Microsoft lässt Cryptome.org vom Netz nehmen
Weil die Whistleblower-Website Cryptome.org ein Microsoft-Dokument publiziert hat, in dem die Richtlinien des Konzerns zum Umgang mit Polizeianfragen an seine Online-Dienste aufgeführt sind, hat der Konzern die Site vom Netz nehmen lassen. Grundlage für die Aktion ist das US-Copyrightgesetz "Digital Millennium Copyright Act".
Wie das US-Magazin "Wired" und das Fachblog ReadWriteWeb berichten, ließ Microsoft Cryptome.org vom Registrar Network Solutions vom Netz nehmen. Der Registrar hat die Domain am Mittwoch (Ortszeit) beschlagnahmt und wird sie dann wieder freigeben, wenn der Rechtsstreit beigelegt ist, wie es auf der Ersatzwebsite von Cryptome.org heißt. Microsoft hat zu der Aktion bisher keine öffentliche Stellungnahme abgegeben.
Cryptome wurde 1996 gegründet und ist eine der ältesten und wichtigsten Websites im Netz, die sich auf die Publikation interner Dokumente spezialisiert haben, um die Öffentlichkeit über Vorgänge in staatlichen Organisationen und Großkonzernen aufzuklären.
"Criminal Compliance Handbook"
Die von den US-Bürgern John Young und Deborah Natsios betriebene Site, die sich auf die Publikation durchgesickerter Geheimdokumente aus Regierungen und Großkonzernen spezialisiert hat und sich dabei immer auf das von der US-Verfassung geschützte Recht auf Meinungsfreiheit stützen konnte, hatte am 20. Februar ein Microsoft-Dokument mit dem Titel "Microsoft Online Services - Global Criminal Compliance Handbook" vom März 2008 veröffentlicht, in dem der Konzern angibt, wie er mit den Daten seiner User verfährt, wenn Strafverfolger sie haben wollen.
Cryptome hatte bereits ähnliche Dokumente anderer Anbieter wie Yahoo und Facebook publiziert und sich auf Anfrage von Microsoft geweigert, das Dokument vom Netz zu nehmen.
Young reagierte rasch
Wie "Wired" berichtet, hatte Young seinem Provider nach Einlangen des Löschbegehrens sofort innerhalb der Frist eine Entgegnung geschickt, wie es das strenge Copyright-Gesetz der USA vorsieht. Young hätte bis Donnerstag Zeit gehabt, eine Reaktion zu schicken.
Network Solutions nahm die Website trotzdem am Mittwoch komplett vom Netz - wenn US-Provider nach einer DMCA-Notice nicht sofort im Sinne des vermeintlichen Rechteinhabers reagieren, riskieren sie äußerst kostspielige Prozesse. Das 22-seitige Dokument ist nun auch auf der Website von "Wired" verfügbar. Cryptome ist weiterhin über eine Ausweich-Site erreichbar.
Kommt Gesetz Konzernen entgegen?
Wie eine Sprecherin der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation gegenüber ReadWriteWeb sagte, sei es "beunruhigend", dass Microsoft mit dem DMCA gegen Cryptome vorgegangen sei. Microsoft würde das Dokument schließlich nicht verkaufen, es gebe keinen Markt dafür, die Aktion von Cryptome.org falle unter die "Fair Use"-Klauseln des DMCA.
Das Gesetz mache es Konzernen allerdings allzu leicht, Zensur auszuüben. Sie müssten einfach nur ein Formular losschicken und nicht einmal ein Gericht bemühen.