Konsolidiertes ACTA-Dokument publiziert
Die französische Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net hat am Dienstag erstmals ein durchgesickertes Dokument aus den Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) veröffentlicht, das den gesamten Umfang des geplanten Vertrags abbildet.
Das Dokument, das als "vertraulich" gekennzeichnet ist, ist ein konsolidierter Text, der den Schwerpunkt auf Vorschläge der USA und Japans legt. Es gibt den Stand der Dinge vom 18. Jänner 2010 wieder. Eine eingehende Analyse des 56 Seiten und zahlreiche Änderungswünsche und Fußnoten umfassenden Dokuments steht derzeit noch aus.
Klar ist jedoch, dass die Befürchtungen der Bürgerrechtler nach erster Lektüre des Dokuments gerechtfertigt erscheinen.
In Artikel 2.14 ("Criminal Offenses") wird recht locker definiert, gegen wen strafrechtliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Hier kommt der auch vonseiten des EU-Handelskommissariats immer wieder angeführte Begriff des "gewerbsmäßigen" Urheberrechtsverstoßes ("Commercial Scale"). Hier fordert die mexikanische Seite zu Recht, dass es eine exakte Definition von "gewerbsmäßig" im Abkommen geben müsse.
Diskussionspunkt Gewerbsmäßigkeit
Zur Erinnerung: Auch in der Debatte über die anstehende Reform der österreichischen Strafprozessordnung ist die Rechtsmeinung aufgetaucht, dass eine Gewerbsmäßigkeit bereits dann gegeben sein könnte, wenn eine Person damit einen geldwerten Vorteil erzielt - und dazu könne mit entsprechendem Willen auch der Tausch von Musikdateien über Filesharing-Systeme gezählt werden. Die "Kriminalisierung der Schulhöfe" ist also über die Formel der Gewerbsmäßigkeit keineswegs abgewendet.
Ab Seite 25 wird in Kapitel 3 Abschnitt 4 das Vorgehen gegen Medienpiraterie im Internet behandelt. Hier fordern zuvorderst die US-Unterhändler den befürchteten "globalen DMCA", also die Übertragung der Grundsätze ihres Urheberrechts auf die ACTA-Mitgliedsstaaten.
Globaler DMCA
So sollen nach US-Wunsch die Provider auf "legally sufficient notice" der Rechteinhaber Material löschen, wenn sie nicht haftbar gemacht werden wollen. Auf Seite 27 findet sich ein Kommentar der Schweiz: Die in ACTA vorgeschlagenen Maßnahmen zur Haftbarmachung der Provider könnten den Schutz der Internet-Unternehmen in der nationalen Gesetzgebung schwächen. Auf Seite 30 findet sich das von den USA geforderte Verbot der Umgehungsmaßnahmen von Schutzsystemen wie DRM.
Die zahlreichen Kommentare und Änderungswünsche im Text zeigen jedoch, dass sich die Verhandler noch keineswegs über alle Details im Abkommen einig sind. Die nächste Verhandlungsrunde findet im April in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington statt. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx und der Dachverband der EU-Konsumentenschützer haben bereits wiederholt vor möglichen Einschränkungen der Bürgerrechte durch ACTA gewarnt.
Wie alle durchgesickerten Dokumente ist auch dieses mit der gebotenen Vorsicht zu betrachten, allerdings ist La Quadrature du Net eine vertrauenswürdige Quelle, die gut in der französischen Politik vernetzt ist - und solange die Verhandler aus EU, USA und den anderen Staaten sich nicht dazu entschließen, den Text offiziell zugänglich zu machen und auch Parlamentarier und Bürgerrechtler mitreden zu lassen, ist die Öffentlichkeit auf solche Leaks angewiesen.