© Bild: Universität für Angewandte Kunst Wien, IP City

Vermischte Realität im urbanen Raum

ARCHITEKTUR & TECHNOLOGIE
25.03.2010

Die Stadt als Lebensraum verändert sich, wenn man sie auf einen Schlag anders wahrnimmt. Das kann etwa durch neue Technologien wie Augmented Reality (AR) unterstützt werden. Im Rahmen des Forschungsprojekts "IPCity" haben mehrere österreichische Universitäten untersucht, inwiefern mit derartigen Technologien neue Aspekte des Lebensraums entdeckt werden können.

Wände, von denen man sich Gedichte herunterpflücken kann, gibt es in vielen Großstädten, auch in Wien. Doch wie sieht es mit virtuellen Wänden an bestimmten Orten einer Stadt aus, an denen es Liebesgedichte zum Lesen gibt?

Stadtgeschichten über alte Gebäude sowie Restauranttipps im Reiseführer sind nützliche Informationen für Touristen. Doch was passiert, wenn man diese am Ort des Geschehens mit Informationen wie Tonaufnahmen eines lokalen Straßenmusikanten, fiktiven literarischen Geschichten oder historischen Bildern aus einer anderen Zeit erweitert?

"IPCity": Projekt und Ausstellung

Das "Integrated Project on Interaction and Presence in Urban Environments" ("IPCity") ist ein im sechsten Rahmenprogramm gefördertes Forschungsprojekt der EU.

Am Donnerstag hat zudem die zum Projekt gehörende Ausstellung von 10.00 bis 21.00 Uhr an der Universität für angewandte Kunst, Oskar Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien geöffnet. Um 18 Uhr findet eine Podiumsdiskussion zum Thema "Mixed Reality" statt.

"Geschichten verändern Beziehung zur Umwelt"

"Wenn wir uns in einer Stadt bewegen, empfinden wir Geschichte immer mit. Die Stadt erzählt uns bestimmte Geschichten, und diese verändern unsere Beziehung zur Umwelt entscheidend", sagte Reiner Zettl, Professor an der Wiener Universität für angewandte Kunst, im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung "Mixed Reality" am Dienstagabend.

Mit dem Projekt "City Tales" widmeten sich die Universität für angewandte Kunst, die Partnerfirma Imagination Computer Services und weitere Forschungspartner dem Thema Stadtgeschichten, die mit den Kameras und dem GPS-Signal von Mobiltelefonen an einem bestimmten Ort - dem Wiener Naschmarkt - erzählt werden. "Der Naschmarkt mit seiner Multikulturalität ist selbst ein Berührungspunkt von verschiedenen Interessen und Benutzern", erklärte Zsolt Szalavari von Imagination gegenüber ORF.at.

Mit dem Handy auf dem Naschmarkt

Im Rahmen von Workshops und mit Hilfe eigens geladener Autoren entstanden jeweils mehrere Geschichten für das Zielgebiet. Diese wurde anhand unterschiedlicher Methoden ins digitale System eingebunden und auf einem zentralen Server abgespeichert.

Vom Cafe Sopherl bis zum Gemüsestand Amoni wurden mittels einer eigens für das Projekt entwickelten Computeranwendung Geschichten implementiert, die Nutzer mit ihren Mobiltelefonen direkt am jeweiligen Standort auf dem Naschmarkt aufrufen konnten. Dazu wurden bei den Tests Windows-Mobile- und Symbian-Handys verwendet, die über eine integrierte Kamera und GPS verfügten.

"Dabei haben wir festgestellt, dass man keine langwierigen Geschichten erzählen kann, weil der Fluss der Stadt zu schnell ist", sagte Szalavari. "Beschreibungen von Gerüchen oder bestimmten Marktschreiern bereichern die Geschichten aber immens." Im Zuge des vierjährigen Projekts wurde allerdings auch rasch klar, dass viele Nutzer auch aktiv zur Entstehung neuer Geschichten beitragen wollten. "Das zeigt ein positives Umfeld, und wenn man das Projekt kommerziell umsetzen möchte, sieht man sehr deutlich, dass es an Inhalten nicht mangeln würde", so Szalavari, der nach Abschluss des Projekts eine Umsetzung als Handyanwendung in Betracht zieht.

Neue Technologien in realen Räumen

"Auf diese Art und Weise lassen sich Geschichten komplett anders erzählen. Wir hoffen daher sehr, dass auf der Technologie und den Erkenntnissen basierend wirklich Roll-outs entstehen", meinte Szalavari. "City Tales" war Teil eines insgesamt vierjährigen EU-Forschungsprojekts, an dem sich zehn Universitäten aus Österreich, Deutschland, Finnland, England und Frankreich sowie Partner aus Forschung und Industrie beteiligten.

Bei dem großangelegten interdisziplinären Forschungsprojekt solllte vor allem auch untersucht werden, wie man Menschen mit neuen Technologien in realen Räumen unterstützen kann. "Am leichtesten funktioniert dies, wenn man Menschen Situationen oder Anlässe gibt, die bereits mit bestehenden Funktionen und Gewohnheiten zu tun haben - wie etwa dem Handy. Dann besteht auch keine große Schwelle, und die Akzeptanz ist sehr groß", erklärte Zettl.

Augmented-Reality- und Umweltspiele

Daher wurden neben dem Projekt "City Tales" auch weitere Anwendungsfälle ausprobiert, die mit Mobiltelefonen oder Minicomputern zu tun haben. Sowohl das ebenfalls eigens entwickelte Umweltspiel "Map Lands" als auch das Augmented-Reality-Spiel "Time Warp" funktionieren mit mobilen Geräten, die über Kamera und GPS-Signal verfügen. Bei "Time Warp", das man zu zweit spielt, löst man etwa in einer bestimmten Stadt Aufgaben in verschiedenen Zeitzonen, die von Heinzelmännchen diktiert werden. "Teil des Spiels ist es, die Kollaboration und Kommunikation der zwei Spieler zu fördern", erklärte ein am Projekt beteiligter Student.

