© Anatol Locker, MySpace-Gitarrenkoffer auf der CeBIT

Warum die CeBIT wohl keine Musikmesse wird

SOUND
04.03.2010

2010 präsentiert sich die Musikindustrie erstmals auf der weltgrößten Computermesse CeBIT. Doch im ersten Anlauf zeigt die CeBIT Sounds vor allem, dass der Industrie ein gut organisiertes Großevent wie die Popkomm fehlt. Der erhoffte Dialog zwischen Musikern, Industrievertretern und Publikum blieb aus. Ein Kommentar von Anatol Locker.

Es sollte eine aufregende Premiere werden. Ein "neues Musik-Business-Festival". Eine "einmalige Dialogplattform auf internationalem Niveau", die "viele fruchtbare Verbindungen für Musik und Industrie" bietet. Doch was hat ein Musikfestival auf der notorisch drögen Computermesse CeBIT zu suchen? Wie mischen sich Business-Borg, Kugelschreiber abgrabbelnde Kids und Vollblutmusiker? Dazu muss man etwas weiter ausholen.

Mutter aller Musikmessen: Die Popkomm

Anfang der 1990er Jahre bot die Musikmesse Popkomm Musikfans unvergessliche Momente. Die Stadt Köln sperrte für das legendäre Ringfest der Messe ganze Straßen, Bühnen wurden aufgebaut, PAs angeschleppt, Bands aus aller Welt eingeflogen. Tagsüber gab es eine Musikbusiness-Messe, nachts legendäre Konzerte (darunter die Wiedervereinigung von Can). Jährlich wurde der von den Lassie Singers besungene Mexikaner-Grill leergesoffen, bis Fans und Bands bierselig vereint und betrunken die Straßenbahngleise blockierten. Die Stadt lag im Ausnahmezustand.

Mit dem Internet, Napster und ungehemmtem Musiktausch schlitterte die Musikindustrie in ihre Krise. Sie hatte der Bedrohung wenig entgegenzusetzen: Kopierschutz, Kampagnen und eine Lobbyarbeit, die europäische Bürger langfristig eines Teils ihrer Rechte beraubte. Die Popkomm zog 2003 nach Berlin und hatte plötzlich viel von ihrem Charme eingebüßt. Im Jahr 2009 fiel die Popkomm zum ersten Mal aus. Ex-Viva-Chef Dieter Gorny begründete es mit dem anhaltenden Diebstahl geistigen Eigentums. Er erntete aus der Netzgemeinde mehr Hohn als Verständnis. Das Problem jedoch bleibt: Musik ist heute selbstverständlich und omnipräsent, aber keiner will dafür zahlen.

Von Musikern für Computernutzer

Seitdem fehlt der europäischen Musikindustrie eine wichtige Messe. Das könnte die CeBIT kompensieren, der ebenfalls das Geschäft wegbröckelt. Also soll die CeBIT Sounds richten, was der Branche fehlt: Kontakt zu ihren Kunden, eine Branchenpräsentation und Selbstdarstellung. Henning Wehland, Sänger der Band H-Blockx, fungiert als Aushängeschild und Kurator. Er verspricht sich "viele fruchtbare Verbindungen für Musik und IT".

Denn - und soweit stimmt die Analyse - ohne das Internet wird es Musik schwer haben: CDs, so befinden Musiker und Industrie übereinstimmend, waren ein vorübergehender Distributionskanal. Doch wie kommt der Künstler im Internet zu seinem Lohn? Wie überzeugt man Fans, Musik zu kaufen statt unlizenziert zu kopieren? Auf der CeBIT Sounds hätten Künstler und Konsumenten darüber reden sollen. Doch im ersten Anlauf kamen sie nicht einmal zusammen.

Musikfreaks vs. Mittelstand

Es beginnt schon mit der Party. Erstens ist Hannover keine deutsche Stadt, der ein üppiges Einzugsgebiet beschert ist. Es ist nicht zu vermuten, dass ein Ringfest dort mehr als 10.000 Menschen auf die Straße locken würde. Ergo blieben die Gigs auf die Messe begrenzt. Zweitens heißt die Kernbotschaft der CeBIT immer noch "Mittelstand". Für ein Messepublikum, das eher an Business-to-Business-Anwendungen interessiert ist, sind die Belange der Musikindustrie ein vernachlässigbares Randereignis.

Was bleibt also, wenn die Party und das spartenübergreifende Business wegfällt? Nur noch die Leistungsschau. Doch was in Halle 22 geboten wurde, war noch viel zu wenig.

Viel Musik, wenig Business

Kurator Henning Wehland und sein Team haben ein groß angelegtes Rahmenprogramm auf die Bühne gebracht: Hier gab es Musik, Kurzkonzerte und Präsentationen im Halbstundentakt. Auch werden Newcomerbands und Musiksoftware vorgestellt. Abends spielen bekanntere Bands, darunter Die Sterne, Timid Tiger und The BossHoss - kostenlos. Radiosender, Magazine und Onlineplattformen begleiten die Veranstaltungen.

So viel aber auf der Showbühne zu sehen ist, so dürr bleibt das restliche Angebot. Die Instrumentenhersteller Roland und Musiksoftwareanbieter Avid zeigen ihre realen und virtuellen Instrumente. Die Selbstdarstellungsplattform MySpace ist mit einem kleinen Stand vertreten, ebenso das Musikportal Yavido. Aber: Die großen Musiklabels und Plattenfirmen blieben der Halle 22 fern - weil man einfach nichts zu präsentieren hat. Nimmt man die Musikpromotion-Rubbelkarte "musiXcard" aus, fehlen innovative Angebote, mit denen man die Nutzer zum Musikkauf bewegen könnte.

Nächstes Jahr besser, bitte

Was völlig fehlte, waren Ansätze, wie die Industrie ihren Kunden das Bezahlen schmackhaft machen will. Die Industrie macht erneut den Fehler, ihre Künstler auf die Bühne zu schicken, statt sich selbst zu präsentieren. Statt in den echten Dialog mit dem Publikum zu treten, verließ man sich auf Verlautbarungen und Podiumsdiskussionen. Wer in Diskurs mit seinen Käufern gehen will, muss den Gegenwind auch aushalten.

Ob die CeBIT Sounds auch nächstes Jahr stattfinden wird, ist noch nicht bekannt. Falls ja, kann man nur wünschen, dass die angekündigte Dialogbereitschaft beim nächsten Mal auch stattfindet.

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(Anatol Locker)