© Screenshot: ORF.at, Facebook-Site von Mark Zuckerberg

Facebooks Großangriff auf Google

ANALYSE
28.04.2010

Google ist erstmals seit zehn Jahren in der Defensive. Grund dafür ist der Aufstieg von Facebook. Wichtigster Alliierter in der Offensive Facebooks ist Googles Erzfeind Microsoft. Während die neueste Angriffswelle des Sozialen Netzwerks rollt, haben zahlreiche prominente Google-Techniker ihre Facebook-Konten geschlossen.

Wenn man Mark Zuckerberg, dem CEO von Facebook, glauben kann, dann werden diese Wochen in die Netzgeschichte eingehen. Mit dem Start des Open-Graph-Programms greift Facebook - im März hatte man bereits Google erstmals knapp überholt, zumindest nach US-Zugriffen auf die jeweilige Startseite - nach der Vorherrschaft im Internet.

Und wenn der Coup gelingt, dann werden Milliarden neuer Links von allen Kontinenten binnen kürzester Zeit auf Facebook weisen - und da nicht irgendwohin. Facebooks Open Graph dehnt nämlich die Spielregeln von Facebook auf beliebige andere Websites aus.

Der "Like"-Button

Den bekannten Button "Like", der seit den Anfängen von Facebook den Betreibern dazu dient, sehr detaillierte persönliche Nutzerprofile zu erheben, kann nun jeder, der eine Website sein Eigen nennt, in diese einfügen. Dazu bedarf es lediglich der Integration weniger Zeilen Code in die betreffende Site, die Folgendes bewirken:

Wenn Kevin Normalbenutzer ein neues Splattermovie seines Lieblingsregisseurs auf Videoszumweinen.com entdeckt und enthusiasmiert auf den "Like"-Button drückt, dann wird der Link zum Video automatisch in sein Facebook-Profil eingefügt. Videoszumweinen.com aber erhält einen Gratiswerbeplatz in Facebook auf Dauer, denn die Metatags bringen auch eine Beschreibung der Website samt Link zur Frontpage, der oberste Eintrag in den paar Zeilen Code und damit Teilnahmebedingung ist mindestens ein Facebook-Account des Site-Betreibers.

Angriff auf Googles Kerngeschäft

Das ganze funktioniert natütrlich nur, wenn der Besucher, der "Linke" anklickt, im Browser ein Facebook-Cookie gespeichert hat, also ebenfalls über ein Profil bei Facebook verfügt. Ein und derselbe Schachzug trägt also gleich zweimal zu einer Reichweitensteigerung bei, deren mögliches Ausmaß derzeit schwer abzuschätzen ist. Dazu vertiefen sich die Nutzerprofile um Daten von Drittwebsites und erhöhen den Wert der Benutzerprofile. Deren Vermarktungspotenzial wiederum repräsentiert nahezu den gesamten Firmenwert von Facebook.

Dieser Schachzug ist ein Frontalangriff auf Googles Kerngeschäft.

Wenn Kevin Normalbenutzers Freunde nämlich aus Facebook erfahren, dass ein neues Splattermovie bei Videoszumweinen.com erhältlich ist, dann wissen es auf einen Schlag alle. Keiner muss mehr bei Google danach suchen gehen, wenn doch eine Zusatzinformation benötigt wird, hat Facebook dafür ja Microsofts Suchmaschine Bing an Bord. Videoszumweinen.com wiederum kann sich mittelfristig die teuren Google-AdWords-Kampagnen ersparen.

Chronik eines Konflikts

Dass Facebook als einziger aussichtsreicher Herausforderer mit Google irgendwann aneinandergeraten würde, war spätestens seit 2007 klar, als sich Microsoft an Facebook beteiligte. Warum für eine minimale Beteiligung eine damals absurd anmutende Summe bezahlt wurde, muss nun wohl nicht mehr näher erläutert werden. Die Chronik ist absteigend, endend im Dezember 2009.

Microsoft gegen Google Docs

Parallel dazu läuft seit einer Woche ein zweiter Angriff auf einen anderen Google-Dienst, seit Microsoft bekanntgegeben hat, sein neues Service Docs.com in Facebook zu integrieren, das ziemlich genau dasselbe bieten wird wie Google Docs. Bereits im März hatte Facebook bekanntgegeben, ortsbezogene Dienste einzubauen, klarerweise nicht Google Maps.

Eine Woche später war es dann amtlich: Facebook hatte Google als Nummer eins der Welt abgelöst, nämlich in der Zahl der Visits erstmals übertroffen. Am Dienstag kündigte Google an, seine Dienste Earth und Maps zu fusionieren. Da Google Earth lokal auf dem Rechner des Benutzers läuft, ist eine kombinierte Applikation mit Maps naturgemäß schneller als eine konkurrierende, die sämtliche Daten erst aus dem Netz laden muss.

Zuckerbergs private Termine

Ansonsten gibt es derzeit kaum offizielle Nachrichten von Google, die inoffiziellen sind dafür umso interessanter. Am Dienstag habe er ein wenig an Facebooks neuem Interface für Open Graph herumgespielt und dabei entdeckt, schreibt "zestyping" (Ka Ping Yee) in seinem Blog, dass alle privaten Termine von Facebook-Benutzern einsehbar seien. Als Beweis dafür veröffentlichte Yee, der bei Google beschäftigt ist, einen Auszug von Zuckerbergs privatem Terminkalender inklusive einer "Housewarming Party".

Aufgrund der in den letzten Monaten mehrfach geänderten Geschäftsbedingungen werden bei Facebook weitaus mehr persönliche Daten für alle User angezeigt als vordem. Die ersten Tests besagen, dass bei zentralen Datenfeldern wie etwa der Wohnadresse, die Kevin Normalbenutzer exklusiv für seinen notorisch vergesslichen Freundeskreis angegeben hat, kein "Opt-out" möglich ist, sondern nur die komplette Löschung der betreffenden Information.

Google-Ingenieure kündigen Accounts

Yee ist in Zusammenhang mit Facebook auch nicht der einzige Google-Techniker, denn die kamen Facebook zuletzt in Scharen abhanden. Vom als "Google Guy" pseudonym bekanntgewordenen Sicherheitsexperten Matt Cutts angefangen wurde in den letzten Wochen ein Account nach dem anderen deaktiviert.

Links

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass vor dem Ausbruch der offenen Feindseligkeiten die letzten Diplomaten abgezogen wurden. Es geht - wie schon öfters in den letzten 15 Jahren - um nichts weniger als um die Vorherrschaft im Netz. Zum ersten Mal seit zehn Jahren aber begibt es sich, dass Google dabei in der Defensive ist.

(futurezone/Erich Moechel)