© Reuters, House of Lords

Britisches Internet-Sperrgesetz als "Lex EMI"

KONTROLLE
17.03.2010

Nach der Zustimmung durch die Lords soll das britische Internet-Sperrgesetz noch vor der Wahl Anfang Mai durchs Unterhaus. Die Fäden für die gebeutelte britische Unterhaltungsindustrie - allen voran der Musikriese EMI - zieht dabei Peter Mandelson, der berüchtigte Spin-Doctor Tony Blairs und nunmehrige Minister für Wirtschaft und Innovation.

In dritter Lesung hat das britische Oberhaus das umstrittene Netzsperrengesetz "Digital Economy Bill" verabschiedet. Wie das französische Netzsperrengesetz HADOPI sieht der britische Entwurf ein "Three Strikes Out"-Verfahren vor: Tauschbörsennutzern soll nach zwei Verwarnungen der Internet-Zugang abgedreht werden.

Des Weiteren sieht die "Digital Economy Bill" vor, dass Internet-Provider per Gerichtsbeschluss verpflichtet werden können, bestimmte Websites, die "einen signifikanten Anteil" von urheberrechtsgeschützem Material enthalten, vollständig zu blockieren.

Einen weiteren Punkt, der vorsah, dass dieses neue Gesetz ohne die Notwendigkeit einer weiteren parlamentarischen Behandlung an kommende technische Entwicklungen "angepasst" werden könne, strichen die Lords aus dem Entwurf. Einen derartigen Freibrief, Gesetzesänderungen künftig auch ohne das Parlament durchzuführen, mochten die Lords dann doch nicht ausstellen.

Copy, Paste und Lobbying

Als Ersatz dafür sah der von den Liberaldemokraten "verbesserte" Entwurf einen Paragrafen mit der Möglichkeit vor, Sperren von Websites auf dem Weg einstweiliger Verfügungen durchzusetzen. In der vergangenen Woche hatte sich freilich herausgestellt, dass der Vorschlag zu großen Teilen wortidentisch mit einer Passage aus dem Strategiepapier der Musikindustrie-Interessensvertretung British Phonograpic Industry (BPI) ist.

Deren Geschäftsführer hatte sich denn auch als erster Interessensträger in dieser Angelegenheit zu Wort gemeldet und die Verabschiedung im House of Lords begrüßt. Die Unterhaltungsindustrie erwarte nun, dass dieser Entwurf so bald wie möglich erneut im Unterhaus behandelt werde, hieß es seitens des Verbands.

Dazu müsste die Digital Economy Bill bereits in den ersten Aprilwochen im Unterhaus behandelt werden, um vor den Wahlen, die Anfang Mai erwartet werden, in Kraft zu sein. Doch das ist fraglich.

Vorbild Frankreich

Anfang Jänner hatte der französische Kulturminister Frederic Mitterrand die Chefin der Internet-Sperrbehörde HADOPI vorgestellt. Spätestens im Juni werde man beginnen, die ersten Warnmails an mutmaßliche Urheberrechtsverletzer zu verschicken. Insgesamt kommen auf die Internet-Provider für notwendige technische Maßnahmen Kosten in Höhe von 70 bis 100 Millionen Euro zu. Mitterrand plädierte dafür, dass die Provider die Kosten selbst tragen sollten. Die französische Unterhaltungsindustrie forderte eine Steuer auf Google-Werbung und die Abführung von Teilen der Mehrwertsteuer seitens der Provider zur Unterstützung der Musikindustrie.

Abänderung der Abänderung

Zum einen setzten die Liberaldemokraten den ungewöhnlichen Schritt, ihren Abänderungsantrag zum Zwecke der Abänderung vorerst zurückzuziehen, andererseits gibt es erbitterten Widerstand seitens großer Internet-Provider wie British Telecom. Auch Google, eBay und andere Netzunternehmen laufen Sturm gegen das Gesetz.

Die ersten Erfolge stellten sich dabei schon ein. So sieht der letzte Stand der Digital Economy Bill immerhin die Möglichkeit von Schadenersatzklagen bei unberechtigten Netzsperren und ein paar zusätzliche Einschränkungen vor. Zwei Gründe sprachen allerdings dafür, dass dieses doppelte Internet-Sperrgesetz noch vor den Parlamentswahlen im Schnellgang durch das Unterhaus gepeitscht werden dürfte.

