ACTA: Offizieller Entwurf veröffentlicht
Die Unterhändler des internationalen Anti-Piraterie-Abkommens ACTA haben nach drei Jahren Verhandlungen hinter verschlossenen Türen erstmals einen konsolidierten Text veröffentlicht, der den Stand der Dinge wiedergibt. Speziell das Internet-Kapitel ist noch stark umstritten. Die Grünen üben scharfe Kritik an dem Entwurf. Bürgerrechtler und Konsumentenschützer wollen weiter gegen das Abkommen kämpfen.
Die EU-Kommission und die anderen Verhandlungspartner um das umstrittene Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) haben am Mittwoch erstmals ein belastbares Dokument veröffentlicht. Die Unterhändler hatten sich bei der achten ACTA-Verhandlungsrunde in Neuseeland in der vergangenen Woche darauf geeinigt, den Text zu veröffentlichen, nachdem das EU-Parlament und zahlreiche Bürgerrechts- und Konsumentenschutzorganisationen sie mehrmals dazu auffordern mussten.
Anders als bei einem durchgesickerten Dokument, das die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net im März veröffentlicht hatte, gehen die Positionen der einzelnen Delegationen nicht aus dem Dokument hervor. Bei der ersten Durchsicht wird schnell klar, dass in dem Abkommen noch zahlreiche Punkte umstritten sind, schließlich dürfte es nicht einfach sein, die Interessen und Rechtsauffassungen von Ländern wie den USA, Mexiko oder der Schweiz in Übereinstimmung zu bringen. Ob die Verhandler, wie offiziell beabsichtigt, dazu in der Lage sein werden, das Abkommen noch im laufenden Jahr abzuschließen, darf daher bezweifelt werden. In dem Dokument wimmelt es von umstrittenen Passagen, die in eckige Klammern gesetzt sind, und verschiedenen Optionen für einzelne Punkte.
IPod-Kontrollen an Grenzen
Eine der im Vorfeld stark umstrittenen Regelungen in ACTA steht allerdings offenbar nicht mehr zur Debatte. Obwohl die EU-Kommission immer wieder betont hat, dass es eine "De Minimis"-Klausel gebe, die Reisende und privat versandte Pakete davor bewahren solle, dass Zöllner etwa ihre Notebooks und iPods nach unlizenziert kopierten Mediendateien durchsuchen, ist diese Klausel im veröffentlichten Dokument zwar vorhanden, aber durch ein "may" abgeschwächt (Seite 10, Artikel 2.X). Das heißt: Die Unterzeichnerstaaten können solche Kontrollen einsetzen, wenn sie möchten, sie sind aber auch nicht dazu verpflichtet.
Abschnitt (Section) 4 des Entwurfs befasst sich mit dem Internet. Hier gibt es noch so viele umstrittene Passagen und Alternativvorschläge, dass es schwierig ist, einzelne Positionen auszumachen. Auch zahlreiche Definitionen sind noch umstritten, beispielsweise jene der "Person", also der Entitäten, die Urheberrechtsverletzungen begehen. Umstritten ist (Seite 21, Option 2 für Paragraf 3), ob die Unterzeichnerstaaten die Provider von einer Pflicht, den Datenverkehr in ihren Netzen permanent zu überwachen, freistellen sollen. Die Rechteinhaber werden insofern begünstigt, als dass nirgends genau definiert ist, welche Beweise sie vorbringen müssen, damit die von ihnen inkriminierten Daten von den Providern gelöscht werden. "Valid reasons" sollen hier reichen (Seite 21, Option 2 für Paragraf 3 ter.), um vom Provider die Identität seines Kunden anfordern zu können.
Umstrittener Schutz für DRM-Systeme
Die Verantwortlichkeit der Provider für die Inhalte, die in ihren Netzen transportiert werden, steht weiterhin im Raum, allerdings gehen hier die Vorschläge so weit auseinander, dass nicht klar ist, in welche Richtung die Verhandler hier weitergehen werden. Klar ist nur, dass es "schnell wirksame Maßnahmen" gegen Piraterie via Internet geben soll, sowie Maßnahmen, die davon abschrecken sollen, dass weitere Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Ob diese Maßnahmen "fair und angemessen" sein sollen, wie in Abschnitt 2 vorgeschlagen, ist noch umstritten. In Option 2 für den wichtigen Abschnitt 3 ist davon die Rede, dass die Provider nicht lizenziertes Material löschen oder den Zugang dazu sperren müssen, wenn sie davon Kenntnis erlangen.
In einem Zeitalter, in dem klar sein dürfte, dass Digital Rights Management als Geschäftsmodell gründlich gescheitert ist, mutet der vorgeschlagene Abschnitt 4 des Entwurfs leicht antiquiert an. Hier wird, wie der kanadische Copyright-Experte Michael Geist schon mehrmals festgestellt hat, das US-amerikanische Verbot der Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen vorgeschlagen. In den Fußnoten steht allerdings, dass dieser Abschnitt umstritten ist. Mindestens eine Verhandlungspartei habe "Vorbehalte" gegen mehrere der Bestimmungen.
