Showdown der Lokalisierungsdienste
Ortsgebundene Anwendungen gelten als die Zukunft mobiler Kommunikation. In der Praxis erweisen sich jedoch viele Versuche, Internet-Dienste mit Stadtplänen und Aufenthaltsorten zu bereichern, als Fehlschlag. Ein Grund dafür: Einnahmen durch ortsgebundene Werbung blieben bisher weitgehend aus.
Ende Februar zog Platial.com die Notbremse. Dem in Portland ansässigen Start-up, das Landkarten- und Stadtplandienste im Sozialen Web anbot, war bereits vor anderthalb Jahren das Geld ausgegangen. Versuche, die Firma zu verkaufen, scheiterten. Auch die Suche nach neuen Geldgebern war vergeblich, und die existierenden Investoren wollten kein weiteres Geld in Platial stecken.
Die Firmengründer betrieben das Service noch 18 Monate lang, ohne sich ein Gehalt zu zahlen, doch dann waren auch die letzten Reserven aufgebraucht. Nutzer sollten so schnell wie möglich ihre Daten exportieren, warnte man vor gut einer Woche in einem Beitrag auf dem Firmenblog, denn Platials Internet-Anbieter könnte schon in ein paar Tagen den Saft abdrehen.
Schwieriges Geschäft an Ort und Stelle
Platials Ende mag für einige seiner Nutzer abrupt kommen, doch das Start-up steht mit seinen Problemen nicht alleine dar. Gerade im Bereich der Karten-Mash-ups und ortsgebundenen Anwendungen scheiterten in der Vergangenheit zahlreiche Firmen.
So warfen die Macher des Lokalisierungsdienstes Shizzow Anfang Februar das Handtuch. Zuvor versuchten sich bereits Start-ups wie Apploop, Meetro und Dodgeball vergeblich daran, Ortsdaten online zu nutzen. Eine Reihe von ortsbasierten Start-ups existiert nur noch auf dem Papier, andere wurden nach einer erfolgreichen Übernahme still und heimlich aufs Abstellgleis umgeleitet. Doch warum ist das Anbieten lokaler Dienste im Web nur so schwer?
Wochenmärkte und erste Küsse
Platial ist ein gutes Beispiel für die Probleme der Branche. Das Start-up bot seinen Nutzern die Möglichkeit, auf Basis von Google Maps persönliche Karten und Stadtpläne zu erstellen. 2005 war Platials Idee durchaus faszinierend: Kartografie war bis dahin großen Firmen vorbehalten. Platial bot dagegen die Möglichkeit, Karten mit den eigenen Lieblingsrestaurants, lokalen Wochenmärkten und auch politisch denkwürdigen Orten zu erstellen.
Nutzer entdeckten zudem schnell, dass Karten ihnen eine neue Möglichkeit boten, Freunde und Fremde an Aspekten ihres Lebens teilhaben zu lassen. So fanden sich auf Platial nicht nur Karten mit Urlaubsorten, sondern auch Verortungen von Kindheitserinnerungen, ersten Küssen und verlorenen Lieben - eine Praxis, die von Platials Gründern als "Autobiogeografie" bezeichnet wurde. Platial schuf zudem die Möglichkeit, derartige Karten über ein Flash-Widget direkt in Blogs und andere Websites einzubinden.
Werbung für Unternehmen von nebenan
Zur Finanzierung seines Dienstes setzte Platial auf lokale Anzeigenkunden. Die Idee war, dass Einzelhändler und Handwerker früher oder später direkt auf Stadtplänen für ihre Dienste und Waren werben würden. Ganz aus der Luft gegriffen war das nicht: Mittelständische Unternehmen scheuten Werbung im Netz, bis ihnen Google die Möglichkeit bot, kontenxtrelevante Anzeigen neben Suchergebnissen zu kaufen. Stadtpläne hätten einen ähnlichen Kontext bieten können, um direkt an Ort und Stelle um den Kunden zu buhlen - eine Idee, die im Marketingbereich auch als "hyperlokal" bekannt ist.
