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Social Web: Am Anfang war der Link

SOZIALES NETZ
24.04.2010

Der Link, der verschiedene Informations- und Kommunikationsobjekte miteinander verbindet und vernetzt, steht am Anfang des World Wide Web. Er ist das Kernelement und damit die Basis des Informationsmanagements im Web. Die neue Ordnung im Netz entsteht aus dem Link. Teil vier der futurezone.ORF.at-Serie über das Soziale Netz.

Suchmaschinen wie Google berücksichtigen bei der Gewichtung der Suchergebnisse, wie oft eine Website verlinkt wurde. Der Link wird somit als Empfehlung gewertet. Websites mit vielen Links sind demnach relevant und verfügen über eine gewisse Reputation. Links können auch das Rezeptionsverhalten der Nutzer direkt wiedergeben: In Form sogenannter Trackbacks spielen Links bei Blogs eine wichtige Resonanzfunktion. Mit einem Trackback benachrichtigt das Blog-System eines Bloggers einen anderen Blogger, dass er einen seiner Beiträge verlinkt und kommentiert hat.

Dafür trägt das Blog-System den verwendeten Link in das Ping-System ein. Der Ping-Server informiert das Blog des kommentierten Beitrags über den Link, der Trackback-Link genannt wird. Ein Auszug aus dem Beitrag, der Kommentar und Link enthält, wird außerdem unterhalb des kommentierten Beitrags veröffentlicht. Trackbacks haben Empfehlungscharakter und erhöhen die Reputation eines Blogs – unter anderem ziehen auch Suchmaschinen sie zur Bewertung eines Blogs heran. Auf diese Weise entsteht eine neue Link-Infrastruktur, die in gewisser Weise auch Soziale Netzwerke abbildet.

Zur Person:

Christiane Schulzki-Haddouti ist freie IT- und Medien-Journalistin. Sie war von 2007 bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Darmstadt, um die Innovations- und Technikanalyse "Kooperative Technologien in Arbeit, Ausbildung und Zivilgesellschaft (kooptech)" zu erstellen.

Die futurezone.ORF.at-Serie "Soziales Web" wird unter dieser Adresse gesammelt.

Listen, Referrer und Reputation

Auch Statistiksysteme geben Aufschluss über die Resonanz eines Angebots. So etwa über die Anzahl der Besucher, die Referrer, die auf die besuchte Seite verlinkt haben, oder über Suchtermini, über die die besuchte Seite gefunden wurde. Damit können Betreiber von Angeboten feststellen, welche Resonanz sie mit bestimmten Inhalten erzielen und somit besser auf ihr Publikum eingehen. Insbesondere die Vernetzung von Blogs basiert auch auf der Referrer-Analyse, da sie neben Backlinks darauf aufmerksam macht, wer auf einen Beitrag verlinkt hat oder wie ein Besucher das Blog gefunden hat.

Eine andere Resonanzform sind Link-Listen, die anzeigen, welche Inhalte auf welche Weise wie oft genutzt werden. Das sind bei Nachrichtenportalen etwa Listen mit den "meistgelesenen Nachrichten" und den "meistkommentierten Artikeln", bei Einkaufsportalen wiederum Listen mit den "meistgekauften Produkten" und bei Musikportalen Playlists mit "meistgespielten Songs".

Ordnung Tag für Tag

Während Web-Inhalte anfangs nur einfach verlinkt waren, erfuhren sie zunehmend eine höhere Bewertung durch die persönliche Einordnung über Schlagwörter, die Nutzer ihnen zuordnen. Wie die Empfehlungen etwa bei Amazon entstehen sie nebenbei, aus dem Agieren des Nutzers. Das Schlagwort bzw. der Tag ist kein Kommentar, den der Nutzer bewusst hinzufügt bzw. publiziert, sondern zunächst eine Funktion, ein Ordnungskriterium, das der Nutzer wählt, um Informationen wiederfinden zu können.

