© Fotolia/Lev Dolgatsjov, Menschliches Ohr

Hören verlernen mit MP3

MATRIX
14.03.2010

Verkümmert unser Gehör durch den ständigen Konsum von MP3-Dateien? Diese Frage treibt Wissenschaftler nun schon seit mehreren Jahren an. Die Ergebnisse ihrer Forschung sind ernüchternd, vor allem für Hi-Fi-Freunde. Experten wünschen sich, dass die Konsumenten wieder hören lernen.

Über sechs Jahre lang hat Jonathan Berger, Professor an der Universität von Stanford, seinen Studenten MP3-Dateien in verschiedener Qualität vorgespielt. Sein Ergebnis: Immer mehr junge Leute bevorzugen den Klang einer schlecht komprimierten MP3-Datei gegenüber der unkomprimierten Originaldatei. Musik in niedriger Qualität geht den Studenten offenbar besser ins Ohr.

Professor Emil Lubej vom Institut für Musikwissenschaft an der Uni Wien macht seit Jahren mit seinen Studenten das gleiche Experiment. "Über die Jahre muss ich feststellen, dass die Fähigkeit zur Differenzierung nachlässt. Die Leute hören im Internet MP3s in niedriger Qualität und gewöhnen sich daran", sagt Lubej, "dadurch hören sie den Unterschied zum Original immer weniger."

Nichts für feine Töne

Die MP3-Revolution scheint eine Kehrseite zu haben. In ihren Anfängen galten 128 Kilobit pro Sekunde noch als "Near-CD Quality", doch das war in Wirklichkeit ein Kompromiss mit dem damals noch langsamen Netz.

Noch immer geistert eine Menge dieser Dateien im Internet herum - obwohl es längst nicht mehr schwierig ist, eine höhere Qualität bei variabler Bit-Rate zu erzielen. "Wenn der Konsument das für ausreichend befindet, soll er sich daran erfreuen", sagt Lubej, "aber ich würde auf jeden Fall mehr als 128 Kilobit empfehlen. Das sollte jeder für sich ausprobieren, denn es hängt auch von der Musikrichtung ab - je feiner die Töne, desto höher sollte die Bit-Rate sein."

Ausnahme Audiophilie

Besonders konsterniert von dieser Entwicklung ist Christian Fröhlich. Er ist einer jener Leute, die aus der Klangqualität eine Lebensaufgabe gemacht haben. Er verkauft Audio-Equipment für Klangliebhaber, und er ist natürlich selbst ein Audiophiler: "Heute wird vielleicht mehr Musik konsumiert als je zuvor, aber ich glaube, dass die Musik früher bewusster gekauft und konsumiert wurde."

Fröhlich sieht das Problem schon bei den Ohrhörern, die von Haus aus keinen besonders weiten Frequenzbereich haben: "Wer sich mit dem Thema Klangtreue beschäftigt, wird merken, dass eine bessere Qualität auch zu einem höheren Genuss bei der Musikwiedergabe führt."

Medien in besserer Qualität, die selbst höchsten Ansprüchen genügen, gäbe es zuhauf - etwa die Nachfolgerin der CD, die Super-Audio-CD, und die DVD-A, eine spezielle Musik-DVD. Doch diesen Formaten ist gemein, dass sie in den Regalen liegen bleiben, während Millionen von niedrig auflösenden MP3s weiter auf den iPods dieser Welt angehört werden. Der Konsument hat entschieden: Quantität schlägt Qualität, und die Möglichkeit, immer und überall Musik hören zu können, ist wichtiger als glasklarer Klang.

Verdeckte Töne

Allerdings: Wer weiß schon immer genau, wie viele Kilobit pro Sekunde seine MP3s haben? Denn der Trick der MP3-Technik ist eben, dass sie die Töne weglässt, die der Mensch ohnehin nicht hören kann. Dazu gehören alle Töne außerhalb des Hörbereichs, also etwa von 20 bis 18.000 Hertz. Zum Vergleich: Ein Klavier reicht in den Grundtönen etwa von 28 bis 4.200 Hertz.

Dazu kommt der psychoakustische Effekt der Verdeckung. Tönt zeitgleich zu einem Geräusch ein zweites, lauteres, kann es das erste komplett überdecken, so dass der Mensch es nicht mehr hören kann. Deshalb kann der Klang eines Staubsaugers den Ton des Radios komplett überdecken, auch wenn man es ziemlich laut aufdreht.

Alle diese unhörbaren Töne werden weniger genau berechnet, und so kann das fertige MP3 nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Audioinformation enthalten. Wer mit kleinen Ohrstöpseln in der U-Bahn sitzt oder durch den Park joggt, bemerkt trotzdem keinen Unterschied. Und bei ausreichend hoher Datenrate lassen sich sogar die feinsten Ohren täuschen.

Weniger ist mehr

Doch bei niedriger Datenrate kann es beim Komprimieren zu Artefakten kommen, die hörbar sind - zumindest für Ohren, die sich noch nicht daran gewöhnt haben. "Das hängt auch mit dem Wissen über die Musik zusammen", sagt Lubej. "Wenn ich den Leuten vorher sage, sie sollen zum Beispiel auf das Becken hören, können sie auch eher den Unterschied feststellen."

Denn gerade bei klaren, hohen Tönen, wie ein Becken, eine Triangel oder ein Glockenspiel sie erzeugt, sind diese Artefakte hörbar. "Man sollte seine Ohren auch pflegen und auf sie aufpassen, damit sie solche Unterschiede weiter wahrnehmen können", sagt Lubej. Und dazu gehört auch, den MP3-Player besser hin und wieder zu Hause zu lassen. Denn gerade die ständige Berieselung mit Musik tut dem Gehör keinen guten Dienst: "Wenn man nicht so übersättigt ist, hört man bewusster zu. Nicht nur von der Klangqualität, sondern auch vom Inhalt."

Im Blog des Audiomagazins "NoiseAddicts" gibt es einen Vergleichstest mit zwei MP3s - eines davon in 128 Kbit/s, eines in 320. Auch dort kürte eine knappe Mehrheit das MP3 mit niedriger Datenrate zum falschen Gewinner - hätten Sie den Unterschied gehört?

Mehr zum Thema:

(matrix/Raffael Fritz)