Industrieverbände üben scharfe Kritik an ACTA
Nach der Veröffentlichung des ersten belastbaren Dokuments aus den Verhandlungen über das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) sehen Provider sowie Hightech-Firmen aus EU und USA ihre Geschäftsgrundlagen gefährdet. Die Vorschläge in ACTA gingen weit über geltendes EU-Recht hinaus, es handle sich um einen "aggressiven Export" der restriktivsten Bestimmungen der US-Copyright-Gesetze - ohne Schutzmechanismen für Unternehmen und Konsumenten.
EU-Handelskommissar Karel de Gucht gab wiederholt zu Protokoll, dass das bisher hinter verschlossenen Türen verhandelte Anti-Piraterie-Abkommen nicht über bestehendes EU-Recht hinausgehen werde.
Die betroffenen Internet-Provider und andere Unternehmen sehen das allerdings anders. Das am Mittwoch nach drei Jahren verdeckter Verhandlungen endlich von den ACTA-Unterhändlern veröffentlichte konsolidierte Dokument zeige deutlich, dass mit dem Abkommen "ein zentrales Prinzip für das Funktionieren der Informationsgesellschaft" verletzt werden solle, so eine Stellungnahme des weltgrößten Providerverbands EuroISPA vom Donnerstag.
EU-Recht unterminiert
ACTA würde strafrechtliche Sanktionen für nichtkommerzielle Verstöße gegen Urheberrechtsbestimmungen einführen, so der Verband. Das würde die EU sehr wohl dazu zwingen, das geltende Recht - wie beispielsweise die E-Commerce-Richtlinie - weiter zu verschärfen und die Provider für den Datenverkehr in ihren Netzen verantwortlich machen. "Die ACTA-Verhandlungen schreiben das Recht der EU neu und führen neue Erschwernisse für Handel und Innovation ein und sie bedrohen die Grundrechte der Konsumenten auf Datenschutz und freien Informationsfluss", so der Verband.
Speziell in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation sei es falsch, Arbeitsplätze bei Providern und das Vertrauen der Konsumenten in das Netz zu gefährden, so Malcolm Hutty, Präsident der EuroISPA. Das EU-Parlament habe in seiner Entschließung zu ACTA bereits deutlich gemacht, dass die Verhandlungen nicht über bestehendes europäisches Recht hinausgehen dürften. Der Verband fordert die Kommission daher auf, sich an die demokratischen Entscheidungsprozesse der EU zu halten.
Harter Export von US-Recht nach Europa
Das Mandat für die ACTA-Verhandlungen war der Kommission noch vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vom Ministerrat erteilt worden. Die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger hatte bereits gefordert, das Parlament gemäß dem veränderten Rechtsrahmen über die Erteilung eines neuen Mandats in die Verhandlungen einzubeziehen.
Auch der internationale Branchenverband Computer and Communications Industry Association (CCIA), der unter anderen auch Branchengrößen wie Microsoft, T-Mobile, Oracle, Google, Yahoo, Nvidia und AMD zu seinen Mitgliedern zählt, übt scharfe Kritik an ACTA. "ACTA ist kein Handelsabkommen, sondern ein Anti-Handelsabkommen, das Märkte für US-Unternehmen schließt", so CCIA-Präsident Ed Black in einer Aussendung des Verbands vom Mittwoch, "diejenigen, die ACTA verteidigen, behaupten, dass es die US-Gesetze nicht ändern werde. Aber es exportiert die hinterhältigsten Teile unserer Copyright-Gesetze und würdigt den Konsumentenschutz zur bloßen Option herab."
Kein Schutz für freie Meinungsäußerung
Erika Mann, die das Europa-Büro der CCIA leitet, warnt davor, mit ACTA die Fehler aus dem kläglich gescheiterten Abkommen Multilateral Agreement on Investment (MAI) wiederholen zu wollen. Auch dieses sei an der WTO vorbei verhandelt worden. Die Auswirkungen dieses Vorgehens könnten nicht abgeschätzt werden. Man fordert die EU und die USA auf, die Positionen ihrer Unterhändler, die im konsolidierten Dokument nicht sichtbar gemacht wurden, offenzulegen.
Auch die CCIA sieht die Gefahr von Internet-Sperren wegen Urheberrechtsverletzungen - im Gegensatz zu Aussagen von De Gucht - keineswegs gebannt. ACTA sei ein "aggressiver Export" der härtesten Copyright-Bestimmungen im US-Recht, der Rechteinhabern eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffne, ihren Willen durchzusetzen. Es fehlten aber jegliche Maßnahmen zum Schutz von Konsumenten, Innovation und freier Meinungsäußerung. Das stelle aber gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine Gefahr dar. "Europas Stärke sind die vielen innovativen KMUs", so Mann gegenüber ORF.at, "und gerade diese brauchen Spielräume."
Gefahr für freie Meinungsäußerung
Abseits der Auswirkungen für Provider und Hightech-Firmen könnte das Fehlen von Fair-Use-Bestimmungen in ACTA auch für Journalisten und Blogger gefährlich werden. So könnten beispielsweise Psychosekten die Publikation interner Dokumente im Netz unter Hinweis auf das Urheberrecht - wenn sich die einfachen Take-Down-Regeln in ACTA auch in Europa durchsetzen sollten - ohne lästige Verfahren verhindern. Denn die Reichweite des Abkommens ist weit. Im Entwurf steht immer noch der Vorschlag, dass es "jede Form geistigen Eigentums" betreffen solle.