Obwohl der Tag praktisch "im Vorübergehen" gesetzt wird, übernimmt er eine wichtige Orientierungsfunktion. So fügt der Nutzer etwa beim Speichern einer Website, eines Bildes oder eines Musikstücks für ihn passende Schlagwörter wie "Romantik" oder "Street Photography" hinzu, um später alle seine Einträge, die er mit diesen Begriffen bezeichnet hat, über den mit dem jeweiligen Schlagwort verbundenen Link auf einen Klick wiederfinden zu können. Der Tag ist somit gleichzeitig auch ein Link auf die Inhalte.

Mensch ergänzt Maschine

Da kein automatisierter Mechanismus den Begriff aus den Inhalten ableiten muss, sondern der Begriff durch den Nutzer einer Information zugeordnet wird, lassen sich beliebig verschiedene Informationen bezeichnen und einordnen. Ob Texte, Bilder, Musik oder Programme, alles lässt sich bezeichnen und damit auch wiederfinden. So setzt sich das Tagging besonders bei Inhalten wie Bildern und Musik durch, die bisher durch gängige Suchprogramme nur unzureichend erschlossen waren.

Rund um das Tagging bzw. das Verschlagworten von Online-Quellen ließen sich Designer neue Präsentationsformen einfallen. So können Tags in herkömmlichen, alphabetisch sortierten Listen angezeigt werden oder auch in einer intuitiv erschließbaren "Wortwolke" (Tagcloud), in der ein viel benutzter Begriff in größeren Lettern dargestellt wird als ein selten verwendeter. Ein Klick auf einen Tag kann jedoch nicht nur die eigenen, unter dem Begriff gespeicherten Daten anzeigen, sondern alle Daten, die andere Nutzer des Systems ebenfalls unter diesem Begriff gespeichert haben. Darüber lassen sich dann auch, wie etwa bei der Fototauschplattform Flickr.com, Erkenntnisgewinne erzielen und Interessensgruppen organisieren.

Tags vs. Semantic Web

Auf diese Weise entsteht ein verteiltes Klassifikationssystem. Weil die benutzten Begriffe oftmals höchst individuell sind und sich nicht an die Standards gebräuchlicher Thesauri oder Ontologien halten, prägten Experten dafür den Begriff der "folksonomy" -, eine Sprachspielerei aus den Begriffen "folk" und "taxonomy".

Einige Zeit lang wurde kritisiert, dass den Tags die Systematik und Präzision der Ontologien im semantischen Web fehle, das letztlich auch Grundlage für ein maschinelles Verstehen bereitstellen müsse. Gleichwohl verlief der Aufbau des semantischen Webs aufgrund der hohen Investitionskosten zur Erstellung semantisch markierter digitaler Inhalte schleppend. So sind derzeit weniger als ein Prozent der weltweit im Internet verfügbaren Inhalte im Sinne des semantischen Webs aufbereitet. Eine Vision besteht deshalb darin, die Ontologien des semantischen Webs mit dem nutzerbasierten Tagging zu verknüpfen.

Maschine ergänzt Mensch

Eine Alternative besteht jedoch darin, die Vergabe von Tags über Präzedenz zu steuern. Um die Gefahr zu minimieren, dass zahlreiche individuelle Begriffsinseln entstehen, kombiniert etwa der Social-Bookmark-Dienst Del.icio.us das Tagging mit einer Auswertung des Nutzungsverhaltens. Er empfiehlt eine Reihe von Tags, die auf dem Klassifizierungsverhalten des Einzelnen ("Recommended") sowie eine Reihe von Tags, die mehrheitlich von den meisten Nutzern genutzt werden ("Popular").

Manche Experten denken daher, dass der semantische Ansatz nicht nur ergänzt, sondern sogar überholt werden könnte. So führt das gemeinsame Taggen zu einem konvergierenden Schlagwortgebrauch und damit zu einer emergenten Semantik. Tagging ermöglicht so ein leichtgewichtiges Wissensmanagement. Es lässt sich gut in die tägliche Arbeit integrieren und verlangt wenig Verwaltungsaufwand. IBM will sein Intranet mit Hilfe von Tags strukturieren, da es so leichter zu warten sein soll.

