US-Geheimdienst wollte Wikileaks zerstören
Die Whistleblower-Website Wikileaks hat Pläne eines Geheimdiensts der US-Armee enthüllt, der gezielt die Glaubwürdigkeit der Plattform erschüttern wollte. Der Grund: Wikileaks hatte US-Militärdokumente über die Kriege im Irak und in Afghanistan veröffentlicht.
Vor zwei Jahren überlegte das Army Counterintelligence Center der US-Armee (ACIC), wie es die Internet-Plattform unschädlich machen könnte, die immer wieder geheimes Material zum Irak-Krieg und zum Gefangenenlager in Guantanamo Bay veröffentlicht hatte. Darunter zählten 2.000 Seiten, die die Ausrüstung der Streitkkräfte in Irak und Afghanistan beschrieben.
Die Daten veröffentlichte Wikileaks sowohl in Tabellenkalkulationsdateien wie auch in einer SQL-Datenbank, damit Nutzer selbst die Daten analysieren und ihre politische und militärische Bedeutung erkennen konnten. Laut Wikileaks wiesen die Daten auf Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen die Chemiewaffenkonvention hin.
Anonyme Informanten
Über eine Million Dokumente wurden bereits auf Wikileaks von in der Regel anonymen Informanten veröffentlicht. Wikileaks gehört wie die Website Cryptome des New Yorker Architekten John Young zu den vertrauenswürdigen Veröffentlichungsplattformen im Netz. Genutzt werden sie nicht nur von Informanten, sondern auch von Journalisten, die damit Schwächen ihrer nationalen Pressegesetze umgehen können. Wenn ein Dokument bereits im Netz veröffentlicht ist, kann beispielsweise ein Bericht darüber nicht mehr als Verstoß gegen Geheimhaltungspflichten gelten.
Auf 32 Seiten des als "geheim" eingestuften Berichts analysierte der US-Geheimdienst die die US-Armee betreffenden Wikileaks-Dokumente aus den Jahren 2003 bis 2007. Dabei stellte er fest, dass diese nicht ganz korrekt seien, gleichwohl immer noch genügend Informationen enthielten, die es Gegner ermöglichten, Anschläge zu verüben. Weitere Veröffentlichungen aus internen Militärkreisen seien zu befürchten. Dazu gehörte die Veröffentlichung von Informationen zur Funktionsweise von Störsendern, mit denen das Fernzünden von Bomben verhindert werden kann.
Datenforensik gegen Lecks
Die Autoren des Geheimdienstberichts überlegten, wie Veröffentlichungen auf Wikileaks künftig zu verhindern seien. Dabei zogen sie in Betracht, dass die bis dato unbekannten Betreiber der Plattform einen technisch versierten Umgang mit freier Software pflegen und ihre Kenntnisse laufend verbesserten. Ein einfaches Abschalten der Website sei daher nicht möglich. Die Betreiber von Wikileaks sorgten außerdem bisher effektiv dafür, dass der Informantenschutz gewahrt bleibt, indem sie unter anderem den Kommunikationsverkehr mit kryptografischen Werkzeugen wie OpenSSL, FreeNet, TOR und PGP schützen.
Der ACIC-Bericht stellte fest, dass Wikileaks mit gängigen Angriffsmethoden attackiert werden könnte, um unautorisierten Zugriff auf das System zu erhalten. Umgekehrt könnten neben Metadaten auch kryptografische Marker in den eigenen Dokumenten dafür sorgen, dass einzelne Informanten innerhalb des US-Verteidigungsapparats identifiziert werden können. Mit forensischen Methoden ließe sich auch feststellen, welche Informationssysteme zum Download der enthüllten Dokumente verwendet wurden. Auch die Art der Information und der Geheimhaltungsgrad könnten Hinweise auf den Informanten geben.
Rechtliche Schritte
Die Militäranalysten empfahlen daher eine Strategie, die darauf abzielt, die Glaubwürdigkeit von Wikileaks bzw. das Vertrauen der Nutzer in die Plattform zu erschüttern. Dazu gehöre das Verbreiten fehlerhafter Papiere sowie die "Identifizierung und Enttarnung von Informanten, das Beenden des Arbeitsverhältnisses, die strafrechtliche Verfolgung und das Einleiten rechtlicher Schritte gegen gegenwärtige oder frühere Informanten oder Whistleblower".
Aus der Whistleblower-Forschung ist bekannt, dass Whistleblower meist Menschen sind, die unmittelbare Kenntnisse von einem Sachverhalt haben. Typischerweise handelt es sich um langjährige Mitarbeiter, die bis dahin ein hohes Maß an Loyalität zu ihrer Organisation gezeigt haben, überdurchschnittliche Leistungsbewertungen erhielten und sich meist auch in verantwortlichen Positionen befanden.
Geprüfte Dokumente
Wikileaks-Autor Julian Assange stellt zufrieden fest, dass der Plan, verschärft gegen die Whistleblower aus eigenen Reihen vorzugehen, wohl nicht funktioniert habe. So sei bisher kein Whistleblower aus einem militärischen Umfeld enttarnt worden. Er weist außerdem daraufhin, dass die Annahme, dass Wikileaks die Dokumente nicht redaktionell prüfe, falsch sei.
Die Militäranalysten hatten in ihrem Bericht behauptet, dass eine fehlende redaktionelle Kontrolle die Wahrscheinlichkeit für eine über Wikileaks gestartete Desinformationskampagne erhöhen würde. Das sei angeblich auch der Grund dafür, dass die Regierungen in China, Israel, Nordkorea, Russland, Thailand, Simbabwe und anderen Ländern den Zugang zu Wikileaks-ähnlichen Websites sperrten. Die jüngste Enthüllung zeigt jedoch, dass sich offensichtlich auch Staaten mit demokratischer Verfassung Sorgen über zu viel Transparenz machen.
(Christiane Schulzki-Haddouti)