© APA/EPA/Peter Steffen, Besucher in einer Ausstellungshalle auf der Cebit.

CeBIT 2010: Innovatives aus Österreich

MESSEN
26.02.2010

Bildanalyse in Videodatenbanken, mobile Buchscanner und virtuelle Hausbesuche vom Arzt: Heimische Forschungseinrichtungen und Unternehmen sind auch heuer wieder auf der CeBIT vertreten. Sie erhoffen sich von der deutschen IT-Messe, die in den vergangenen Jahren an sinkendem Interesse leidet, vor allem neue Kontakte zu potenziellen Kooperationspartnern.

Auch wenn die weltgrößte Computermesse CeBIT unter sinkenden Besucher- und Ausstellerzahlen leidet, für heimische Unternehmen ist sie dennoch von Bedeutung. Insbesondere Forschungseinrichtungen sehen in der heuer vom 2. bis 6. März stattfindenden Messe wieder eine gute Gelegenheit, ihre Projekte zu präsentieren.

Zum dritten Mal unterstützt die Österreichische Computer Gesellschaft (OCG) heimische Projekte zur IT-Forschung bei der CeBIT mit einem Stand im Futurepark. Dort konzentrieren sich Forschungsinstitutionen und innovative Firmen verschiedener europäischer Regionen.

Empfehlungen durch Klanganalyse

"Wir erwarten uns, dass wir auf der Messe auch mit großen namhaften Firmen direkt in Kontakt treten können", so Thomas Lidy gegenüber ORF.at. Der Jungunternehmer wird mit dem Spin-off der TU Wien Spectralmind am OCG-Stand vertreten sein, präsentiert wird eine Betaversion des Musik-Web-Portals Sonarflow.

Sonarflow bietet einen Web-Shop für Musik, der die üblichen Funktionen wie etwa das Anlegen von Playlists bietet. Von anderen Musikportalen wolle sich das Projekt durch die verwendete Musikanalyse-Technologie unterscheiden, die für die Suche und beim Vergeben von Empfehlungen angewendet werde, so Lidy. Durch Audio- und Klanganalyse würden dem Nutzer Musikempfehlungen gegeben, die seinem Geschmack entsprechen könnten.

Gegenüber Plattformen mit Community-Empfehlungen habe Sonarflow den Vorteil, dass sie "objektiver ist, weil der Klang direkt analysiert wird". Vier Songs in der Sekunde soll die Audio-Engine durchsuchen können, womit auch große Musikarchive schnell durchforstet würden. Auch hätten insbesondere neue Musiktitel und Titel kleinerer Anbieter damit bessere Chancen, gefunden zu werden.

Zudem sei für einen Start keine große Nutzergruppe notwendig, betont Lidy einen weiteren Vorteil. Denn "Intention ist nicht, einen neuen Web-Shop zu machen, sondern die Technologie dahinter zu verkaufen". CeBIT-Besucher sollen mit persönlichen Einladungen Zutritt auf die Plattform bekommen, ab April stehe die Website allen Usern offen.

Open-Source-Game als Playlist-Generator

Um eine ähnliche "intelligente" Audiotechnologie geht es bei SOMRacer, hier ist sie allerdings in ein 3-D-Spiel integriert. Der Nutzer bewegt eine Pinguinfigur durch eine virtuelle 3-D-Musiklandkarte und erforscht akustisch verschiedene Regionen, die stilistisch miteinander verwandte Musiktitel umfassen. Um sich einen Titel anzuhören, muss auf die Musiknoten geklickt werden, die in der Landschaft verstreut aufzufinden sind.

Wie auch bei Sonarflow werden die zu erforschenden Regionen mittels Musikanalyse gestaltet. "Damit muss ich mich nicht mehr auf einen Interpreten festlegen", erklärt Jakob Frank, Mitarbeiter am Institut für Software-Technologie und Interaktive Systeme der TU Wien. Der Nutzer brauche nicht gezielt zu suchen, sondern könne ähnliche Titel konzentriert beim Durchwandern der einzelnen Regionen finden.

