© Bild: Daniel Seiffert, re-publica, Creative Commons Lizenz, Attribution 2.0 Generic, re-publica

Re:publica: Im digitalen Hier und Jetzt

KONFERENZ
14.04.2010

Auf der Berliner Social-Media-Konferenz re:publica, die heuer unter dem Motto "nowHere" steht, werden soziale Medien und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft sowie Fragen der Netzpolitik verhandelt. Zum Auftakt machte sich der US-Autor und Blogger Jeff Jarvis für mehr Offenheit im Netz stark.

Schon Mittwochfrüh sammelten sich vor den re:publica-Schaltern im Berliner Friedrichstadtpalast Menschentrauben. Insgesamt 2.500 Besucher erwarten die Veranstalter der Social-Media-Konferenz, die heuer bereits zum vierten Mal stattfindet, in den kommenden drei Tagen. 165 Veranstaltungen mit 265 Rednern aus rund 30 Nationen werden noch bis Freitag in Berlin Mitte über die Bühne gehen.

Die re:publica findet noch bis Freitag an verschiedenen Veranstaltungsorten in Berlin Mitte statt. Livestreams von Vorträgen und Diskussionen können über die Website der Konferenz abgerufen werden.

"Man kann uns nicht mehr zu viel Selbstreferenzialität vorwerfen, wir bringen die globale digitale Revolution auf die Bühne", sagte Netzpolitik.org-Blogger und re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl bei der Eröffnung der Konferenz.

"Auf Permanenz ausgerichtet"

Zur Einstimmung spannte der Autor und Journalist Peter Glaser einen historischen Bogen von der Frühzeit des Radios bis zur Echtzeitkommunikation im Zeichen von Twitter und Facebook: "Sämtliche Medien sind heute auf Permanenz ausgerichtet", konstatierte Glaser, "der digitale Medienfluss verwandelt sich in eine Umweltbedingung."

Im Netz entstehe durch Twitter-Telegramme und Facebook-Statusmeldungen eine "neue Dimension des Durcheinanders", die ganze Welt sei in diese "Globalisierung der Unaufgeräumtheit" eingebunden, sagte Glaser.

"Brückentechnologien" gesucht

Soziale Medien nur als Nachrichtenumschlagplatz zu betrachten, greife zu kurz: "Wir leben heute in unseren Medien." Damit jedoch alle Menschen und nicht nur der wohlhabende, technologisch avancierte Teil der Menschheit am technologischen Fortschritt teilhaben könnten, bedürfe es jedoch "Brückentechnologien". Als Beispiel nannte Glaser das Projekt "22POP" zweier Mailänder Designstudenten, die eine alte Olivetti-Schreibmaschine so umrüsteten, dass damit auch E-Mails verschickt werden können.

Verklärte "Twitter-Revolution"

Im Anschluss kritisierte der Journalist und Aktivist Evgeny Morozov die romantische Verklärung, mit der westliche Medien Dienste wie Twitter und Facebook zum demokratischen Heilsbringer in totalitären Regimen hochstilisieren. Schlagwörter wie jenes der "Twitter-Revolution", das im Zusammenhang mit den Protesten im Iran im vergangenen Sommer inflationär gehandelt wurde, sollten zu denken geben, meinte Morozov. "Wir wissen heute kaum etwas über die Rolle, die Technologien in Bezug auf die Verbreitung von Demokratie spielen."

Morozow mahnte eine analytische Auseinandersetzung mit dem Thema ein: Statt auf kurzfristige Proteste zu fokussieren, sollten langfristige Auswirkungen untersucht werden.

Soziale Medien könnten von totalitären Regimen durchaus für ihre Zwecke genutzt werden. Das Spektrum reiche vom Vortäuschen von Transparenz über Regierungspropaganda in Blogs bis hin zum Datamining im digitalen Beziehungsgeflecht: "Die in sozialen Medien produzierten Daten liefern eine Menge Spuren."

"Der Wert der Öffentlichkeit"

Für den unterhaltsamen Teil des Tages sorgte der US-Journalismusprofessor, Autor ("What Would Google Do") und Blogger (Buzzmachine) Jeff Jarvis. In seinem mit viel Verve gehaltenen Vortrag, der "Privatsphäre, Öffentlichkeit und Penisse" zum Thema hatte, machte sich Jarvis für mehr Offenheit im Internet stark und wunderte sich über das "deutsche Paradox" in Bezug auf das Private: Während viele Deutsche kein Problem damit hätten, ihre "intimsten Teile" in der gemischten Sauna zur Schau zu stellen, werde die Privatsphäre in anderen Bereichen permanent thematisiert, so Jarvis unter Verweis auf die Kritik an Googles Street View und dem Sozialen Netzwerk Facebook.

Die "Jeff-Jarvis-Show"

Er wolle hingegen über die Vorteile der Öffentlichkeit reden, sagte Jarvis und brachte seine Prostatakrebserkrankung zur Sprache, die auch in seinem Blog Thema war: "Ich habe detailliert über Inkontinenz und Impotenz geschrieben, die mit einer Operation einhergehen", erzählte Jarvis: "Privater kann man nicht werden."

Neben Genesungswünschen habe er auch viele nützliche Tipps von seinen Lesern bekommen. Viele Leute hätten sich - von dem Posting angeregt - auch auf die Krebserkrankung untersuchen lassen, meinte Jarvis.

Grundrechtecharta für das Internet

Mehr Offenheit mahnt der Autor und Blogger auch in seiner Grundrechtecharta für das Internet ein, die er vor kurzem in seinem Blog zur Diskussion stellte. "Was öffentlich ist, ist ein öffentliches Gut", heißt es dort. Der Versuch, die Definition der Öffentlichkeit zu beschränken und Öffentliches als privat oder geheim zu deklarieren, unterstütze hingegen Korruption und Tyrannei.

Einschränkungen bei den Straßenaufnahmen zu Googles Street View könnten auch dazu führen, dass andere Fotos aus der Öffentlichkeit untersagt werden, gab Jarvis zu bedenken. Die Standardeinstellung im Internet sollte öffentlich sein, forderte Jarvis. Das Problem sei nicht die Privatsphäre, sondern die Kontrolle über die Daten, und die dürfe niemandem aus der Hand genommen werden.

Netzneutralität und Open Data

Fragen des Datenschutzes, der Kontrolle des Netzes und der Offenheit von Daten werden auf der re:publica auch in den kommenden Tagen Thema sein. Am Donnerstag findet eine Subkonferenz zum Thema Netzneutralität statt, am Freitag gibt es einen Schwerpunkt zu Open Data und Open Government.

(futurezone/Patrick Dax)