Digitale (Un-)Ordnung

Die digitalen Taxonomien funktionieren nach anderen Regeln als Taxonomien im analogen Umfeld. Wie der US-amerikanische Wissenschaftler und Philosoph David Weinberger anschaulich zeigt, beruhen viele Bereiche des alltäglichen Lebens und der Arbeit auf realweltlich determinierten Ordnungsprinzipien, die so nicht mehr länger im digitalen Bereich nötig sind. Ein Lexikon zum Beispiel ordnet seine Inhalte in der Regel nach dem Alphabet. Im Internet gibt es jedoch keinen Grund, Einträge in einem digitalen Lexikon alphabetisch zu sortieren, da sie über Suchfunktionen wesentlich schneller gefunden werden können. Es gibt ebenfalls keine Notwendigkeit, die Zahl der Artikel aus Platzgründen zu limitieren.

Auch ein digitales Fotoarchiv unterscheidet sich grundsätzlich von einem herkömmlichen Fotoarchiv. Dieses muss etwa über physikalische Sicherungsmaßnahmen gewährleisten, dass empfindliche Filme nicht zu schnell verderben. Außerdem werden die Bilder über Karteikarten erfasst und beschrieben. Eine Bildsuche kann meist nur von Archivaren erfolgreich durchgeführt werden, die mit dem Klassifikationssystem des Archivs vertraut sind. Nicht selten dauerte eine Suche nach einem bestimmten Bild mehrere Tage. In einem digitalen Fotoarchiv hingegen werden alle Bilder digital gespeichert und mit Schlagwörtern versehen. Die Suche kann über das Informationssystem auch von einem Laien vorgenommen werden und liefert meist schon nach Sekunden, höchstens Minuten brauchbare Resultate.

Die Ordnung der Dinge

Ähnliches ist auch in anderen Bereichen zu beobachten: Ein Kaufhaus ordnet seine Produkte nach dem verfügbaren Raum, nach den Sehgewohnheiten der Kunden sowie nach psychologischen Kriterien an. Ein digitaler Marktplatz hingegen kümmert sich darum, dass die Produkte so beschrieben werden, dass sie über eigene wie fremde Suchfunktionalitäten schnell gefunden werden. Die Folge ist, dass ein Kaufhaus eine Ware meist nur an einer Stelle und in geringer Varianz vorrätig hält.

Ein digitaler Marktplatz hingegen kann über ein Bewertungs- und Empfehlungssystem seiner Nutzer dem gefundenen Produkt "ähnliche" Produkte bzw. Produkte beistellen, die andere Kunden mit einem ähnlichen Konsumprofil gekauft haben. Der Kunde selbst trägt damit zur Orientierung im digitalen Warenlager bei. Der Händler kann außerdem über Kooperationen mit weiteren Händlern Waren anbieten, die er selbst nicht auf Lager haben muss. Auf diese Weise kann er ein sehr breites Warensortiment in seinem Katalog anzeigen.

Logik der Kaufhäuser

Weil der Umgang mit digitalen Objekten ganz anders funktioniert als im analogen Umfeld, entwickeln sich neue Informationsdienstleistungen. Manche Dienste aggregieren und werten nur Metadaten aus, um die entstandenen Informationsfluten für ihre Nutzer auf sinnvolle Weise zu kanalisieren.

Dabei binden sie meist den Nutzer selbst ein, um dem Angebot eine möglichst sinnvolle Struktur zu verleihen. Dienste wie Social Bookmarks, Social News und Preisvergleichsplattformen ermöglichen einen effizienten Umgang mit den Informationsobjekten, indem sie Nutzer diese speichern, bewerten oder kommentieren lassen.

(Christiane Schulzki-Haddouti)