Justizministerium begrüßt Malmström-Vorstoß
Das Justizministerium hat am Montag den Vorstoß von EU-Justizkommissarin Cecilia Malmström zur verpflichtenden Einrichtung von Internet-Sperren unter Vorbehalten begrüßt. Uneinigkeit scheint dagegen in der Kommission selbst zu herrschen. Während sich die für die Digitale Agenda zuständige Neelie Kroes für den Plan aussprach, wollte Grundrechtekommissarin Viviane Reding noch keinen Kommentar abgeben.
EU-Justizkommissarin Malmström stellte am Montag ihren Maßnahmenkatalog gegen sexuellen Kindesmissbrauch vor. Darin enthalten ist auch der Vorschlag, dass die EU-Mitgliedsstaaten den Zugang zu Websites mit Kinderpornografie sperren müssten. "Da es sehr schwierig ist, diese Inhalte an der Quelle zu entfernen, insbesondere wenn sie von Servern außerhalb der EU verbreitet werden, ist im Vorschlag vorgesehen, den Mitgliedsstaaten freizustellen, in welcher Form die Sperrung erfolgen soll; rechtliche Bestimmungen werden jedoch in jedem Fall angewandt", hieß es in der Mitteilung der Kommissarin. Die Sperren sollen auf Kinderporno-Inhalte und ausschließlich auf Websites beschränkt sein.
Außerdem soll europaweit das Strafrecht angepasst und auch die Online-Kontaktaufnahme mit Kindern zu Zwecken sexueller Ausbeutung ("Grooming") unter Strafe gestellt werden. Der Vorschlag muss im EU-Parlament und im Ministerrat erörtert werden, bevor er in eine entsprechende Richtlinie umgesetzt werden kann. Nach dem Vertrag von Lissabon kann ein einziges Land nun nicht mehr im Ministerrat die Umsetzung einer Richtlinie blockieren, es reicht die einfache Mehrheit der Vertreter. Die neue Richtlinie umfasst auch andere Regelungen gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung und soll eine entsprechende Rahmenrichtlinie von 2002 ersetzen.
Kroes dafür, Reding wartet ab
Auf Anfrage von ORF.at begrüßte Jonathan Todd, Sprecher der für die Digitale Agenda der EU zuständigen Kommissarin Kroes, Malmströms Initiative. Kroes unterstütze den Vorschlag vollinhaltlich, so Todd. Matthew Newman, Sprecher von EU-Grundrechtekommissarin Reding, gab gegenüber ORF.at zu Protokoll, dass Reding zu dem Plan keinen Kommentar abgeben wolle.
Zustimmung aus dem Justizministerium
Paul Hefelle, Sprecher von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, begrüßte auf Anfrage von ORF.at am Montag Malmströms Vorstoß. Er kenne den Vorschlag der Richtlinie noch nicht im Detail, es dürfe aber "keine Denkverbote" im Kampf gegen Kinderpornografie geben. "Wir sind dankbar für den Vorstoß", so Hefelle. "Wir waren immer der Ansicht, dass es wirkungsvolle Instrumente für den Kampf gegen die Kinderpornografie geben muss. Es ist aber auch nicht gesagt, dass es Sperren geben muss. Die Instrumente müssen wirkungsvoll sein." Man werde mit Polizei und Providern sprechen und eruieren, welche Maßnahmen zu treffen seien.
Zu welcher der beiden von Malmström vorgesehenen Optionen das Justizministerium tendiere - einer Art Selbstregulation durch die Provider oder einer von staatlichen Behörden geführten Sperrliste -, konnte Hefelle noch nicht sagen. Einen Aspekt von Malmströms Initiative hat die Regierung im Rahmen des zweiten Gewaltschutzpakets ohnehin schon vorweggenommen: Dass der bewusste Konsum von Kinderporno-Inhalten strafbar sein soll, wie das in Österreich bereits der Fall ist, fordert die EU-Kommissarin für die ganze Union. "Wir sind hier stolz auf unsere Vorreiterrolle", so Hefelle.
Provider: "Keine technische Lösung"
Andreas Wildberger, Generalsekretär des österreichischen Providerverbands ISPA, sieht den Malmström-Vorstoß als "Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit". Die Politik verlange von den Providern die Lösung eines Problems, das in Wirklichkeit gar nicht technischer Natur sei: "Gegen Missbrauch helfen Netzsperren nicht." Wildberger stößt sich an "ungenauen und schwammigen Formulierungen" in Malmströms Vorschlägen.
Wildberger zeigte sich verärgert über die Prioritätensetzung der Politik: "Die meisten Kinderporno-Inhalte werden in den USA gehostet. Wenn die USA genauso viel Energie in die Verfolgung der Täter stecken würden wie in die Verhandlungen um das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA, dann würde die Situation gleich ganz anders aussehen."
