Kampf um die Videozukunft im Netz
Mit HTML5 ist es möglich, Videos direkt im Web-Browser anzusehen, ohne dafür auf ein proprietäres Plug-in zurückgreifen zu müssen. Doch nicht alle Browser unterstützen alle Videocodecs. Während Apple und Microsoft auf H.264 setzen, unterstützen Mozilla und Opera den freien Codec Ogg Theora. Google könnte schon kommende Woche den Plan für einen eigenen, freien Codec im Rennen um die Zukunft des Web-Videos vorstellen.
Videos im Web werden derzeit vorwiegend in Flash und mit dem Videocodec H.264 präsentiert. Auch Googles YouTube, das weltweit größte Portal für Videos im Netz, setzt derzeit auf diese Option. YouTube bietet allerdings auch bereits eine HTML5-Testversion an - also die Möglichkeit, Videos direkt im Browser abzuspielen, ohne das proprietäre Flash-Plug-in von Adobe installieren zu müssen.
Diese Möglichkeit steht derzeit Nutzern der Browser Safari, Chrome und Internet Explorer mit Google Chrome Framework offen. Auch hier kommt der Videocodec H.264 zum Einsatz.
Doch Google könnte schon bald auch andere Wege gehen. Branchenbeobachter erwarten, dass der Internet-Konzern bei seiner Entwicklerkonferenz, die am 19. und 20. Mai in San Francisco stattfindet, seinen vor kurzem erworbenen Videocodec VP8 unter einer freien Lizenz veröffentlichen wird. Googles Chrome und Mozillas Firefox würden dann auch den neuen, freien Videocodec in HTML5 unterstützen, vermutete der US-Branchendienst NewTeeVee. Von Google und Mozilla wurde der Bericht bisher jedoch nicht bestätigt.
FSF für VP8 als Open Source
VP8, der Nachfolger von VP6 und VP7, wurde vom Unternehmen On2 Technologies entwickelt, das von Google im Februar für 133,9 Millionen Dollar (97,2 Mio. Euro) übernommen wurde. Die Free Software Foundation (FSF) hatte sich darauf in einem offenen Brief an Google gewandt und darum gebeten, den Codec als Open Source freizugeben, um proprietären Technologien wie H.264 Paroli bieten zu können.
Viele der Verfahren, die bei H.264 eingesetzt werden, sind durch Patente geschützt. Laut einem Bericht von ZDNet sollen dabei insgesamt 1.135 Patente aus 44 verschiedenen Ländern zur Anwendung kommen. Sowohl Apple als auch Microsoft haben Patente in den von der MPEG Licencing Administration (MPEG LA) verwalteten Patentpool zu H.264 eingebracht, insgesamt sind das 66, eines von Apple, 65 von Microsoft.
Patentgebühren von H.264
Zwar gab MPEG LA im Februar bekannt, dass der Codec bis zum 31. Dezember 2015 weiterhin kostenlos genutzt werden darf, sofern das Videostreaming auch für Anwender kostenfrei bleibe, aber Mozilla und Opera, die den Open-Source-Gedanken fördern wollen, weigern sich, einen patentbehafteten Codec in ihren Web-Browsern zu unterstützen. Zudem könne das MPEG-LA-Konsortium jederzeit die Patentgebühren erhöhen, gab etwa Karsten Gerloff von der FSF Europe zu bedenken. VP8 käme als Alternative gerade recht.
Mit dem freien Videocodec Ogg Theora, der von der Xiph.org Foundation entwickelt wurde und auf den VP3.2-Codec von On2 aufbaut, ist derzeit bereits eine Alternative zu H.264 im Einsatz. Ogg Theora wird von Googles Chrome, Mozillas Firefox und Opera unterstützt und kommt etwa bei den Web-Videos der Wikipedia zum Einsatz.
Ogg Theora könnte laut einer im Netz kolportierten E-Mail von Apple-Chef Steve Jobs an einen Mitarbeiter der FSF demnächst mit Patentstreitigkeiten konfrontiert werden.