In der Praxis setzte sich hyperlokale Werbung jedoch nur langsam durch. Platial arbeitete mit einer Reihe von Werbeanbietern zusammen, das Potenzial derart ortsbasierter Werbung verstanden jedoch nur die wenigsten. "Werbekunden verwechselten lokale Werbung mit Werbung für eine spezifische Stadt", sagte Platial-Gründerin Di-Ann Eisnor in einem Interview. Gleichzeitig hatte Platial mit einer Reihe von Infrastrukturproblemen zu kämpfen. Die Firma musste 2005 einen Großteil ihrer Technik von Grund auf selbst entwickeln - und setzte dazu auf Flash-Widgets, die sich als schwerfällig, bandbreitenintensiv und werbeinkompatibel erwiesen.
Kein Glück mit Google
Als Google 2005 das New Yorker Start-up Dodgeball übernahm, sahen viele darin eine Bestätigung für das Potenzial ortsbasierter Dienste. Dodgeball war eines der ersten erfolgreichen mobilen Sozialen Netzwerke. Der Dienst erlaubte es Nutzern, ihren Freunden per SMS mitzuteilen, wo sie sich gerade aufhielten. Nutzer konnten zudem sehen, wer sich in ihrer direkten Umgebung aufhielt. Der Dienst war auf einige US-amerikanische Großstädte beschränkt, aber gerade unter College-Studenten sehr populär.
Google bemühte sich jedoch nie ernsthaft darum, Dodgeball in die eigenen Produkte zu integrieren oder um neue Features zu erweitern. Die beiden Gründer des Start-up verließen den Konzern schließlich zwei Jahre später. In einem Online-Kommentar bezeichnete Dodgeball-Mitbegründer Dennis Crowley die Erfahrung als "unglaublich frustrierend". Google stellte Dodgeball schließlich Anfang 2009 komplett ein.
Neustart mit Foursquare
Dodgeballs Gründer ließen sich von diesem Misserfolg nicht einschüchtern. Sie gründeten vor einem Jahr Foursquare - ein weiteres mobiles Soziales Netzwerk, das Dodgeball-Features mit einer Twitter-Integration und spielerischen Aspekten verbindet. Foursquare gilt derzeit als einer der erfolgreichsten ortsgebundenen Online-Dienste. So ging die Firma kürzlich eine Kooperation mit dem US-Kabelsender Bravo TV ein, die Foursquare zahlreiche neue Nutzer bescheren sollte. Wie die Firma langfristig Geld verdienen will, ist bisher allerdings unklar.
Gleichzeitig ist unbestritten, dass Lokalisierungsdaten gerade im Bereich mobiler Kommunkationsdienste in Zukunft eine große Rolle spielen werden. Das iPhone und andere moderne Mobiltelefone mit GPS-Ortung und Netzzugang haben zu einer neuen Schwemme von ortsbasierten Diensten und Anwendungen geführt.
Google als Copycat
Konkurrenz bekommen Start-ups dabei ausgerechnet von der Firma, die Dodgeballs Potenzial lange nicht erkannte: Google hat mit Latitude vor einem Jahr einen eigenen Lokalisierungsdienst gestartet, mit dem Nutzer ihre Kontakte über den eigenen Aufenthaltsort informieren können. Der Konzern hat zudem damit begonnen, seine Textanzeigen auf mobilen Endgeräten lokalisiert auszuliefern und auch direkt in seine Stadtpläne zu integrieren. Gut möglich, dass Google damit gelingen wird, was Platial vergeblich versuchte: hyperlokale Werbung für das Geschäft von nebenan.
Apropos Platial: Google bietet seinen Nutzern mittlerweile auch die Möglichkeit, eigene personaliserte Stadtpläne und Landkarten anzulegen, auf denen sie Lieblingsrestaurants und andere Orte ihrer Wahl vermerken können. Googles öffentliches Kartenverzeichnis listet bereits mehr als 1.200 derartiger nutzergenerierter kartografischer Werke. Nach Karten mit ersten Küssen sucht man dort jedoch vergebens.
(Janko Röttgers)