Die Schieflage von EMI

Der eine ist der Zustand des Flaggschiffs der britischen Unterhaltungsindustrie, das unter anderen Robbie Williams, Pink Floyd und die Beatles vermarktet. Anfang Februar hatte EMI einen Jahresverlust von etwa 1,8 Milliarden Euro für 2009 bekanntgegeben und vor Zahlungsschwierigkeiten gewarnt. Sinkende Umsätze im CD-Geschäft trugen einiges dazu bei. Die Hauptursache für die Schieflage des Konzerns aber hat mit unlizenzierten Downloads überhaupt nichts zu tun.

Der britische Private Equity Fonds Terra Firma hatte EMI 2007 um die Rekordsumme von umgerechnet vier Milliarden Euro von der CitiGroup gekauft. Kurz danach brach die Bankenkrise auch über den Unterhaltungsmarkt herein, und Terra Firma tut sich seitdem zunehmend schwer, die offenen Kredite zu bedienen.

"The Prince of Darkness"

Der zweite Grund dafür, dass d?eses Gesetzesvorhaben mit einiger Wahrscheinlichkeit im Schnellgang durchgezogen wird, heißt Peter Mandelson. Der Parteimanager und langjährige Spin-Doctor der Labour Party war maßgeblich für den kometenhaften Aufstieg Tony Blairs verantwortlich. Seine Methoden, "der Wahrheit den richtigen Dreh zu geben", trugen dem nunmehrigen Baron Mandelson of Foy and Hartlepool schon früh den wenig schmeichelhaften Titel "Prince of Darkness" ein.

Unvereinbarkeitskonflikte und der dazugehörige Verdacht der Vorteilsnahme ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Biografie. 1998 musste Mandelson als Handelsminister des ersten Kabinetts Tony Blair zurücktreten, weil er sich mehr als eine halbe Million Euro zinsenfrei von einem britischen Unternehmer geborgt hatte, während sein Ministerium gegen diesen ermittelte.

Rücktritt, der zweite

Zehn Monate später war er als Nordirland-Minister und Zuständiger für den London Millennium Dome wieder zurück in der Regierung Blairs, aber auch diesmal nicht für lange. Seine Intervention beim britischen Innenminister für einen indischen Großsponsor des Jahrtausendwende-Prunkgebäudes, gegen den in seiner Heimat wegen Korruption ermittelt wurde, sorgte für Mandelsons neuerlichen Rücktritt im Jänner 2001.

Doch hinter den Kulissen mischte Mandelson an der Politik von "New Labour" - auch dieser Begriff stammt von ihm - weiterhin an vorderster Front mit. Für seine tragende Rolle in der Desinformationskampagne der Regierung rund um angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak bedankte sich Blair, indem er seinen Intimus 2004 für den Posten des EU-Handelskommissars vorschlug.

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Als solcher fand Mandelsson nichts dabei, Silvester auf der Jacht des Microsoft-Mitbegründers Paul Allen zu feiern, während ein EU-Kartellverfahren gegen diese Firma lief.

Auch auf der Jacht des russischen Oligarchen Oleg Deripaska war Mandelson gerngesehener Gast, zumal in seine Zeit als EU-Handelskommissar zwei Absenkungen der Zölle auf importiertes Aluminium im EU-Raum fielen. Deripaskas Unternehmen RUSAL ist Weltmarkführer im Aluminiumbereich.

Prüfung der Kreditwürdigkeit

Was EMI angeht, so ist für Ende März eine weitere Prüfung der Kreditwürdigkeit durch den Hauptgläubiger CitiGroup angekündigt. Mit der sind die EMI-Eigentümer Terra Firma, die bereits Hunderte Millionen Euro nachlegen mussten, um EMI zahlungsfähig zu halten, seit Dezember 2009 in einen milliardenschweren Rechtsstreit verwickelt. Es geht um den Vorwurf des Betrugs und Vorspiegelung falscher Tatsachen durch die US-Bank bei der Übernahme 2007.

Falls EMI die Kredite nicht mehr bedienen kann, weil Terra Firma das Geld ausgeht, eröffnet sich für die CitiGroup die Möglichkeit, zumindest Teile des Konzerns durch Verkauf an einen Mitbewerber wie Warner Music zu verwerten.

Damit würde sich der Fluch jener Band, die von der Plattenfirma justament vor dem ersten Welterfolg hinausgeschmissen wurde, zwar spät, aber doch erfüllen. "Unlimited supply, Hello E-M-I, Goodbye!", hatten die Sex Pistols anno 1977 von den Punkbühnen gebrüllt.

(futurezone/Erich Moechel)