SOMRacer basiert auf dem Open-Source-Spiel TuxRacer. Mit dem Prototypen, den es auch als Download für Linux, Windows und Mac auf der Homepage gibt, will Frank zeigen, "was mit Musikanalyse möglich ist, und welche anderen Zugänge es zur Visualisierung von Datenansammlungen und deren Zusammenhänge gibt".

Von der CeBIT erwartet sich Frank Öffentlichkeit und vor allem auch den Kontakt zu anderen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. "Viele Endkunden interessieren sich nur für die fertigen Produkte." Den Futurepark würden jedoch auch viele Firmenvertreter besuchen, um sich über innovative Ideen zu informieren. Daraus könne sich auch die eine oder andere Kooperation ergeben.

Langzeitarchivierung für das Home-Office

Um Langzeitarchivierung digitaler Daten geht es bei der Präsentation von Research Studio Digital Memory Engineering (RS-DME). Ziel der Forscher war es, auch für den privaten Nutzer ein System für den langfristigen Datenerhalt zu entwickeln. Das Projekt, an dem die TU Wien, die Universität Wien sowie das Austrian Institute of Technology (AIT) beteiligt sind, widmet sich mehreren Forschungsschwerpunkten.

Zum einen wollen die Forscher erkunden, wie sich skalierbare Prozesse, also sehr viele oder große Objekte, steuern lassen. "Ein Beispiel dafür wären Cloud-Ressourcen und wie diese sich einbinden lassen", erläutert Projektkoordinator Ross King vom AIT. Eine weitere Frage sei die Archivierung von komplexen Inhalten wie etwa bei Web-2.0-Projekten.

Derzeit würden etwa Wikis von Archivsystemen als statische HTML-Sites gespeichert, wobei jedoch viele Kernelemente verloren gingen. "Ein Wiki enthält eine Art Selbstarchivierung durch die Speicherung der verschiedenen Versionen", meint Ross, die jedoch beim Einsatz herkömmlicher Methoden nicht archiviert würden. Auch Informationen zu den Nutzern und eingebettete Elemente würden bei herkömmlichen Archivierungsmethoden nicht berücksichtigt.

Schließlich soll RS-DME auch ein Archivierungswerkzeug für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für das Büro zu Hause sein. Ähnlich einem Virenschutzprogramm soll das System Dateien mit veralteten Formaten am PC auffinden, die eventuell in Gefahr sind, in Kürze von keinem Programm mehr unterstützt zu werden. "Es geht jedoch nicht darum, die Daten zu migrieren, sondern nur auf die Gefahr hinzuweisen und eine Empfehlung abzugeben", bemerkt Ross.

Videoüberwachung und Bildanalyse

Mehr Kontrolle über Inhalte von Videos und Bildern sollen die Projekte von CogVis, einem weiteren Spin-off der TU Wien, bringen. Im Rahmen des Forschungsprojekts OMOR entstanden mehrere Anwendungen zur computergestützten Auswertung von Bildern und Videos, um etwa Duplikate und ähnliche Bilder in großen Datenbanken ausfindig zu machen. Angewandt auf Videos ermögliche die Basistechnologie auch das Identifizieren des menschlichen Hautanteils auf einem Film.

"Dadurch können etwa pornografische Inhalte auf Websites schneller aufgefunden werden", erklärt CogVis-Betriebsleiter Michael Brandstötter. Zwar hätten bereits Mobilfunker angefragt, um etwa die Inhalte ihrer Webportale mit OMOR zu filtern, sofern diese für Uploads ihrer Kunden offen sind, doch werde immer noch "nach guten Pilotpartnern gesucht".