Microsoft: "Zu große Unsicherheiten"
Freie Codecs sind jedoch immer wieder Zielscheibe von Patentdrohungen. Erst kürzlich löste eine E-Mail von Apple-Chef Steve Jobs eine Debatte über die Patentsituation freier Videocodecs aus. Auch der für den Internet Explorer zuständige Microsoft-Manager Dean Hachamovitch kündigte vor kurzem an, vorerst keine weiteren Codecs neben H.264 einsetzen zu wollen, weil damit zu große Unsicherheiten verbunden seien. Doch man sei generell offen dafür, andere Codecs in Erwägung zu ziehen. Die derzeitigen Pläne von Microsoft sehen den Einsatz von H.264 im Internet Explorer 9 vor.
Auch Googles VP8 könnte mit Patentdrohungen konfrontiert werden. Florian Müller, Gründer der europäischen Kampagne NoSoftwarePatents.com und Experte für Software-Patente, erwartet, dass Google den Videocodec als Open Source freigeben wird. "Das würde der Google-Tradition entsprechen", meint Müller.
VP8: "Analyse der Patentsituation"
Das sei aber nur dann eine verantwortungsvolle Entscheidung, wenn Google zeitgleich mit einer solchen freien Veröffentlichung auch eine eingehende Analyse der Patentsituation veröffentliche. Müller erwartet sich insbesondere Erläuterungen, warum man sich seitens Google sicher ist, dass die Patente des MPEG-Pools von VP8 nicht verletzt werden. "Das halte ich für nötig, damit Entwickler, die den offenen VP8-Codec in ihren Projekten nutzen, sich möglichst genau über die patentrechtlichen Umstände informieren und für sich eine Entscheidung auf besser informierter Basis treffen können."
Laut einer Recherche des Analysten Chris Whitmore erhielt Apple in den letzten Jahren etwa 3.000 Patente, Google nur 316. Müller bezweifelt daher stark, dass Google genug Gewicht in die Waagschale werfen könne, um auf Basis von Patent-Tauschgeschäften etwaige Steine aus dem Weg zu räumen. Zudem glaubt Müller nicht, dass Google seine eigenen Suchmaschinenpatente wie jene zur PageRank-Technologie Konkurrenten zur Verfügung stellen möchte. "Bei Verhandlungen würde Google dazu gedrängt werden. Das will Google aber mit Rücksicht auf sein Kerngeschäft nicht", gibt Müller zu bedenken.
VP8 und H.264 technisch etwa auf gleichem Level
Während Ogg Theora im direkten Vergleich mit H.264 technisch nicht an dessen Leistung herankommt, steht VP8 nicht so schlecht da. Bei Ogg Theora wird mit dem gleichen Datenvolumen eine niedrigere Qualität erreicht. "VP8 ist da um einiges moderner und ausgereifter", so Florian Seitner, Research Assistant an der TU Wien. "In puncto Kompression und Qualität kommt der VP8 fast an den H.264-Codec heran. Dieser ist nur wenig effizienter, und ein normaler Anwender merkt keinen Unterschied."
Das ist jedoch nicht der einzige Vorteil von VP8 gegenüber dem verwandten Ogg Theora: "Der Codec wurde speziell für mobile ARM-Prozessoren entwickelt, was einen gewaltigen Vorteil im Vergleich mit Ogg Theora darstellt. Er bietet Hardware-Support für mobile Plattformen", erklärt Seitner. Das könnte spätestens dann entscheidend sein, wenn Google VP8 auf seinem freien Betriebssystem Android zum Einsatz bringt.
Laut Seitner könnte eine Implementierung im Browser Chrome mit HTML5-Unterstützung ohne gröbere Schwierigkeiten oder notwendige Hardware-Upgrades durchgeführt werden. Bei Apples iPhone oder iPad dagegen würde es anders aussehen. Bei den Mobilgeräten von Apple sei eine Hardware-Beschleunigung verbaut, die speziell auf den Codec H.264 optimiert sei, erklärt Seitner. "Da stellt sich die Frage, ob VP8 genau diese Beschleunigung nutzen kann. Ansonsten müsste man die Hardware austauschen." Nur bei Mobilgeräten, die keine Beschleunigung brauchen, sei eine Implementierung mittels Firmware-Update möglich, so Seitner.
