert. Crowdsourcing könnte aber für uns eine Möglichkeit sein, mit solchen Situationen umzugehen.
ORF.at: Die britische Regierung hat zuletzt zahlreiche Daten öffentlich verfügbar gemacht. Wie beurteilen Sie diese Initiativen? Wie arbeiten Sie mit diesen Daten?
Wolfram: Es ist großartig zu sehen, dass diese Informationen verfügbar gemacht werden, besonders im Fall von Großbritannien. Ursprünglich wollte die Regierung ja für diese Daten Geld verlangen. Es freut mich, dass dieser Plan verworfen wurde. Damit die Daten mit Wolfram Alpha verarbeitet und berechnet werden können, bedarf es noch einiger Anstrengungen in der Strukturierung der Daten. Sie sind noch in einem frühen Stadium. Bei der Aufbereitung von Regierungsdaten arbeiten wir aber auch mit Regierungen selbst zusammen. Die US-Regierung ist etwa sehr daran interessiert, diese Daten gemeinsam mit uns berechenbar zu machen. Ich hoffe, dass auch andere Länder diesem Beispiel folgen werden. Vielleicht zählt ja bald auch Österreich zu den Ländern, die Regierungsdaten öffentlich zugänglich machen.
ORF.at: Mathematica ist eine der Grundlagen für Wolfram Alpha. Wie hat sich der Dienst daraus entwickelt?
Wolfram: An Mathematica arbeiten wir seit mittlerweile 23 Jahren. Der Name Mathematica rückt zwar die Mathematik in den Vordergrund. Mathematica ist aber ein System zur Verarbeitung, Entwicklung und Anwendung von Ideen. Wir haben damit eine technische Methode entwickelt, die es uns ermöglicht, Wissen automatisiert zu verarbeiten, zu berechnen und daraus Antworten zu produzieren. Mit Wolfram Alpha wenden wir diese Methode auf die Daten an, die da draußen verfügbar ist. Wolfram Alpha ist in gewisser Weise eine natürliche Weiterenwicklung dieses Berechnungs- und Entwicklungssystems. Ohne Mathematica wäre Wolfram Alpha nicht möglich gewesen. In Zukunft wollen wir Wolfram Alpha aber enger mit Mathematica verflechten. So dass etwa Ergebnisse aus Wolfram Alpha mit Mathematica, das ein wesentlich strukturierteres Umfeld bietet, auf unterschiedliche Art und Weise weiterverarbeitet werden können.
ORF.at: Womit verdient Wolfram Alpha eigentlich Geld?
Wolfram: Nach dem Start von Wolfram Alpha haben wir zahlreiche Anfragen bekommen. Viele davon kamen von Organisationen aus der ganzen Welt, die uns nach Möglichkeiten gefragt haben, wie sie ihre internen Informationen auf dieselbe Art und Weise verarbeiten können, wie das bei Wolfram Alpha passiert. Die Anwendung der Wolfram-Alpha-Methodik auf private Daten ist für uns auch eine Möglichkeit, mit unserer Technologie Geld zu verdienen. Wir arbeiten mit zahlreichen Organisationen zusammen, um ihre Informationen berechenbar zu machen und ihnen besseren Zugang zu ihrem Wissensbestand zu geben. Daneben haben wir auch eine Kooperation mit der Microsoft-Suchmaschine Bing. Auch das bringt Geld. Wolfram Alpha hat aber vor allem dazu beigetragen, einem breiten Publikum die Möglichkeiten unserer Software Mathematica aufzuzeigen.
ORF.at: Wolfram Alpha gibt es derzeit nur in einer englischsprachigen Version. Wann werden auch andere Sprachversionen verfügbar sein?
Wolfram: Wir suchen derzeit nach Partnern in vielen verschiedenen Sprachen, um an den Übersetzungen zu arbeiten. Dabei müssen wir sowohl die Fragen als auch die Antworten berücksichtigen. Ich denke, es wird früher möglich sein, Fragen in anderen Sprachen zu stellen, als Antworten in anderen Sprachen zu bekommen. Wir arbeiten aktiv daran. Ich kann Ihnen allerdings noch keinen Zeitrahmen nennen.
(futurezone/Patrick Dax)