Zahlen für Österreich
Die im Verband ISPA organisierten österreichischen Internet-Provider unterhalten schon seit 1998 das Selbstkontrollprojekt Stopline. Stopline bietet eine Anlaufstelle, bei der Nutzer Kinderpornos und Inhalte melden können, die unter NS-Wiederbetätigung laufen. Im Rahmen der Stopline-Initiative arbeiten die Provider mit der heimischen Polizei und einem internationalen Netzwerk vergleichbarer Meldestellen namens INHOPE zusammen. Ziel ist es, die illegalen Inhalte aus dem Netz löschen zu lassen. Bis einschließlich Februar 2010 stellten sich bei Stopline 35 Meldungen wegen NS-Wiederbetätigung und 236 Meldungen wegen Kinderpornografie als zutreffend heraus.
2009 waren insgesamt 956 zutreffende Mitteilungen über Kinderpornografie bei der Stopline eingegangen. Die illegalen Inhalte sind zum überwiegenden Teil in den USA gehostet, auch Russland, Spanien, Kroatien und Japan zählen zu den meistgenannten mutmaßlichen Herkunftsländern laut Stopline-Bericht 2009.
Kritik am Verfahren
Die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger äußerte in einer Aussendung vom Montag scharfe Kritik an Malmströms Netzsperrplänen. "Deutschland hat den 'falschen Dampfer' Internet-Sperren fluchartig verlassen - und Malmström will jetzt aufspringen. Nach den positiven Hearings der KommissarInnen fallen jetzt die Masken", so Lichtenberger. Die Grünen unterstützten jede sinnvolle Initiative gegen Kindesmissbrauch.
Web-Sperren seien aber eine sinnlose Maßnahme. Es bestehe die Gefahr, dass damit ein "unkontrollierbares System für Zensur" geschaffen werde, das geeignet sei, "die freie Nutzung des Internets und das Vertrauen der Bevölkerung in die offene Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen". Lichtenberger sieht die Gefahr, dass hiermit ein staatliches Zensursystem etabliert werde, "das je nach Ausgestaltung allein in den Händen der Provider oder der Polizei liegt". Lichtenberger kündigte an, die Vorschreibung von Internet-Sperren durch die EU verhindern zu wollen.
Auch der EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser (Liste Martin) wandte sich gegen Malmströms Vorschlag: "Wenn Europa Zensurinfrastruktur aufbaut, wird sie auch auf andere Bereiche anwendbar sein. Es kursieren bereits jetzt Ratspapiere, in denen Internet-Sperren auch bei Copyright-Verletzungen vorgeschlagen werden."
Zustimmung signalisierte dagegen der Vizechef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber. "Der Vorschlag der EU-Kommission ist ausgewogen", sagte Weber. Die EVP hat 265 von 736 Sitzen und ist mit Abstand die größte Fraktion im EU-Parlament.
In Deutschland gescheitert
Die deutsche Regierung reagierte zurückhaltend auf den Vorstoß der EU-Kommission. "Die Bundesregierung geht ausdrücklich einen Schritt weiter, indem sie auf eine Löschung hinarbeitet statt auf eine Sperrung", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Montag in Berlin. "Ich glaube, dass man mit weitergehenden Regelungen EU-Recht relativ automatisch erfüllt." Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer gesetzlichen Regelung zur Löschung von Websites mit kinderpornografischem Inhalt.
In Deutschland war ein entsprechender Vorstoß zur Einrichtung einer geheimen Sperrliste, die vom Bundeskriminalamt (BKA) hätte verwaltet werden sollen, nach der Regierungsbeteiligung der FDP auf Eis gelegt worden. Auch die oppositionelle SPD hat sich mittlerweile gegen den von ihr ursprünglich mitverfochtenen Plan gewandt.
Kritiker für mehr Polizeikooperation
Der deutsche Bürgerrechtler Alvar Freude, der sich im Rahmen des Arbeitskreises (AK) Zensur gegen die Internet-Sperren in Deutschland starkgemacht hatte, hat derzeit ein Deja-vu-Erlebnis. "Solche Blockaden im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet sind schlicht Unfug und kontraproduktiv, daher verwundert mich der Vorstoß durchaus stark", sagte Freude am Montag gegenüber ORF.at.
Freude plädiert abermals für die Formel "Löschen statt sperren": "Generell muss es darum gehen, Abbildungen von sexuellem Kindesmissbrauch aus dem Internet zu entfernen und die Täter zu verfolgen, statt diese Inhalte zu verstecken und die Täter damit zu schützen. Internet-Sperren sind Unfug, denn das Löschen der Dateien ist weltweit möglich. Die Strafverfolgung der Täter muss im Sinne der Opfer vorangetrieben werden. Die Webseiten auf den bisher bekanntgewordenen Sperrlisten kommen ausschließlich aus den Ländern, welche die UNO-Kinderrechtskonvention unterzeichnet haben - im Wesentlichen aus den USA und Westeuropa einschließlich Deutschland."
(futurezone/Günter Hack/dpa)