"Marktmacht der H.264-Unterstützer ist immens"
Apple und Microsoft als Mitglieder des MPEG-LA-Konsortiums setzen daher auf H.264. "Dieser Codec ist bereits sehr weit verbreitet. Ich glaube, dass es für VP8 eine wirklich große Herausforderung wird, sich als Standard durchzusetzen", meint Seitner.
Auf die Frage, wie er die Chancen für VP8 einschätze, meinte Müller: "Ich kann verstehen, dass Google sowohl mit Blick auf sein Mobiltelefongeschäft als auch YouTube gerne einen eigenen Videostandard etablieren würde, aber die kombinierte Marktmacht der Unterstützer von H.264 ist immens und die Lizenzgebühren sind für die meisten Marktteilnehmer akzeptabel."
H.264 ist neben seiner Präsenz im Web der bereits fix definierte Standard für HD DVD und Blu-ray-Discs sowie bei hochauflösender Fernsehübertragung mittels DVB-S2 im Einsatz. Auch bei der Übertragung von Videokonferenzen ist der Codec seit 2005 sehr verbreitet, oder bei Videostreaming in Fahrzeugen. Viele Digitalkameras wie etwa von Casio, Kodak, Panasonic und Samsung unterstützen die Kompression bei ihrer Videoaufzeichnung. "Es gibt außerdem bereits eine Erweiterung für 3-D für Stereobilder, den H.264 MVC. Der wurde zum Beispiel auch bereits in eine Playstation 3 mittels Firmware-Update eingespielt", erwähnt Seitner.
Zu den Experten:
Florian Seitner ist Research Assistant an Institut für Software-Technik und Interaktive Systeme an der Technischen Universität Wien.
Florian Müller gründete 2004 die europapolitische Kampagne NoSoftwarePatents.com, die sich gegen eine Vorlage für eine EU-Software-Patent-Richtlinie wandte.
Anbieter müssen Hauptlast tragen
"Die Geräte und Technologien verschmelzen heutzutage miteinander, und als normaler Nutzer möchte ich keine Zeit in die Installation von Videocodecs investieren. Man möchte sich Videos im Web ansehen, am TV-Gerät, oder am Handy. Da müssen die Standards kompatibel sein, oder es wird sich früher oder später ein Standard durchsetzen", so Seitner.
Sowohl Seitner als auch Müller sind der Meinung, dass die Anbieter von Web-Videoinhalten daher in der nächsten Zeit die Hauptlast tragen müssen, da sie alle Videos in absehbarer Zeit zumindest in zwei gängigen Formaten bereithalten müssen, um die Nutzer der beliebtesten Browser direkt zu erreichen. Seitner geht davon aus, dass Google auf seinem Videoportal YouTube den neuen Codec parallel zu H.264 implementieren wird - das bedeutet, dass die Videos künftig in beiden Codecs zur Verfügung gestellt werden.
Plug-in-Vielfalt bleibt vorerst bestehen
Müller fügt hinzu, dass nicht alle Anbieter zur Bereithaltung der Inhalte in mehreren Formaten bereit sein werden. "Daher ist auf Browser-Seite mit einem Fortbestand der Plug-in-Vielfalt zu rechnen." Eine Einigung der Browser-Hersteller auf einen Codec sei vor der endgültigen Festlegung des HTML5-Standards nicht zu erwarten, so Müller.
"Proprietäre Anbieter wie Apple und Microsoft begnügen sich zunächst damit, dass kein Videoformat fester Bestandteil von HTML5 wird. Wenn sie das erreicht haben und damit das MPEG-Patentkonsortium seine Marktrelevanz weiter ausbauen kann, wird in einigen Jahren die Forderung aufkommen, sich auf ein patentiertes Videoformat zu einigen", vermutet Müller. Dazu müsste sich das World Wide Web Consortium (W3C) allerdings von seinem bisher strikt eingehaltenen Prinzip, keine patentierten Formate zuzulassen, verabschieden.
(futurezone/Barbara Wimmer)