Die Rückkehr der Internet-Abdreher
Was im EU-Telekompaket nicht durchging, steht am Mittwoch im Rahmen der "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte" wieder auf dem Plan des EU-Parlaments: Provider sollen ihre Kunden überwachen müssen und Abmahnungen zustellen. Verfasserin des neuen Vorstoßes ist die französische EU-Abgeordnete und Sarkozy-Parteigängerin Marielle Gallo (EPP).
Am Mittwoch steht im Justizausschuss (JURI) der Bericht "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte im gemeinsamen Markt" zur Debatte an. Er geht auf eine Aufforderung der EU-Kommission zurück, die das Gemeinschaftsrecht in Sachen geistiges Eigentum auf den neuesten Stand bringen möchte.
Verfasserin ist Marielle Gallo (PPE; Konservative), eine Parteifreundin von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (UMP). Das sagt schon ziemlich viel über diesen Bericht, denn praktisch jeder Bericht mit irgendeinem Bezug zum Internet - letztes Beispiel war das Telekompaket -, der von französischen Konservativen oder britischen Sozialdemokraten verfasst worden war, kam mit denselben Ingredienzien.
Dazu gehören die Überwachungspflicht für Provider für die Inhalte in ihren Netzen, mit "Graduated Response" - also einer Folge von Mahnbriefen. In Frankreich und bald auch in England ist die Konsequenz dann "Three Strikes Out", also die monatelange Trennung ganzer Haushalte vom Internet auf Zuruf der Medienindustrie samt dem Verbot, in dieser Zeit einen anderen Internet-Zugang zu nehmen.
Eben dieses, äußerst umstrittene Modell liegt - ohne die dass die Konsequenzen, nämlich Internetabschaltungen genannt werden - dem Gallo-Bericht zugrunde.
Ein weiterer alter Bekannter im ewig gleichen Repertoire der Internet-Abdreher ist die Überwachungsbehörde nach französischem Vorbild, die erst Warnungen gegen mutmaßliche Rechteverletzer aussprechen und dann Netzabschaltungen verfügen soll.
Tauschbörsen, organisierte Kriminelle
All das steht nun auch - wenn auch zum Teil verklausuliert oder - im Gallo-Bericht, der als Grundlage für eine Richtlinie dienen soll, die strafrechtliche Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen regelt. Die zivilrechtlichen Vorgehensmöglichkeiten wurden - nach sehr kontroversen Diskussionen - bereits 2004 in der als IPRED1 bekanntgewordenen Richtlinie verschärft. Das Problem für die Unterhaltungsindustrie dabei ist aber damals wie heute dasselbe.
Da der unlizenzierte Download von Musikdateien zur privaten Nutzung - anders als das geldwerte In-Umlauf-Bringen von unlizenzierten DVDs bzw. von Produktfälschungen - quer durch Europa eben keine schwere Straftat darstellt, sondern als Ordnungswidrigkeit unter Zivilrecht fällt, wird von den Lobbys der Medienindustrie seit Jahren nichts unversucht gelassen, um Tauschbörsen irgendwie mit organisierter Kriminalität zusammenzubringen.
So auch im Gallo-Bericht, in dem von "bewiesenen Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Urheberrechtsverletzungen, insbesonders Produktfälschung und Produktpiraterie", die Rede ist. Mit Tauschbörsennutzern hat das zwar gar nichts zu tun, doch bloße Logik hat die Lobby der Unterhaltungsindustrie noch nie angefochten.
Filesharer und Produktfälscher
Analog zu den europaweiten TV-Kampagnen, die 2006 unter dem ebenso martialischen wie sachlich falschen Slogan "Raubkopierer sind Verbrecher" liefen, sollen Tauschbörsennutzer Produktfälschern gleichgesetzt werden.
Der auf Druck der Europaparlamentarier von der EU-Kommission in der vergangenen Woche offengelegte Zwischenstand des bis dahin geheim ausgehandelten Anti-Piraterie-Abkommens ACTA zeigt schwer übersehbare Parallelen. Hier wie dort wird ein internationale Überwachungsagentur eingefordert, auch die Überwachungspflicht für Internet-Provider soll mit dem Abkommen verpflichtend werden, und natürlich harmonieren auch beide Dokumente mit den neuen Internet-Sperrgesetzen, die in Frankreich und jüngst auch in Großbritannien verabschiedet wurden. Im Berichtsentwurf steht daher auch, dass die EU die ACTA-Verhandlungen weiter vorantreiben solle.
Wirtschaft gegen ACTA
Sowohl der Providerverband EuroISPA wie auch die internationale Computer and Communications Industry Association (CCIA), der unter anderem auch Größen wie Microsoft, T-Mobile, Oracle, Google und Yahoo angehören, übten scharfe Kritik an ACTA. ACTA sei kein Handelsabkommen, sondern ein Anti-Handelsabkommen, das Märkte für US-Unternehmen schließe, "die hinterhältigsten Teile" der US-Copyright-Gesetze würden exportiert, Konsumentenschutz werde zur bloßen Option herabgewürdigt.
Zahlreiche Änderungsvorschläge
"Wir haben ja versucht, Frau Gallo das auszureden. Sie macht aber nicht den Eindruck, als hätte sie es zur Kenntnis genommen", so die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger im Gespräch mit ORF.at. Die Zahl der Änderungsvorschläge zum Gallo-Bericht spricht Bände: 122 Stellungnahmen wurden abgegeben, von denen die überwiegende Mehrzahl genau jene Passagen betrifft, die das oben ausgeführte "Three Strikes Out"-Szenario erst möglich machen. Das EU-Parlament hat vergleichbare Vorstöße schon in der Vergangenheit mehrmals abgelehnt.
Der Text dürfte also mit einiger Wahrscheinlichkeit am Mittwoch deutlich entschärft werden, das ist gewissermaßen der erste Waschgang. Danach ist der Gallo-Bericht mit den ergänzenden Stellungnahmen des Innen- sowie Industrieausschusses (IMCO bzw. ITRE) zu akkordieren. Erst dann wird das Vorhaben im Plenum in erster Lesung behandelt.
Der Rechtsausschuss ist in Sachen "geistiges Eigentum" zwar federführend, aber auch der Innen- und Industrieausschuss haben dabei mitzureden. Der österreichische Abgeordnete Paul Rübig (EVP) hat für den Industrieausschuss eine Meinung zum Thema verfasst, die er am Mittwoch vortragen wird.
Die für den Mittwoch zusätzlich geplante Abstimmung wurde angesichts der Unzahl von Änderungsvorschlägen verschoben.
Anders als seine Fraktionskollegin Gallo konzentriert sich Rübigs Stellungnahme ganz auf die echte Produktpiraterie, von gefälschten Arzneimitteln angefangen bis zum Maschinenbau. Zu Rübigs Bericht gibt es lediglich 31 Änderungsvorschläge, die allesamt wenig vom bestehenden Text abweichen.
(futurezone/Erich Moechel)