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ACTA: "Wir wollen wissen, was los ist"

COPYRIGHT
25.02.2010

Im EU-Parlament regt sich zunehmend Widerstand gegen die Intransparenz bei den Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA. Abgeordnete der konservativen, der sozialdemokratischen und der liberalen Fraktionen formulierten nun eine Erklärung, in der sie die Kommission zur Öffnung der Verhandlungen auffordern. ORF.at sprach mit dem Liberalen Alexander Alvaro, der die Erklärung mitformulierte.

Der deutsche EU-Abgeordnete Alexander Alvaro (ALDE; FDP) formulierte gemeinsam mit den Parlamentariern Zuzana Roithova (PPE; Konservative), Stavros Lambrinides und Francoise Castex (beide Sozialdemokraten) eine Erklärung, die ab der nächsten Parlamentssitzung zur Unterzeichnung aufliegen wird.

Die Parlamentarier fordern von der EU-Kommission, endlich echten Einblick in die geschlossenen Verhandlungen über das umstrittene Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) zu geben und alle Dokumente zu ACTA zu veröffentlichen. Sie fordern die Kommission auch dazu auf, dass ACTA keine Bestimmungen enthalten dürfe, die das bestehende EU-Recht konterkarieren oder die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz verletzen.

Auch der Provider-Dachverband EuroISPA hat sich am Mittwoch kritisch zu den ACTA-Verhandlungen geäußert und die Verhandler dazu aufgefordert, die Sitzungen zu öffnen.

EU-Recht umgekrempelt

Experten wie der renommierte kanadische Copyright-Experte Michael Geist und Konsumentenschutzorganisationen wie der EU-Dachverband BEUC befürchten, dass ACTA tiefe Einschnitte in die Bürgerrechte mit sich bringen könnte. So weisen jüngst von Michael Geist veröffentlichte Dokumente darauf hin, dass die USA darauf drängen, zentrale Elemente des Digital Millennium Copyright Act (DMCA) zur Grundlage des Internet-Kapitels von ACTA zu machen.

Dazu gehört auch die in der EU unübliche Haftung der Provider für die Inhalte, die in ihren Netzen transportiert werden. Um sich vor Klagen der Medienindustrie zu schützen, müssten sich die Provider auf Pläne wie "Three Strikes Out" einlassen und ihre Kunden auf Zuruf der Medienindustriefahnder vom Internet trennen.

ORF.at: Herr Alvaro, Sie haben gemeinsam mit Abgeordneten aus den Fraktionen der Konservativen und der Sozialdemokraten eine schriftliche Erklärung initiiert, in der Sie die EU-Kommission zu mehr Transparenz in Sachen ACTA auffordern. Warum?

Alexander Alvaro: Wir wollen wissen, was los ist. Es gibt derzeit über ACTA kaum Informationen offizieller Natur. Wenn man seitens der USA dazu in der Lage ist, Vertreter von Unternehmen über die Verhandlungen auf dem Laufenden zu halten, dann sollte auch die EU-Kommission das Parlament informieren können. Die schriftliche Erklärung wird in der nächsten Straßburger Plenarwoche zur Unterzeichnung aufliegen, ab dem 8. März.

ORF.at: Aus den Reihen der ACTA-Unterhändler kommt auch jetzt noch das Argument, dass es gar keine Dokumente gäbe, die man öffentlich zur Diskussion stellen könne.

Alvaro: Das ist entweder nicht die ganze Wahrheit, oder die Dokumente, die ins Netz durchgesickert sind, sind nicht echt. Es wäre interessant, zu erfahren, was denn nun der Wahrheit entspricht.

ORF.at: Die Kommission steht auch auf dem Standpunkt, dass das Parlament und Interessensgruppen über Informationsveranstaltungen gut in die Verhandlungen eingebunden seien.

Alvaro: Das finde ich nicht. Die bisherigen Veranstaltungen zu ACTA haben auf Initiative des Parlaments stattgefunden. Wir organisieren derzeit für Freitag, dem 6. April, ein Hearing in Brüssel, zu dem Kommissionsvertreter und Experten wie der kanadische Copyright-Spezialist Michael Geist eingeladen sind. Die Kommission hat auch diese Woche im Ausschuss für internationalen Handel zu ACTA weitestgehend geschwiegen. Das führt dazu, dass sich das Parlament nicht informiert fühlt. Wenn man dann nach den Gründen für die Intransparenz der Verhandlungen fragt, dann verweisen EU und USA darauf, dass es auf Wunsch des jeweils anderen Partners geschehen sei. Das ist das übliche Vorgehen: Man schiebt sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

ORF.at: Die Kommission hat ihr Verhandlungsmandat vom Rat erhalten. Kann sie das Abkommen nun allein abschließen?

Alvaro: Nach meinen Gesprächen mit dem juristischen Dienst des Parlaments läuft es bei ACTA ähnlich wie beim SWIFT-Abkommen. Es wird auf Grundlage von Paragraf 218 des Vertrags von Lissabon abgeschlossen. Das Parlament muss das Abkommen ratifizieren. Umso unverständlicher ist es, dass das Parlament schon aus Gründen der Raison nicht stärker in die Verhandlungen miteingebunden wird. Übrigens hören wir auch aus US-Kongress und -Senat verstärkt Unmutsäußerungen über die Intransparenz der ACTA-Verhandlungen. Die Geheimniskrämerei führt auch zu unnötiger Aufregung.

ORF.at: Das heißt, dass das Parlament dann einem Text zustimmen soll, über dessen Entstehen es überhaupt nicht informiert worden ist. Die Rahmenbedingungen werden dann von den Verhandlungspartnern vorgegeben.

Alvaro: Das wäre eine der Konsequenzen. Der Handlungsspielraum für das Parlament würde sehr eng werden, weil die Parameter schon vorher festgezogen sind. Darum ist es auch so wichtig, über die Verhandlungen genau Bescheid zu wissen. Sie haben auch weitere Auswirkungen auf die EU-Gesetzgebung, beispielsweise auf die E-Commerce-Richtlinie.

ORF.at: Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx hat in dieser Woche Datenschutzbedenken geltend gemacht. Was halten Sie von Hustinx' Vorstoß?

Alvaro: Ich habe die Stellungnahme gelesen. Aber Hustinx hat dasselbe Problem wie wir: Seine Aussagen können sich nicht auf belastbare offizielle Dokumente stützen. Seine Bedenken kann ich aber teilen.

ORF.at: Glauben Sie, dass Sie für die von Ihnen mitformulierte Erklärung die notwendige einfache Mehrheit im Parlament erhalten werden?

Alvaro: Ich hoffe es. Ich kann mir nur schwer Gründe vorstellen, die dagegensprechen würden, die Erklärung zu unterzeichnen. Grundsätzlich ist es keine ideologische Frage. Es geht um Transparenz.

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(futurezone/Günter Hack)