Bei "Map Lands" wiederum steht die Förderung des Umweltbewusstseins im Vordergrund. "Man muss etwa mittels auf einer am Handy angezeigten Karte bestimmte Orte wie einen Teich finden, um an denen den Wasserstand oder den Grad der Verschmutzung des Teichs zu messen", erzählte Alessandro von der TU Graz. Beide Spiele, die sich der erweiterten Realität auf jeweils unterschiedliche Art annehmen, können derzeit im Wiener Stadtpark selbst getestet werden.

Stadtplanung am runden Tisch

Doch nicht nur das Mobiltelefon wird in Zukunft dazu beitragen, wie Menschen die Realität in urbanen Räumen wahrnehmen. "Es werden sich im Laufe der Zeit ganz neue Arten des Umgehens mit der Stadt entwickeln", gab sich Zettl überzeugt. Das von der Technischen Universität (TU) Wien geleitete Forschungsprojekt "Mixed Reality"-Zelt etwa soll dazu beitragen, wie Bürger, Politiker und Architekten künftig gemeinsam über Entwicklungen in der Stadt debattieren können.

Dazu wird direkt am Ort des Stadtplanungsgeschehens ein fünf mal fünf mal drei Meter großes Zelt aufgebaut, in dem ein runder Tisch mit farbigen Bausteinen steht. Das Zelt fungiert dabei als Designlabor, mit dem sich vor Ort reale Szenen interaktiv darstellen lassen. Das Team baut das Zelt in der Gegend auf, die neu gestaltet werden soll. Das virtuelle Stadtplanungsszenario kann von Architekten und Bürgern damit direkt im betroffenen Gebiet angesehen und mit Hilfe des "intelligenten" Tischs verändert werden. Dabei lassen sich auch bewegte Szenen mit Fußgängern, Radfahrern und Autos sowie dazugehörige Klanglandschaften einbeziehen. Zum direkten Vergleich mit der Realität lässt sich das Zelt auch an der Seite öffnen. "Die Leute können dabei direkt vor Ort mit ihren Vorstellungen spielen und sehen, was dabei herauskommen würde", so Zettl.

Im Zentrum des Zelts steht der Color-Table, ein runder Tisch, über den sich mit Hilfe von Bausteinen mit unterschiedlichen Farben und Formen auf einer physischen Karte des Areals virtuelle Bauten konstruieren lassen. Die Objekte lassen sich auch mit Soundfiles verknüpfen, die eine entsprechende Geräuschkulisse simulieren.

Partizipation von Bürgern gelungen

Unter dem Tisch steht ein Rechner, über dem Tisch hängen zwei Projektoren, die die Szene gegen einen Hintergrund rendern und auf eine Leinwand strahlen. "Ursprünglich wollten wir direkt auf ein halbtransparentes Fliegengitter projizieren, so dass man dahinter die Landschaft sieht. Das ist aber aufgrund des schlechten Kontrasts gescheitert, und wir arbeiten jetzt vorwiegend mit Leinwänden und Panoramabildern. So können wir die gleiche Szene auch von unterschiedlichen Blickpunkten einbinden", erklärte Valerie Maquil von der TU Wien.

Das Projekt wurde in den französischen Städten Paris und Cergy-Pontoise sowie auf dem Wiener Brunnenmarkt ausprobiert. "Es nahmen dabei etwa acht Leute an zwei Tagen teil, die sich zusammen überlegt haben, was man mit einem bestimmten Gebiet machen kann", so Maquil. "Für die Architekten war die Situation eher ungewohnt, und die Modelle waren ihnen nicht präzise genug. Die beteiligten Bürger waren jedoch begeistert und haben sich wirklich eingebracht."

"Die Architekten sind im Bezug auf Simulationen anderes gewohnt. In dieser Hinsicht lässt sich das Werkzeug sicherlich noch weiterentwickeln. Es ging dabei aber vor allem um eine neue Stufe von Sinnlichkeit, wie man mit Planung umgehen kann - und da ist das Anfassen von Bauklötzchen, also haptische Beteiligung, ein interessanter Zugang", ergänzte Zettl.

Multitouch-Wand in Helsinki

Das "Mixed Reality"-Zelt hat sich in seinen Ansätzen aus Sicht der Beteiligten durchaus bewährt, muss jedoch noch weiter verbessert werden. Andere Projekte aus dem Forschungsförderungsprogramm wie eine riesige "City Wall" in Helsinki wurden dagegen schon umgesetzt. Im Zentrum der finnischen Hauptstadt befindet sich seit Oktober 2008 eine Multitouch-Plakatwand, auf der man Fotos hochladen, verschieben und platzieren kann. Zudem werden Fotos und Videos, die mit den Tags "Helsinki" oder "cwhki" versehen sind, automatisch ins System implementiert.

"Natürlich ist es auch gut, wenn durch unsere Forschungsarbeit kommerzielle Produkte entstehen. Das Projekt soll auch den europäischen Wirtschaftsraum ankurbeln", sagte Zettl. Ob sich also auch die Projekte "City Tales" und das "Mixed Reality"-Zelt ohne Forschungsrahmen umsetzen lassen, bleibt abzuwarten. Einen ersten, positiven Eindruck, wie sich Lebensraum mit neuen Technologien bereichern lässt, konnten sie allemal vermitteln.

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(futurezone/Barbara Wimmer)