Noch im Forschungsstadium seien die Projekte mit automatischer Videoüberwachung. MuBisA befasst sich mit der Unterstützung der Sicherheit von älteren Menschen zu Hause. Das in die Videokamera installierte System erkenne mittels Bildverarbeitung unter anderem, wenn eine Person gestürzt sei. Im Notfall nehme die Kamera einzelne Bilder auf und alarmiere die Rettung via SMS. Der darin enthaltene Link verweise wiederum auf die aufgenommenen Fotos.

"Auf den Bildern wird der Raum verdunkelt dargestellt und die Person ist nur als weiße Silhouette erkennbar", betont Brandstötter. Auch würden keine Bilder gespeichert, außer das System erkenne eine Gefahr. Aufgrund dieser Fotos könne die Rettung besser entscheiden, ob tatsächlich ein Notfall vorliege, zudem werde die Fehlalarmquote gesenkt. Auf der CeBIT soll es einen Prototypen zu sehen geben.

"Kritische Ereignisse" in Bankenfoyers soll das Software-System TripleB-ID - ebenfalls von CogVis - erkennen. Schwerpunkt sei die Bewegungsverfolgung und Analyse durch mehrere Kameras, deren Sichtfelder sich nicht überlappen. Auch wenn das System "noch stark im Forschungsstadium ist", werde es bereits in einer Wiener Bankfiliale getestet, so Branstötter.

Überblick über relevante Daten

MobiSem, ein mobiles semantisches Informationsmanagementsystem, ist das gemeinsame Projekt der Universität Wien und P. Solutions. Daten aus persönlichen Systemen, wie etwa dem Outlook-Kalender, lassen sich mit Informationen wie etwa aus Sozialen Netzwerken ergänzen. Zum Einsatz komme semantische Technologie, um die relevanten Daten zu filtern.

"Steht ein Ereignis bevor, so bereitet das System selbstständig ergänzende Informationen vor und stellt sie zur Verfügung", so Povazay. Die "Backgroundinfo" werde unabhängig vom eigenen Online-Status vorbereitet, sobald sich der User mit seinem Smartphone in das Internet begebe beziehungsweise wieder im Empfangsbereich sei, erfolge automatisch die Datensynchronisation. Von Interesse sei der Informationsmanager für dezentral organisierte Unternehmen im Wissens-, Marketing- und Vertriebsbereich, so Povazay.

Virtuelle Hausbesuche vom Arzt

Mit einem eigenen Messestand auf der CeBIT vertreten ist das steirische Unternehmen Zydacron mit seinem Online-Pflegesystem Betavista. Über eine Settop-Box und die entsprechende Software zu Hause würden Vitaldaten wie etwa Blutdruck, Gewicht und EKG via Internet automatisch an den Arzt gesendet. Ergänzend sei mittels Videokommunikation - PC oder TV-Gerät - auch ein Gespräch zwischen Arzt oder Pflegedienstleister und Patienten möglich.

Als Schnittstelle zwischen Settop-Box und medizinischen Messgeräten stünden etwa Bluetooth, USB und Infrarot zur Verfügung. Messdaten und Uhrzeit würden verschlüsselt an einen Server gesendet und katalogisiert. Der behandelnde Arzt könne diese abrufen und im Bedarfsfall reagieren. "Verschiedene Pilotprojekte mit Versicherungen und Ärzten in Österreich laufen bereits", so Geschäftsführer Laurent Kolly, wie etwa bei der Volkshilfe Steiermark.

Auf der CeBIT soll es zur Demonstration eine Online-Verbindung mit Graz geben. Ein Messeauftritt zahlt sich laut Kolly aus, "weil wir etwas Neues präsentieren. Dafür ist die CeBIT immer noch gut genug." Allein um "Gesicht zu zeigen", meint der Geschäftsführer, sei die Messe zu teuer und ein zu großer Aufwand.