Was in dem Dokument nach einer ersten Analyse aber fehlt, sind klare Bestimmungen zum Schutz der Nutzer und der Öffentlichkeit, beispielsweise Fair-Use-Klauseln, die garantieren, dass auch Copyright-bewehrte Dokumente veröffentlicht werden dürfen, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Die EU-Kommission hat am vergangenen Freitag zu Protokoll gegeben, dass die ACTA-Bestimmungen nicht über EU-Recht hinausgehen sollen. Die Verantwortlichkeit der Provider für die Inhalte in ihren Netzen wäre ein solcher Punkt. Handelskommissar Karel de Gucht versichert, dass ACTA die Bürgerrechte nicht weiter einschränken werde. Dass die Unterhändler nun endlich einen Entwurf freigegeben haben, über den öffentlich diskutiert werden kann, darf als Sieg des EU-Parlaments und der zahlreichen Bürgerrechts- und Konsumentenschutzorganisationen gewertet werden, die für die Offenlegung des Texts gekämpft haben.
Grüne fordern neues Mandat
Zu den ACTA-Skeptikern zählt auch die Grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger. Die EU-Kommission sei vier Monate nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ihren Pflichten gegenüber dem Parlament nachgekommen, so die stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion in einer Mitteilung vom Mittwoch. Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso müsse von nun an dafür sorgen, dass alle ACTA-Dokumente veröffentlicht werden. Lichtenberger fordert, dem Parlament und dem Rat ein neues Verhandlungsmandat vorzulegen, um die Ziele der EU in den Verhandlungen zu verdeutlichen.
Weiters kritisiert Lichtenberger, dass im Text noch Bestandteile vorhanden seien, die das EU-Parlament in seiner Resolution vom März mit großer Mehrheit abgelehnt hat. Das Abkommen solle auf reine Produktpirateriebekämpfung beschränkt werden. Lichtenberger: "Wir sind daher erschrocken, dass auch nach der letzten Verhandlungsrunde ein Internetkapitel zur Urheberrechtsdurchsetzung im Abkommen enthalten ist und fordern die EU-Kommission auf, den Forderungen des EU-Parlaments nachzukommen."
Die lange unter Ausschluss der Volksvertretungen und der kritischen Öffentlichkeit geführten Verhandlungen stellten einen "herben Schlag gegen den Multilateralismus dar", so Lichtenberger, eine "Koalition der Willigen" habe versucht, die internationalen Institutionen wie WTO oder WIPO zu umgehen und damit eine Mehrzahl der Staaten auszuschließen. Lichtenberger: "Es ist äußerst bedenklich, dass zwar einerseits immer wieder auf die Grundregeln des freien Marktes verwiesen wird, aber in Fällen wie ACTA nach eigenem Belieben davon abweichende Regelungen getroffen werden." Die EU-Kommission solle ACTA "deutlich beschränken", andernfalls werde es keine Zustimmung im EU-Parlament geben.
ÖVP vorerst zufrieden
Für die ÖVP zeigte sich die Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger zunächst zufrieden: "Mit der heutigen Veröffentlichung des Verhandlungsstandes über das ACTA-Abkommen zur Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie kommen die EU-Kommission und die beteiligten Staaten endlich der Forderung des Europäischen Parlaments nach mehr Transparenz nach." Verpflichtende Internet-Sperren nach wiederholten Urheberrechtsverletzungen sieht sie damit ebenso vom Tisch wie Grenzkontrollen von elektronischen Datenträgern. Den Schutz der Privatsphäre sowie den Datenschutz sieht Köstinger "innerhalb der EU als gesichert".
Auch Köstinger fordert, dass die ACTA-Verhandlungen weiterhin transparent bleiben müssten, auch die EVP-Fraktion bleibe wachsam, so die Europaabgeordnete.
Bürgerrechtler: Transparenz schafft keine Legitimität
Die französische Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net, die im März den ersten durchgesickerten konsolidierten Text des Abkommens veröffentlicht hatte, sieht die Veröffentlichung des Dokuments als "wichtige erste Etappe" für die Opposition gegen das aus ihrer Sicht "illegitime Abkommen". Es komme nun darauf an, die internationale Arbeit von Konsumentenschützern und Bürgerrechtlern gegen das Abkommen zu bündeln. "Die Veröffentlichung des Textes verleiht dem Inhalt von ACTA keinerlei Legitimität und die Transparenz rechtfertigt nicht die Umgehung der demokratischen Entscheidungsprozesse", so Jeremie Zimmermann, Sprecher der Initiative.
Der Transatlantische Konsumenten-Dialog (TACD), eine Organisation europäischer und US-amerikanischer Konsumentenschützer, hat in einer ersten Stellungnahme vom Mittwoch gefordert, dass die ACTA-Definition von Produktfälschung auf jene beschränkt werden müsse, wie sie bereits in internationalen Abkommen wie TRIPS festgelegt sei. ACTA solle weder Copyright-Fragen noch Patentkonflikte beinhalten. Weiters sei die Definition von Urheberrechtsverletzungen "in kommerziellem Maßstab" noch zu vage und könne auch private Filesharer erfassen. Hier müssten die Verhandler noch Klarheit schaffen. Die Verantwortlichkeit der Provider für Inhalte in ihren Netzen sowie Einschränkungen der Netzneutralität und Abschalten der Internet-Verbindungen von Nutzern auf Zuruf der Medienindustrie ohne vorherige Gerichtsverhandlung lehnt der TACD ab.