Mobiler Buchscanner

Eine verbesserte Ausführung seines robotischen Buchscanners präsentiert das Wiener Start-up Qidenus. Der kleine Bruder (RBS Pro TableTop) des RBS Pro wiege nur noch 40 anstatt 240 Kilo und sei somit "viel mobiler", erläutert Geschäftsführerin Sofie Qidenus. Mit dem System ließen sich 2.500 Seiten pro Stunde "quasi berührungsfrei" einscannen.

Das Unternehmen habe seit vergangenem Jahr auch einen Großauftrag in Österreich zu erledigen. Die katholische Kirche, konkret die Diözese St. Pölten, lasse sämtliche Matrikenbücher ihrer Pfarren digitalisieren. Die Tauf-, Sterbe- und Geburtsdaten ab dem 14. Jahrhundert sind auch online abrufbar. Zudem biete das Unternehmen seit 2009 Buchdigitalisierungen auch als Dienstleistung in seiner Wiener Niederlassung an.

Für das Wiener Unternehmen, dass bis dato eine Exportquote von 99 Prozent habe, ist die Messe eine geeignete Plattform, um internationale Partner an einem Ort gesammelt anzutreffen. Der Rückgang an Endkunden sei kein Problem. "Wir sind mit unseren Produkten in einer Nische", so Qidenus. Auf der Messe sei jedoch die komplette Fachrichtung, die von Interesse sei, anzutreffen.

Gedankengesteuerte Computer

Eine Weiterentwicklung der Smart Home Control wird das Grazer Unternehmen G.Tec präsentieren. Das Kommunikationssystem für Menschen, die ihre Muskeln nicht gezielt bewegen können, sei mittlerweile fähig, mit "echten Multimediageräten" zu funktionieren, berichtet Geschäftsführer Christoph Guger. Mit dem Brain Computer Interface (BCI) ließen sich Videokameras und Stereoanlagen ebenso steuern wie etwa eine mit Servomotoren versehene Haustüre.

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Das System misst die veränderten Gehirnaktivitäten, wenn sich der Nutzer auf einen bestimmten Task, der ausgeführt werden soll, konzentriert. Auf der Messe werde jedoch - wie auch in den vergangenen Jahren - nur virtuell eine Umgebung simuliert, die sich steuern lasse. "Die CeBIT ist eigentlich Werbung für uns", so Guger, denn primär seien es Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit, mit denen das Unternehmen zu tun habe.

Persönliche Kontakte

Zwar würden die Fachmessen den "allgemeinen Messen den Rang ablaufen", dennoch ist für Johann Steszgal, Funktionär des österreichischen Fachverbandes Unternehmensberatung und Informationstechnologie (UBIT) der Wirtschaftskammer, die Computermesse ein wichtiger Branchentreffpunkt. Vor allem "für die kleinen und mittleren Unternehmen gibt es immer mehr", zudem sei die persönliche Kommunikation nach wie vor unerlässlich.

Für die heurige CeBIT gibt sich Steszgal optimistisch: "Ich glaube, dass die Weggebliebenen heuer wiederkommen, denn die Marketing-Budgets sind nach der Krise jetzt wieder offen." Trotz der ständig sinkenden Besucher- und Ausstellerzahlen rechnet der UBIT-Funktionär mit einem Zuwachs. Die Messe kämpft mit der steigenden Konkurrenz durch Fachmessen wie etwa der IFA in Berlin, wo es zahlreiche elektronische Geräte zu sehen gibt, oder der Mobilfunkmesse Mobile World Congress in Barcelona.

Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 400.000 Besucher gezählt, 20 Prozent weniger als 2008. Im Jahr 2000 konnten sich die Messeveranstalter noch über eine Dreiviertel Million freuen. Zur Kostenreduktion und als Anreiz für die Aussteller wurde die Computermesse heuer von sechs auf fünf Tage reduziert, denn im vergangenen Jahr war auch die Zahl der Aussteller um ein Viertel auf 4.300 gesunken.

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(futurezone/Claudia Glechner)